© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/24 / 13. September 2024

Auf einmal geht es doch
Innere Sicherheit: Aktuelle Anschläge und hohe Zustimmungswerte für die AfD zwingen die Regierenden zum Handeln
Peter Möller

Es gehört zur hohen Kunst der Politik, wachsenden politischen Druck auszuhalten und Probleme auszusitzen, wenn die Konsequenzen, die sich aus einem erzwungenen Handeln ergeben, nicht in das eigene politische Konzept passen. Doch es gibt Situationen, da müssen selbst Politiker, die über einen überdurchschnittlichen Durchhaltewillen verfügen und „um der Sache willen“ nicht zu Kompromissen bereit sind, die Segel streichen.

So ist es an diesem Montag Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ergangen. Denn am Nachmittag mußte sie einen grundlegenden Wechsel ihrer Politik verkünden: „Wir werden unsere temporären Binnengrenzkontrollen auf alle deutschen Landgrenzen ausweiten. Dies habe ich heute angeordnet“, sagte Faeser, die diesen Schritt zuvor immer wieder abgelehnt hatte, unter anderem mit Verweis auf europarechtliche Bedenken. Nun sagte Faeser: „Bis wir mit dem neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystem und weiteren Maßnahmen zu einem starken Schutz der EU-Außengrenzen kommen, erfordert das auch, daß wir an unseren nationalen Grenzen noch stärker kontrollieren.“

„Zurückweisungen nicht nur möglich, sondern geboten“

Angesichts immer neuer Meldungen über Angriffe von Migranten und vor dem Hintergrund der für die Ampel desolaten Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen war der Druck einfach zu groß geworden. Vor allem der versuchte Terroranschlag eines 18 Jahre alten muslimischen Österreichers mit bosnischen Wurzeln mittels eines Repetiergewehrs auf das israelische Konsulat in München in der vergangenen Woche hatte den Fokus der öffentlichen Debatte einmal mehr auf den islamistischen Terrorismus mit Migrationshintergrund gerichtet. Am Freitag vergangener Woche drang dann auch noch ein mit einer Machete bewaffneter 29 Jahre alter Mann in eine Polizeiwache im rheinland-pfälzischen Linz ein, und drohte damit, die Beamten zu töten. Die Ermittler gehen bei dem Mann, der von den Polizisten überwältigt und verhaftet werden konnte, ebenfalls von einem islamistischen Motiv aus.

Unterdessen gingen die Diskussionen über eine Änderung der Migrations- und Sicherheitspolitik als Reaktion auf den Terroranschlag in Solingen weiter. Das von der Bundesregierung Ende August beschlossene „Sicherheitspaket“ schaffte es bereits auf die Tagesordnung des Bundestages. Es sieht unter anderem vor, das Waffenrecht zu verschärfen und vor allem Messer im öffentlichen Raum zu verbieten. Die Polizei soll zudem mehr Befugnisse erhalten, etwa für verdachtsunabhängige Kontrollen in Bahnhöfen. Gleichzeitig soll die Abschiebung von Ausländern erleichtert werden. So will die Ampel Asylbewerber, die eine Straftat mit einer Waffe oder einem anderen gefährlichen Werkzeug begangen haben, einfacher ausweisen. Migranten, die Straftaten begehen, soll leichter der Schutz in Deutschland entzogen werden können.

Schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen der Ampel mit der Union über eine gemeinsame Position zur Lösung zur Senkung der Zahlen bei der illegalen Migration. Ein zentraler Streitpunkt vor den Gesprächen war die Forderung der Union nach einer Zurückweisung illegaler Migranten an der Grenze. Auf ihrer Fraktionsklausur vergangene Woche hatte sich die Union zudem dafür ausgesprochen, das deutsche und europäische Recht so zu ändern, „daß ein Schutzstatus automatisch erlischt“, wenn Flüchtlinge eine Reise ins Heimatland unternehmen. Am Dienstag nachmittag schließlich wurden die Verhandlungen mit der Ampel abgebrochen. Faesers Vorschläge bezüglich der Zurückweisungen an der Grenze gingen nicht weit genug, monierte Unions-Verhandlungsführer Thorsten Frei.

Am Wochenende hatten Äußerungen des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, die bisherige Argumentation der Ampel entkräftet, eine Zurückweisung sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich. „Ich halte Zurückweisungen nach Paragraph 18 Asylgesetz nicht nur für möglich, sondern sogar für geboten“, hatte Papier der Bild gesagt. Nach Paragraph 18 sei Menschen, „die aus sicheren Drittstaaten einreisen, die Einreise zu verweigern“. Deutschland sei „ausnahmslos von sicheren Drittstaaten“ umgeben. Zudem gibt es dem Verfassungsjuristen zufolge keine europarechtlichen Regelungen, die über deutschem Recht wie dem Paragraphen 18 des Asylgesetzes stehen.

Vor diesem Hintergrund hatte über das Wochenende insbesondere in der Ampel die Diskussion weiter an Fahrt aufgenommen. Insbesondere die Grünen stemmten sich immer stärker gegen die sich abzeichnende Verschärfung der Migrationspolitik. Am weitesten preschte dabei der Parteinachwuchs vor. „Nach den Äußerungen aus Unionskreisen der letzten Tage sehe ich keinen Grund, daß diese Gespräche fortgeführt werden sollten“, sagte die Co-Vorsitzende der Nachwuchsorganisation, Katharina Stolla, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Die Strategie, aus Angst vor Rechten ihnen immer weiter hinterherzurennen, geht im Endeffekt nach hinten los. Denn so spornt man Rechte nur an, noch schneller zu laufen“. Die AfD-Bundestagsfraktion schaltete sich am Wochenende mit einem Positionspapier in die heißlaufende Migrationsdebatte ein. Darin erneuerte die Partei ihre Forderungen nach einem lückenlosen Grenzschutz („notfalls auch durch den Einsatz von Grenzzäunen“) und der Zurückweisung illegaler Einwanderer. 

Zuvor hatte unter anderem der Deutsche Städte- und Gemeindebund den Druck erhöht und auf die wachsenden Probleme durch die Migration hingewiesen. Die Kapazitäten in den Kommunen seien vielerorts ausgeschöpft und die Städte und Gemeinden seien an ihrer Belastungsgrenze. „Wir brauchen dringend eine Begrenzung der Zuwanderung, um uns um die Menschen mit Bleibeperspektive zu kümmern, die bereits in Deutschland sind“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes André Berghegger der Rheinischen Post. „Es erscheint sinnvoll, die deutschen Grenzen so lange zu kontrollieren, bis die europäische Asylreform in Kraft ist.“ Gleichzeitig sei es richtig, die Anstrengungen zu verstärken, daß Menschen ohne Bleiberecht in ihre Herkunftsländer zurückkehrten. „Hier sollte eine ‘Task Force Abschiebungen’ des Bundes etabliert werden, um die Prozesse zu beschleunigen und effizienter zu gestalten“, forderte Berghegger.