© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/24 / 13. September 2024

Nachverdichtung im unbeplanten Innenbereich
Novelle des Baugesetzbuches: Der „Bauturbo“ kommt doch / Planungsanforderungen können ausgesetzt werden / Manche Hindernisse bleiben
Stefan Kofner

Voriges Jahr sind 663.000 Personen mehr nach Deutschland zu- als fortgezogen. Das waren zwar weniger als 2022, als es mit 1,46 Millionen den höchsten Wanderungsüberschuß seit 1950 gegeben hat – doch klar ist: Deutschland braucht dringend mehr Wohnungen, weil die Bautätigkeit schon seit 15 Jahren nicht mit der Zuwanderung Schritt hält. Die Wohnungsnot spitzt sich immer weiter zu, die Mieten steigen rasant, und Mietwohnungen sind in den Städten kaum noch zu finden. Der Ernst der Lage hat jetzt auch die Ampel unter ihrem selbsternannten „Kanzler für bezahlbares Wohnen“ erreicht und sie – wenn auch viel zu spät – zu entschlossenem Handeln veranlaßt.

Unter Federführung von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) hat die Bundesregierung eine Reform des Baugesetzbuchs (BauGB) auf den Weg gebracht, die die Errichtung neuer Wohnungen durch weniger Bürokratie und mehr Flexibilität bei der Planung beschleunigen soll. Die Schaffung von Wohnungen durch Innenentwicklung in den Städten soll erleichtert werden: Gebäudeerweiterungen wie Aufstockungen werden einfacher möglich, ohne daß bestehende Bebauungspläne dafür geändert werden müssen. Genehmigungen für solche Aufstockungen können von den Gemeinden sogar gleich für ganze Straßenzüge beantragt werden.

Auch die „Hinterlandbebauung“, also das Bauen in zweiter Reihe zwecks Nachverdichtung, wird erleichtert und zwar sowohl im Geltungsbereich eines Bebauungsplans als auch im unbeplanten Innenbereich. Mit diesen Sonderregelungen können besonders in ländlichen Gemeinden oder Vororten flexibel Nachverdichtungen ermöglicht werden. Der so geschaffene Wohnraum hat den großen Kostenvorteil, daß dafür kein teures Bauland angekauft werden muß. Sogar der höchst umstrittene „Bauturbo“ wird von der Bundesregierung gezündet.

Nachweis von Klimamaßnahmen wie Dachbegrünungen verlangt

Mit dem neu ins BauGB eingefügten Paragraphen 246e soll der Wohnungsbau in angespannten Märkten – befristet bis 2027 – vereinfacht und beschleunigt werden. Das ist eine mutige und sehr weitgehende Regelung, mit der im Prinzip sämtliche Regeln und Planungsanforderungen des BauGB von den Gemeinden ausgesetzt werden können. Es kann sogar ohne Bebauungsplan gebaut werden. Und das in Deutschland, wo sonst alles gnadenlos nach Vorschrift gehen muß. Der neue Paragraph 246e erlaubt sogar Wohnungsbau im an eine Siedlung angrenzenden Außenbereich, ohne daß es dazu eines Bebauungsplanes bedürfte. Es ist fast unglaublich, aber der Wohnungsbau soll tatsächlich einmal Vorfahrt bekommen. Natürlich hat sich dagegen eine mächtige Front von Bedenkenträgern gebildet, die von den Architektenverbänden bis zum Mieterbund reicht, bei dem das Interesse seiner Mitglieder an verfügbarem und leistbarem Wohnraum nicht mehr an erster Stelle steht.

Es stimmt, daß wir zu viele Flächen versiegeln, aber allein mit der Innenentwicklung kann man das riesige Wohnungsdefizit nur in allzu kleinen Schritten abbauen. Mit dem befristeten Bauturbo sollte man leben können, wenn man bedenkt, wie viele unter der Wohnungsnot leiden. Auch bei der Verfahrensdauer und dem bürokratischen Aufwand tut sich was: Bebauungspläne müssen künftig innerhalb von zwölf Monaten nach Ende der Beteiligungsverfahren veröffentlicht werden, und der Umfang des Umweltberichts wird reduziert.

Die Ampel hat aber nicht alle Ampeln auf Grün gestellt. Bis zur Digitalisierung des gesamten Planungs- und Genehmigungsprozesses in Form der digitalen Bauakte wird wohl noch viel Zeit vergehen. Auch verteuert der von den Bauherren zu erbringende Nachweis, daß sie Klimaschutzmaßnahmen wie Dachbegrünungen oder Baumpflanzungen umgesetzt haben, das Bauen. Außerdem wurde der Schutz der Mieter vor Umwandlungen bis Ende 2027 verlängert: Paragraph 250 BauGB ermöglicht es den Landesregierungen, an angespannten Märkten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt zu stellen. Es ist die Frage, ob das nötig ist, denn die Mieter sind durch die langen Sperrfristen nach einer Umwandlung und das Vorkaufsrecht bereits gut geschützt. Eine Genehmigungserfordernis behindert die Wohneigentumsbildung, und es bedeutet einen sehr tiefen Eingriff in das Privateigentum.

Alles in allem setzt die Novelle aber sowohl für die Innenentwicklung als auch für die Außenentwicklung mutige Impulse, die allerdings zum Teil zeitlich befristet sind. Es kommt nun darauf an, was die Gemeinden daraus machen, wie sie mit den Flexibilisierungsmöglichkeiten umgehen. Sobald die neuen Regelungen in Kraft sind, müssen die Städte und Gemeinden alles daransetzen, zusammen mit den privaten Hauseigentümern und der Wohnungswirtschaft viel mehr Wohnraum zu schaffen. Das wird bei den nach wie vor hohen Baupreisen nicht einfach, aber die Bauzinsen sind zuletzt immerhin spürbar gesunken.



 www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/novelle-baugesetzbuch-2306066