Zehntausende der 299.000 Beschäftigten an den zehn deutschen Standorten bangen um ihre Zukunft (JF 37/24), denn VW fehlen angeblich fünf Milliarden Euro. Kein Problem für Linken-Chefin Janine Wissler, der Wolfsburger Konzern müsse einfach jene 4,5 Milliarden Euro zurückfordern, die er für das vergangene Geschäftsjahr an seine Aktionäre ausgeschüttet hat: Es sei an der Zeit, daß die Verursacher der Misere Verantwortung übernehmen: „Wenn nötig müssen wir über Enteignungen und staatliche Beteiligungen nachdenken“, sagte die 43jährige hessische Politologin der Rheinischen Post.
Dabei ist der Konzern seit 1960 eine teilstaatliche AG: Niedersachsen hält eine Sperrminorität von 20 Prozent – selbst im zentralistischen Frankreich besitzt der Staat nur 15 Prozent von Renault. Weitere 17 Prozent besitzt das Emirat Katar. Damit flossen 2024 fast 1,7 Milliarden Euro Dividende an staatliche Eigentümer. Nur der Bund ging leer aus: Er hat seinen 20-Prozent-Anteil 1988 verschleudert. Die VW-Fehlentscheidungen wurden von SPD- und CDU-Ministerpräsidenten und Gewerkschaften im Aufsichtsrat mit „abgesegnet“. Eine Enteignung oder Vergesellschaftung (Artikel 14 bzw. 15 Grundgesetz) des privaten Haupteigners, der Stuttgarter Porsche Automobil Holding SE der Familien Porsche und Piëch, ist absurd – und sie würde die Steuerzahler zig Milliarden kosten.
Der Staatseinfluß hat nicht verhindert, daß VW wegen des „Dieselgates“ ab 2016 mehr als 32 Milliarden Euro zahlen mußte. Dabei wußte jeder, daß Dieselkraftstoff in den USA teurer als Benzin ist und Gerichte und Politiker ausländische Firmen übermäßig bestrafen. Daß China Autokonzerne subventioniert, kann kein deutscher Politiker verhindern – autofeindliche EU-Regulierungen und nationale CO₂-Bepreisung hingegen schon. Die Aufgabe des VW-Werks in Rußland kostete 400 Millionen Euro – man überließ so der chinesischen Konkurrenz einen Markt mit 145 Millionen Konsumenten. 2018 produzierte die VW-Hauptmarke in ihren weltweiten Werken noch 6,3 Millionen Pkws – 2023 waren es nur noch 4,9 Millionen. Der Umsatz stieg zwar von 84,6 auf 86,4 Milliarden Euro – doch das war preis- und inflationsbedingt.
Die Probleme von Volkswagen sind teilweise selbstverschuldet
Die neuen Golf, Tiguan oder Passat sind vom Preis her längst keine „Volkswagen“ und bei Ausstattung, Qualität und Zuverlässigkeit auch nicht „Premium“. Der elektrische ID.3 lief 2023 nur 142.000mal von den Bändern, die Golf/T-Roc-Verbrennerreihe fast 600.000mal. Beim SUV ID.4/5 ist das Verhältnis 223.000 zu 1,1 Millionen (Atlas/Tiguan/Taos). Das billigste ID.3-Modell kostet in Deutschland 36.900 Euro: „Von einem echten ‘Volkswagen’ könnte man erst bei einem Preis zwischen 20.000 und 25.000 Euro sprechen“, konstatierte Helena Wisbert, Chefin des Center Automotive Research Instituts in Duisburg, im Spiegel.
Doch der familientaugliche Golf Variant aus Wolfsburg kostet mindestens 28.280 Euro, der SUV Tiguan 37.150 Euro. Der Passat (Made in Slovakia) kostet 40.395 Euro, für den ID.7 Tourer (gebaut in Emden), der mit seinem 77-kW-Akku nicht einmal halb soweit wie ein Passat kommt, sind 54.795 Euro fällig. Einen geräumigen Dacia Jogger mit Renault-Technik gibt es allerdings ab 17.900 Euro und für 46.000 Euro schon einen C-Klasse-Kombi von Mercedes. Erstmals in der 87jährigen VW-Geschichte sollen daher Werke geschlossen und Arbeiter entlassen werden. Absatzprobleme gab es auch vor Einführung des Käfer-Nachfolgers Golf 1974 oder 1994, als der Wiedervereinigungsboom zu Ende war. Vor 30 Jahren wurden Entlassungen verhindert, indem man eine Viertagewoche ohne vollen Lohnausgleich einführte. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) will das reaktivieren – doch die VW-Lohnkosten passen nicht mehr zu einem absteigenden Massenhersteller. Für die hohen Bürokratie-, Energie- und Materialkosten sowie die verbrennerfeindlichen EU-Auflagen sind Ampel und die Merkel-Kabinette verantwortlich.
Das Programm „Diversity Wins @ Volkswagen“ oder das „LGBTIQ* & friends“-Netzwerk „We drive proud“ steigert die Produktivität nicht. Die einfachen Einsparpotentiale sind begrenzt: Im 1,2 Milliarden Euro teuren ID-Werk in Zwickau wurden Leiharbeiter entlassen und die Nachtschichten abgeschafft. Denn dort wurden 2023 nur 247.000 E-Autos montiert – dabei ist es für 330.000 geplant. Immerhin wurden auch Karosserien für Lamborghini- und Bentley-Premiummodelle hergestellt, die allerdings für einen fünfmal höheren Preis als ein ID.3 verkauft werden können. VW-Finanzchef Arno Antlitz rechnete vor, dem Konzern fehle der Absatz von einer halben Million Autos, was der Jahresproduktion von zwei Werken entspricht.
Ob nun Osnabrück und Dresden oder die Komponentenfabriken in Chemnitz und Salzgitter geschlossen werden, wollte VW-Gesamtkonzernchef Oliver Blume nicht verraten: „Wir spekulieren nicht öffentlich über Werke“, sagte der langjährige Porsche-Manager im Handelsblatt. Man werde „zusammen mit den Arbeitnehmervertretern mögliche Maßnahmen besprechen“. Da haben die Ost-Fabriken trotz niedriger Lohnkosten schlechte Chancen: Sie sind keine Stammwerke, sondern nur Teil der Volkswagen Sachsen GmbH – und die Landtagswahl ist vorbei.
BMW bietet den Mini Countryman als Benziner, Diesel und E-Auto an
Blume will die gesamte VW-Produktionskette hinterfragen: „Angefangen bei den Entwicklungskosten, Materialkosten, Herstellkosten, Fixkosten bis zu den Vertriebskosten.“ Er verspricht den VW-Eignern bis 2030 „eine zweistellige Rendite“ – 2023 waren es konzernweit nur 7,0 Prozent. Porsche kam auf 18,6 Prozent, Audi auf 9,0, die Bus/Lkw-Sparte Traton (MAN, Scania) auf 8,1 Prozent – die VW-Kernmarke lag mit 4,1 Prozent hinter Škoda (6,7 Prozent) und Seat (4,4 Prozent).
Sowohl Werksschließungen als auch Staatshilfe, selbst in Form einer neuen „Kaufprämie“ für Elektroautos, lehnt indes Saskia Esken ab. Als nachhaltiges Personalkonzept schlug die SPD-Chefin ein „Drehscheiben-Modell“ vor: Überzählige VW-Beschäftigte sollten zeitweise zu einem anderen Arbeitgeber wechseln, mit der Option zurückkehren zu können. Ob sie dabei Arbeiter in Sachsen meint, die zu BMW wechseln könnten, ließ sie offen.
Denn der von der Quandt-Milliardärsfamile kontrollierte Autokonzern meldet eine so gute Nachfrage nach seinem neuen Mini Countryman, daß im Leipziger BMW-Werk von zwei auf drei Schichten umgestellt wurde. Den SUV gibt es ab 35.900 Euro wahlweise als Benziner, Diesel und E-Auto. In der Fahrzeugproduktion wurden in diesem Jahr 900 neue Mitarbeiter eingestellt. Inzwischen zählt BMW in Sachsen mehr als 10.000 Beschäftigte – die allerdings spürbar weniger verdienen als die Wolfsburger Golf-Produzenten.
Foto: Arbeiter-Protest im Stammwerk Wolfsburg: Helfen nur noch Kostensenkungen durch Personalabbau?
Volkswagen-Produktion 2018 bis 2023 in Millionen
Operative Umsatzrendite in Prozent (Grafik siehe PDF-Ausgabe)
VW-Halbjahresfinanzbericht 2024: volkswagen-group.com/de/halbjahresfinanz-bericht-2024-18537