Neben Debatten um eine Verjüngung der Marke und einen Wechsel des Erscheinungstages tobt beim Spiegel seit Monaten ein Machtkampf an der Spitze. Chefredakteur Dirk Kurbjuweit gegen die stellvertretende Chefredakteurin Melanie Amann – „wer muß gehen?“, fragte bereits die Welt.
Genau in dieser angespannten Zeit berichtet das Nachrichtenportal Nius unter Berufung auf interne Nachrichten von „einer handfesten Überwachungsaffäre aus Pandemie-Zeiten“. So soll die Hauptstadtjournalistin 2020 Überwachungsmaßnahmen gegen eine frühere Kollegin gefordert haben, die das Corona-Regime der Regierung kritisch gesehen hat. Laut Nius soll Amann den Verdacht geäußert haben, die Ex-Mitarbeiterin habe „vor ihrem Abgang eine Corona-Story unseres Wissenschaftsressorts geleakt“ und „an einen Virologen, der darin sehr kritisiert wurde“, weitergeleitet. Gemeint war Klaus Stöhr, für Amann ein Virologe, den die Kollegin „immer sehr gepusht hat bei uns, so ein Corona-Verharmloser“.
Überlegungen, die E-Mails der Ex-Kollegin zu durchleuchten
Daraufhin sollen intern Nachforschungen gegen die ehemalige Spiegel-Mitarbeiterin diskutiert und geprüft worden sein, bis hin zur Durchleuchtung ihrer dienstlichen Korrespondenz: „Unser Ombudsmann geht an ihre Mails“, den „Account gibt es ja noch“. Treibende Kraft: Melanie Amann, die seitdem innerhalb der Redaktion für einige den Spitznamen „IM Amann“ trage. Die damalige Chefredaktion habe sich jedoch schließlich gegen eine Öffnung des Postfachs und eine Durchsuchung der Mails entschieden, stellt der Spiegel klar und bestätigt damit indirekt die skandalösen Vorgänge.
Die Nius-Recherche ist besonders brisant, da das Duell beim Hamburger Nachrichtenmagazin erst kürzlich einen Eskalationshöhepunkt erreicht hat. Ende August berichtete der Business Insider, Dirk Kurbjuweit habe versucht, seine Konkurrentin loszuwerden. Der 61jährige ist bereits seit 1999 beim einstigen „Sturmgeschütz der Demokratie“. Trotzdem fehlte es ihm laut Business Insider an einer breiten Machtbasis, als er im Mai 2023 für viele überraschend zum neuen Chefredakteur aufstieg.
Sein Vorgänger Steffen Klusmann protegierte die AfD-kritische und von Talkshow zu Talkshow ziehende Amann. Damit war unter Kurbjuweit Schluß: „Er entzog Melanie Amann die Verantwortung in der Chefredaktion für die Politik-Berichterstattung, zog sie von der Leitung des Berliner Büros ab. Kürzlich mußte sie auch die Koordination für investigative Recherchen abgeben.“ Ein Affront. Mittlerweile gilt das Verhältnis der beiden als zerrüttet, heißt es.
Dann der jüngste Versuch, Amann endgültig auszubooten. Gerüchte machten die Runde, die 46jährige verhandle bereits über Abgang und Abfindung. Doch Amann wehrte sich und „soll sich die Rückendeckung durch die einflußreiche Mitarbeiter KG gesichert haben, der die Mehrheit des Spiegel-Verlages gehört und gegen deren Willen keine wesentliche Entscheidung gefällt werden kann“. Kurbjuweit düpiert und geschwächt.
Nun der Nius-Bericht – Amann im Fokus –, basierend auf vertraulichen Nachrichten und Aussagen ehemaliger Spiegel-Mitarbeiter. Sticht hier jemand aus Eigeninteresse gezielt schmutzige Wäsche an „böse rechtspopulistische“ Medien durch? Eine Aussage hat es in sich, erweitert sie doch die Vorwürfe gegen Amann aus Mainstream-Sicht um das Schlimmstmögliche: redaktionsintern werde ausgerechnet ihr eine Nähe zur AfD nachgesagt, die auch schon mal „über professionelle Kontakte hinausging“.
Unterdessen sinkt die Auflage des Spiegels weiter. Im zweiten Quartal verbreitete das Nachrichtenmagazin inklusive E-Paper, Frei- und Bordexemplaren sowie „sonstigen Verkäufen“ nur noch 680.109 Exemplare. Das sind 7,8 Prozent weniger als noch vor zwei Jahren.
Foto: „Spiegel“-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit und seine Stellvertreterin Melanie Amann