© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/24 / 13. September 2024

Zeitschriftenkritik: Ruperto Carola
Kollektives Gedächtnis, eigene Erinnerung
Werner Olles

Das zweimal jährlich erscheinende Forschungsmagazin der Universität Heidelberg, Ruperto Carola, befaßt sich in seiner aktuellen Ausgabe (Nr. 24) als Schwerpunktthema mit dem Begriffspaar „Vergessen & Erinnern“, welches für ein Forschungsfeld steht, bei dem es beispielsweise um die Entdeckung des Schlüsselgens der Alzheimerkrankheit geht, aber auch um grundlegende Arbeiten zu molekularen und neuronalen Mechanismen spezieller Gedächtnisleistungen. So bietet das Heft einen Einblick in aktuelle Heidelberger Forschungsarbeiten in der Neurophysiologie, in der Psychologie und in der Medizin, die sich mit gedächtnisbezogenen Prozessen des Gehirns, aber auch mit unserem Immunsystem beschäftigen, für das Erinnern und Vergessen ein zentrales Prinzip bilden. Beide Begriffe spielen darüber hinaus auch in anderen Forschungszusammenhängen quer durch die Fakultäten eine relevante Rolle. Die Wissenschaftler, die in dieser Ausgabe ihre Arbeit vorstellen, befassen sich etwa mit Fragen der Erinnerungskultur und mit Geschichtsnarrativen europäischer Nationen, mit Tropfsteinen und Meteoriten, die die Erinnerung an Zehntausende Jahre zurückliegende Naturereignisse bewahrt haben, oder mit neuartigen „Memory materials“ zur Speicherung von Informationen. So sprechen die Kunsthistorikerin Monica Juneja und die Neurobiologin Hannah Monyer über bewußtes Vergessen und zelluläre Signalprozesse, über kollektives Gedächtnis und individuelle Erinnerungen, sowie über den Einfluß, den Vergangenes darauf hat, wie wir uns in Gegenwart und Zukunft zurechtfinden, während umgekehrt die Gegenwart die Erinnerung an die Vergangenheit verfälschen kann.

Thomas Maissen, Professor für Neuere Geschichte, forscht über die „Geschichtsnarrative europäischer Nationen“, mit einem Fokus auf jüngere ost- und mitteleuropäische Staaten, wobei es nicht nur um bekannte Namen wie Napoleon, Hitler oder Stalin geht, sondern auch um die historische Erinnerung an Gewalttäter, die wegen konträrer Deutungen bis heute das zwischenstaatliche Zusammenleben belasten. So seien Ängste vor dem aggressiven Nachbarn konstitutiv für das historische Selbstverständnis aller Nationen und historische Traumata in Mittel- und Osteuropa durchaus kein erinnerungspolitischer Sonderfall.

Lutz Frölich, Professor für Gerontopsychiatrie, der über „Neuartige Therapien gegen Alzheimer“ forscht, sieht im Vordergrund der klinischen Forschung derzeit molekulare Antikörper, deren klinische Wirksamkeit sich gegen die folgenschweren unauflöslichen Ablagerungen im Gehirn richtet. In frühen Stadien der Erkrankung könnte mit den neuen Therapien erstmals ein „echter Durchbruch“ erzielt werden.


Kontakt: Universität Heidelberg, Kommunikation & Marketing, Grabengasse 1, 69117 Heidelberg. Der Bezug ist kostenlos. www.uni-heidelberg.de