Als im Frühjahr 2023 bekannt wurde, daß die unter Regie der beiden Grünen-Politikerinnen Annalena Baerbock und Claudia Roth Ende 2022 erfolgte „bedingungslose“ Übereignung der bis dahin in deutschen Museen ausgestellten Benin-Bronzen an den Staat Nigeria in die privaten Hände der Nachfahren der im vorkolonialen Nigeria regierenden Sklavenhalterfamilie Oba überging, war die Entrüstung groß. Fast ebenso groß war die Häme über die Naivität der Akteure. Der von Kulturstaatsministerin Roth als „Wendepunkt in der internationalen Kulturpolitik“ gefeierte Akt sorgte letztlich dafür, daß ein bis dato öffentlich zugängliches Weltkulturerbe nun einzig vom 69jährigen König Ewuare II. bestaunt werden kann, solange dieser die Hunderte von Millionen Euro teuren Artefakte nicht auf dem anonymen internationalen Kunstmarkt versilbert.
Damit rückte die Kritik an der Rückgabe von Kunstwerken unter dem Vorzeichen postkolonialer Wiedergutmachung wieder ganz nach oben auf die Tagesordnung kulturpolitischer Debatten. Der FAZ-Redakteur Patrick Bahners widmet dieser „Kampagne in Deutschland“ ein 260 Seiten dickes Büchlein, das er vergangene Woche in der Bibliothek des Konservatismus in Berlin vorstellte. Darin legt er die Hintergründe dieses „Restitutions-Aktivismus“ offen und würdigt ihren „quasireligiösen moralischen Enthusiasmus“ kritisch. Als Schlüsselfigur nimmt Bahners dabei die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ins Visier, die als Lehrstuhlinhaberin an der Technischen Universität Berlin und am Pariser Collège de France maßgeblich die Provenienzforschung dieser „Raubkunst“ initiierte und als deutsch-französische Netzwerkerin die politischen Folgerungen daraus steuerte.
Die Autorität der 52jährigen stützt sich auf die von ihr maßgeblich forcierte Forschung der „Translokationen“ von Kunstwerken, die sie als eine der ersten Juniorprofessorinnen seit 2002 im Zeitalter von NS-Raubkunst-Restitutionen bis hin zur jüngsten – von der woken Critical Whiteness dominierten – Postkolonialismusdebatte „von einer Hilfswissenschaft oder Servicedisziplin für institutionelle Auftraggeber zum Grundlagenfach einer kritischen Kulturgeschichte umgebaut hat“, wie Bahners anerkennend analysiert. In dieser Funktion war sie nicht nur ständige Ratgeberin für Kulturpolitiker und Dauergast in einschlägigen Presse-Foren oder dem Deutschlandfunk, sondern war 2015 bis 2017 auch Mitglied in der internationalen Expertenkommission des Humboldt-Forums, wo im neugebauten Berliner Schloß die außereuropäischen Sammlungen ihren Platz finden sollten.
Das lenkte die Aufmerksamkeit höchster Stellen auf die rührige, als Wissenschaftlerin getarnte Kulturpolitikerin. So sollte sie 2018 im Auftrag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit dem senegalesischen Wissenschaftler Felwine Sarr die Möglichkeit der Rückgabe von Kulturgütern französischer Museen an afrikanische Länder untersuchen. Natürlich war das spätere Gutachten – wenig überraschend – ein klares Plädoyer für die „Rückgabe europäischer Raubkunst“ an die Ursprungsländer im globalen Süden. Allerdings sollte diese in Frankreich nie Präzedenzcharakter erreichen, da von vornherein feststand, daß am Bestand der in Frankreich als Patrimonium gehorteten Kunstschätze als nationales Erbe nicht gerüttelt wird und nur in Ausnahmefällen und bestenfalls als außenpolitisches Quidproquo eine Restitution stattfindet.
Macrons Restitutions-Gutachten hatte in Berlin größere Wirkung
Tatsächlich sollte Macron 2021 aufgrund des Gutachtens von Savoy und Sarr mit der Rückgabe von Holzstatuen aus dem Königreich Dahomey an den Staat Benin erstmals davon Gebrauch machen, vom ehernen französischen Gesetz über die „Unveräußerlichkeit der Vermögenswerte der öffentlichen Domäne“ abzuweichen. Auch wenn Savoy diesen Schritt damals als ein „großes Weltereignis“ feierte, konnte ihr Gutachten in Paris dennoch keine Verbindlichkeit bewirken und blieb ein symbolischer Akt.In der Öffentlichkeit war die Zustimmung verhalten. Ganz anders war die Resonanz in Berlin. „Macrons Vorschlag hat in Frankreich nicht gefruchtet, sondern in Deutschland“, stellte Savoy fest. Als intime Kennerin der deutschen wie der französischen Befindlichkeiten war sie allerdings nicht überrascht. „Der französische Präsident hat eine Billardkugel angestoßen, hat Dynamik gebracht, und diese Kugel, nämlich Restitution, hat die deutsche Kugel angestoßen, und die bewegt sich weiter, während die französische ein bißchen langsamer geworden ist“, schilderte sie 2021 amüsiert dem Journalisten Tilo Jung.
Daß Bénédicte Savoy höchstpersönlich, befeuert von postkolonialistischen Eiferern wie dem Hamburger Afrikahistoriker Jürgen Zimmerer, großen Anteil daran hat, daß sich in Berlin die Debatte „weiterbewegt“, stellt Bahners in seiner luziden Analyse heraus. Anders als in seinem Buch hielt er sich aber gegenüber dem Auditorium in der BdK mit scharfer Kritik an dem von Moral diktierten „Restitutions-Aktivismus“ zurück, lediglich die rhetorische Frage, „ob das alles überlegt“ von den politischen Akteuren umgesetzt werde, ließ er im Raum stehen.
Kontakt: Bibliothek des Konservatismus,10623 Berlin, Tel: 030 | 315 17 37 – 0, www.bdk-berlin.org
Foto: Patrick Bahners bei seinem Vortrag in der Bibliothek