© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/24 / 13. September 2024

Die alte Garde soll es richten
Frankreich: Mit der Ernennung von Michel Barnier als Premier brüskiert Präsident Macron die Linken und hofiert die Rechte
Felix Hagen

Die alte Garde soll es nun in Frankreich richten. Wie sich bereits in der vergangenen Woche abgezeichnet hat, wird der Premierminister Frankreichs künftig nicht von einer der großen Fraktionen gestellt. Michel Barnier, langjähriges Mitglied der gaullistischen Nachfolgepartei Les Republicains, soll nun für die Grande Nation eine verfahrene Situation in eine erfolgreiche Regierungszeit umwandeln.

 Für Barnier sind schwierige Verhandlungen allerdings nichts Ungewöhnliches. Der Diplomat und Absolvent der Pariser Eliteschule ESCP blickt auf eine lange Reihe politischer Verwendungen zurück. Er war schon französischer Minister, EU-Kommissar und führte schließlich die Brexit-Verhandlungen mit dem britischen Königreich zu einem erfolgreichen Abschluß. Der großgewachsene Barnier ist ein erfahrener, allerdings auch außergewöhnlich alter Premierminister. Besonders der Kontrast zum jugendlichen Vorgänger Gabriel Attal treibt die französische Hauptstadtpresse um, Barnier folgt mit seinen 73 Jahren als ältester Amtsträger in der langen Tradition französischer Premierminister auf den gerade einmal 35 Jahre alten Attal. 

Marine Le Pen erntet erstmals Früchte ihrer „Entdiabolisierung“ 

Auch deswegen lasten ihm einige an, in seiner Person vor allem „das Establishment“ zu verkörpern. Barnier sei „ein lebendiges politisches Fossil“, so der RN-Abgeordnete Jean-Philippe Tanguy, die Franzosen hätten „genug von ihm und seinesgleichen.“ Ein Vorwurf, den seine Parteichefin Marine Le Pen allerdings offenbar nicht teilt. Hatte Le Pen noch die Ernennung des ebenfalls als Premierminister gehandelten Xavier Bertrand verhindert, stellt die Anführerin des rechten Lagers dem ehemaligen Pfadfinder Barnier einen Persilschein aus. 

Dieser habe sich in der Vergangenheit als „respektvoll gegenüber dem RN gezeigt und sei in der Lage, alle politischen Gruppierungen gleich zu behandeln“. Für die Chefin des RN eine unverhandelbare Voraussetzung, sieht sie doch erstmals die Früchte der „Entdiabolisierung“ des RN in greifbarer Nähe. Barnier soll, so hofft Le Pen, dem RN erstmals, wenigstens über wechselnde Parlamentsmehrheiten, einen Zugang zur Macht verschaffen. 

Tatsächlich wirft die politische Linke Barnier auch genau diesen Schulterschluß vor. Der Senior im Amt wirke als Steigbügelhalter. Präsident Emmanuel Macron habe dem RN „die Autoschlüssel übergeben“, wie es der linke französische Politikwissenschaftler Frédéric Sawicki ausdrückt. 

Tatsächlich könnte Barnier mit einigen Zugeständnissen an den RN in den Bereichen Migration und innere Sicherheit bei allen anderen Vorhaben auf die komfortable Mehrheit zurückgreifen, die Le Pen ihm bereitwillig zur Verfügung stellen dürfte. Gemeinsam mit der politischen Mitte unter Präsident Macron und einem geeinten rechten Lager unter Einschluß des RN verfügt Barnier über eine deutliche Mehrheit und könnte die Parteien der Linken getrost ignorieren. 

Eine Perspektive, die auch auf der Straße verfängt. Einige linke bis linksextreme Gruppierungen setzen auf Demonstrationen. Ein bewährtes Mittel im protestfreudigen Frankreich. Doch einige setzen auch auf eine bisher unbekannte Seite des langjährigen Bürokraten: Barnier könnte „Frankreichs grünster Premierminister“ werden, wie es die ehemalige Umweltministerin Corinne Lepage ausdrückt. 

Der neue Premier Barnier verfügt über keine eigene Hausmacht

In seiner Zeit in Brüssel unterstützte Barnier EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihren Green Deal ausdrücklich und sorgte mehrfach für die Umsetzung einzelner besonders umstrittener Teile des Gesamtpakets.  Was für einige eine Auszeichnung ist, dürfte auf der Rechten hingegen eher als Erblast betrachtet werden. Bei Marine Le Pen und ihrem RN ist der Green Deal äußerst unbeliebt; im vergangenen Wahlkampf machte die Rechtspartei offen Front gegen das Maßnahmenpaket aus Brüssel.

Auch deshalb bleibt seine Position schwach. Anders als die meisten seiner Amtsvorgänger kann er sich auf keine Hausmacht verlassen und muß alle kontroversen Schritte mit Le Pen absprechen. Auch deshalb dürfte der neue Premier darauf verzichten, zu Beginn seiner Amtszeit ein positives Votum des Abgeordnetenhauses einzuholen, zu hoch wäre das Risiko, bei einer Niederlage den gerade gewonnenen Posten wieder räumen zu müssen. Stattdessen wird der gewiefte Verhandler wohl eher versuchen, durch Gespräche mit einzelnen Abgeordneten auf der Linken neuen Spielraum zu schaffen. Stets auf der Hut vor der eifersüchtigen Parteichefin des RN, die zwar zur Zeit noch über keinen eigenständigen Weg zur Macht verfügt, aber stets mit Argusaugen jeden Zug des neuen Premier beobachten wird.