© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/24 / 13. September 2024

Grüße aus … Brüssel
Mordlust und Rache
Albrecht Rothacher

Anfang September ist die „Rentree“ in Brüssel. Urlaubsgeschichten werden ausgetauscht, doch der politische Alltag beginnt. Ich sitze in der Mickey-Mouse-Bar des Parlaments und betrachte bei einem Glas Chimay die Umgebung. Gertenschlanke, kurzberockte Schönheiten stöckeln vorbei und beflirten ihre gewichtig tuenden Chefs, auf deren Schultern als frisch gewählte MdEPs die Zukunft Europas zu ruhen scheint. Der Skandal des Tages: Die medial stets hochjubelte Präsidentin, die mit einem Kreuzfahrtlobbyisten verheiratete Roberta Metsola (EVP) hat nach maltesischer Landessitte ihren Schwager zum wohlbestallten Kabinettschef ernannt. 

Aktuelles Hauptthema: Wer schießt in den Parlamentsanhörungen welchen Kommissar ab? Die vereinigte Linke (Sozialisten, Linksliberale, Grüne und Kommunisten) sinnen als Wahlverlierer auf Rache. Stellen die Sozialisten doch nur noch vier von 27 Kommissaren. Dazu sind die Radikal-Feministen mit nur zehn Kommissarinnen sauer. Dies obwohl vier der fünf wichtigsten EU-Posten von Frauen besetzt sind: Die Kommissions- und Parlamentspräsidentinnen, die Außenbeauftragte Kaja Kallas und EZB-Präsidentin Christine Lagarde.

Bei den Anhörungen geht es darum, den künftigen Kommissaren verbindliche Versprechungen abzunötigen.

Sichere rote Abschuß-Kandidaten sind der bisherige Balkankommissar, der Ungar Oliver Verhelyi und Raffaele Fitto von den Fratelli d’Italia. Dazu wollen die Sozialisten den Skalp von Christophe Hansen (EVP), der ihrem völlig unbekannt gebliebenen „Spitzenkandidaten“ Nicolas Schmit in Luxemburg als potentieller Agrarkommissar vorgezogen wurde. Natürlich kann man geteilter Meinung sein, ob ein Pole als Vertreter des größten Empfängerstaates für den EU-Haushalt zuständig sein sollte.

Allerdings besteht das Risiko, daß rote Ablehnungen bei der mächtigen schwarzen EVP eine Kettenreaktion auslösen. Bei ihr würden die spanische Green-Deal Fanatikerin Teresa Ribera, die skandalumwitterte Maria Luis Albuquerque, ehemals sozialistische Finanzministerin Portugals, sowie die belgische Palästinenserfreundin Hadja Lahbib, eine Linksliberale algerischen Ursprungs, dann im Fadenkreuz stehen. Den Reigen dubioser linker EU-Führer schließt Antonio Costa, der bereits bestellte EU-Ratspräsident, der wegen Korruptionsvorwürfen als Premier in Lissabon zurücktrat.

Hauptsächlich geht es neben der Mordlust aber bei den Anhörungen darum, den künftigen Kommissaren so viel wie möglich verbindliche Versprechungen abzunötigen. Bei der Linken sind das die Dogmen von Klimaneutralität, Gender, Schwulenrechten, freier Immigration und so hohe wie mögliche EU-Transferzahlungen in alle Welt. So als hätte die Europawahl nie stattgefunden. Die Anhörungen dürften sich bis Ende Oktober hinziehen und die neue Kommission frühestens im Dezember zu amtieren beginnen.