© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/24 / 13. September 2024

Wenn der liebe Gott sein Haus verliert
Sakrale Räume: Immer mehr Kirchen drohen aus Städten und Dörfern zu verschwinden. Die Stiftung Denkmalschutz schlägt Alarm

In Gottes Haus beten die Menschen, lassen sich taufen, heiraten, und hier werden sie auch ausgesegnet. Kirchen begleiten unser Leben, sie sind unsere Geschichte. Sowohl individuell als auch kollektiv. Darüber hinaus sind sie künstlerisch das Wertvollste, was wir in der abendländischen Kultur hervorgebracht haben. Doch wie gehen wir mit diesen Werten um? Bis 2060, also in 36 Jahren, werden beide Konfessionen in Deutschland von den rund 45.000 Sakralbauten rund ein Drittel verkaufen oder abreißen. Dazu gehören Kirchen, Kapellen, Pfarrhäuser und Gemeindezentren. Aus ehemals sakralen Räumen werden im besten Fall Bibliotheken, im schlechtesten Staub. Es fehle an Geld, klagen die Kirchen und schämen sich nicht, ob der Milliarden auf ihren Konten. Der staatliche Denkmalschutz nickt zustimmend. Die private Deutsche Stiftung Denkmalschutz hingegen schlägt Alarm! Sie fordert ein Umdenken im Umgang mit Gottes Haus – und zwar subito!

„Immer weniger Gläubige nutzen sakrale Räume, die Kirchensteuereinnahmen sinken, Objekte stehen häufiger leer, sind ungenutzt oder werden sogar abgerissen“, warnt Jörg Haspel, Vorsitzender des Stiftungsrates der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in einem Brief aus dem Juli 2024 an die Unterstützer und Förderer der Stiftung. „Es scheint, wir stehen vor einem Dammbruch beim Verlust von kirchlichem Kulturgut.“ Dies mag um so bitterer erscheinen, als doch seit 1989 die Stiftung mit 285 Millionen Euro die Rettung von über 3.000 Kirchen in Ost- und Westdeutschland unterstützte. War denn alles vergebens?

Der Abriß eines Kirchengebäudes sei die „Ultima ratio“, heißt es aus beiden Kirchen. In der „Arbeitshilfe Umnutzung von Kirchen“, Herausgeber ist die Deutsche Bischofskonferenz, vom 24. September 2003 steht allerdings unter Punkt 5.3 Folgendes: „Im Einzelfall kann der Abriß einer (nicht mehr benötigten, architektonisch und kunsthistorisch unbedeutenden) Kirche einer kostspieligen Bauunterhaltung oder einer unangemessenen Weiternutzung vorzuziehen sein.“ Eine Bewertung des Nutzens eines Kirchengebäudes sollte über ein Beratergremium auf Diözesanebene erfolgen. Konkret heißt das: In einer Art Triage, wie im Rettungsdienst bei Massenunfällen, zum Beispiel wie bei einem Flugzeugabsturz, wird der Nutzen der Rettung eines Gebäudes nach immobilienwirtschaftlichen Kriterien bemessen. Es wird in drei Kategorien eingeteilt: „unverzichtbar, verzichtbar und unverzichtbar, wenn bezahlbar“, so die Deutsche Stiftung Denkmalschutz.

Es mögen Kirchenvertreter, Juristen, Bau- und Kunstreferenten zusammensitzen und Empfehlungen aussprechen, vollkommen ohne Einfluß ist die betroffene Gemeinde. Hier ein Beispiel aus Hamburg: Als im Jahr 2008 im Stadtteil Barmbek erstmals nach 1945 wieder eine Kirche abgerissen wurde, war die Empörung der Barmbeker groß. Opfer der Abrißbirne wurde ihre Heiligengeistkirche. 1908 war der neugotische rote Backsteinbau geweiht worden. Die Kirche wurde während der alliierten Bombenangriffe auf Hamburg 1943 stark zerstört. Doch in der Nachkriegszeit bauten die Hamburger viele Kirchen wieder auf. So wurde auch die Heiligengeistkirche wieder jahrzehntelang der Mittelpunkt der Gemeinde. Doch irgendwann mußte auch sie wieder saniert werden. Die Kosten für das damals über hundert Jahre alte Gebäude hätten sich auf 2,8 Millionen Euro belaufen. Zu viel Geld für die Gemeinde und den Kirchenkreis. 2005 wurde die Kirche profaniert, also entwidmet. Die Welt zitierte damals den Vorsitzenden der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Nordelbien, den Eppendorfer Pastor Ulrich Rüß, der schon damals den Kirchenabriß in Barmbek als einen „Indikator für eine fehllaufende Entwicklung“ kritisierte. „Während die nordelbische Synode jetzt ihre Finanzmittel für ein Gender-Mainstreaming-Projekt aufgestockt habe, werde an anderen Stellen gespart.“ Nun, in Hamburg sollten auf dem Gelände 65 Neubauwohnungen entstehen, es wurden um die 40, aber dafür gibt es jetzt eine Tiefgarage. Die Kirche selbst war zuvor ausgeschlachtet worden, die Orgel beispielsweise nach Portugal verkauft, die Uhr an einen privaten Sammler. Ein Teil der Fassade steht noch heute. Zu erkennen ist die Kirche allerdings nicht mehr.

Es ist nicht so, daß es sich die beiden Kirchen einfach machen, sie haben wirklich existentielle Probleme, zumal im Osten. Allein die evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hat 2021 auf ihrem Gebiet knapp 4.000 Kirchen und Kapellen. Davon fast die Hälfte allein in Thüringen, berichtete der evangelische Pressedienst (epd). 99 Prozent davon seien denkmalgeschützt. Demgegenüber haben die Kirchengemeinden der EKM durchschnittlich nur 178 Mitglieder. Zum Vergleich: Die EKD zählt bundesweit durchschnittlich 1.190 Mitglieder pro Kirchengemeinde. Zwar hat sich der Anteil der baupolizeilich gesperrten Kirchen von 1989 zu 2021 von zehn auf weniger als ein Prozent reduziert. Das liegt allerdings auch an dem unglaublichen Engagement der Dörfler in den Nachwendezeiten. Gerade in Thüringen, dem Bundesland, das fast in jedem Dorf gefühlt zwei riesige Kirchenbauten hat, eine evangelische und eine protestantische, war Engagement gefragt. In den neunziger Jahren waren Alarmanrufe von Bürgermeistern in den Redaktionen häufig. Sie brauchten Geld- und Sachspenden, einen schnellen Draht zu Behörden oder zur Landesregierung. Die Kirchen, ihre Sicherung und ihr Wiederaufbau waren in dieser Zeit ein Thema, das Dörfer wieder zusammenwachsen ließ. Unterstützung durch die Redaktionen war Ehrensache – damals.

Im 19. Jahrhundert verfestigte sich die Vorstellung von der architektonisch reinen Kirche im Stil der Neo-Gotik. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Hunderte von neuen sakralen Gebäuden in Betonbauweise gebaut. Sie sind es heute, die als erste fallen. Wie 2022, als die Berliner Zufluchtskirche im Falkenhagener Feld im Bezirk Spandau entwidmet wurde. Der 20 Meter hohe Betonturm wies den Mittelpunkt in diesem Neubauviertel aus. Die Kirche entwarf der West-Berliner Architekt Bodo Fleischer für die Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten eben auf dem Gelände ihres ehemaligen Lagers. Das Gebäude unterlag leider keinem Denkmalschutz. 2020 wurde es an den Bezirk verkauft, um mit den Einnahmen die Sanierung der zuvor bei Sanierungsarbeiten ausgebrannten Jeremia-Kirche, ebenfalls von Fleischer entworfen, zu finanzieren. Statt die Zufluchtskirche zu sanieren und umzubauen, wurde sie 2023 mit Unterstützung des Bundes, sinnigerweise aus dem Fördertopf „Nachhaltige Erneuerung“, abgerissen, berichtet der Verein zur Förderung der Denkmalpflege „Denk mal an Berlin“. Das geplante konfessionslose Gemeindezentrum ist immer noch in Planung – Baubeginn unbekannt.

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat Anfang Mai 2024 ein Kirchenmanifest geschrieben. Es ist im Internet veröffentlicht und kann, wie eine Petition, unterzeichnet werden. Darin widerspricht die Stiftung der Auffassung der katholischen und evangelischen Kirchen, sakrale Gebäude aus immobilienwirtschaftlicher Sicht zu beurteilen. Wer dies tue, beraube die Communitas. „Staat und Gesellschaft können und dürfen sich ihrer historisch begründeten Verantwortung für dieses kulturelle Erbe nicht entziehen. Deshalb rufen wir dazu auf, der neuen Lage mit neuen Formen der Trägerschaft zu begegnen: mit einer Stiftung oder Stiftungslandschaft für Kirchenbauten und deren Ausstattungen.“ 

Im Manifest liegt Dynamit versteckt. Unter dem Punkt „Kirchenbauten brauchen eine neue Trägerschaft“ fordern die Unterzeichner: „Kirchenbauten und ihre Ausstattungen gehören nicht allein den kirchlichen Institutionen und Gemeinden. Als ererbte Räume sind sie Gemeingüter, sie gehören allen.“ 


Deutsche Stiftung Denkmalschutz www.denkmalschutz.de

Foto: Heiligengeistkirche im Hamburger Stadtteil Barmbek: 2008 wurde sie abgerissen