Rationalität. Nicht große Männer, nicht soziale Klassen, nicht ökonomische Kräfte sind für den Heidegger-Schüler Silvio Vietta der Motor unserer Gegenwart, sondern die Hauptakteurin der europäischen, jetzt globalen Geschichte ist ein einseitiges, aber höchst effizientes Vermögen des Menschen: die Rationalität. Der gegenwärtige Weltzustand verdankt sich ihrer Entwicklungsdynamik, die in der griechischen Antike begann und die im Verlauf der letzten 2.700 Jahre immer stärkere Schubkraft gewann. Die „weiße“ europäische Rationalität war die Kraft hinter kolonialen Eroberungen, unterwarf andere Kulturen, schuf die Industrialisierung und die Technisierung des Globus. Für seine „Weltgeschichte der Rationalität“ (München 2012) benötigt Vietta schlanke 400 Seiten, die dem Leser jedoch einiges abverlangen. Trotzdem nehmen sie sich fast wie eine Gute-Nacht-Lektüre aus im Vergleich mit dem 1.200seitigen, die Entwicklungslinien neuzeitlicher Rationalität nachzeichnenden Epos, das der Ideenhistoriker Felix Dirsch vorlegt – und dabei handelt es sich „nur“ um Teil 1! Keine Frage, da wird in einigen Kapiteln, etwa denen zur Technikphilosophie des 19. Jahrhunderts, zu Max Webers Ansichten über den „okzidentalen Rationalisierungsprozeß“, zur Technikkritik der Frankfurter Schule, der Nordpol zum zweiten Mal entdeckt. Mit Gewinn liest man hingegen Dirschs originelle Analysen der digitalen Rationalität und ihrer „kalifornischen Ideologie“, der sich der Verfasser im Teil 2 seines enzyklopädischen Werkes ausführlicher widmet. (dg)
Felix Dirsch: Logiken des Wandels. Teil 1: Entwicklungslinien technischer, politischer und ökonomischer Rationalität in der Neuzeit. Ein Überblick, Verlagshaus Schlosser, Pliening 2023, gebunden, 1.229 Seiten, 40,90 Euro
Italien. Der Jurist und Philosoph Lothar C. Rilinger beschreibt seine Reise durch die Kernlandschaften des christlichen Abendlandes von Friaul und Venedig, die Toskana, Florenz und Umbrien bis hin nach Rom. In dieser Begegnung mit der christlichen Religion hofft er den Abglanz des göttlichen Lichtes wahrzunehmen, begibt sich in alte Kathedralen und stößt dabei auf Kunstwerke und Zeugnisse der Verherrlichung Gottes. Er spürt die tief verwurzelte Volksfrömmigkeit und den göttlichen Funken in jeder Skulptur und jedem Bildnis, wenngleich auch die Verflüchtigung der Glaubenskultur tragisch spürbar wird. Doch die Dimension der Schönheit der von ihm besuchten Bau- und Kunstdenkmäler trägt auch zu der heute mehr denn je dringend notwendigen Orientierung im spirituellen Bereich auf dem Weg zu Gott und dem Sinn des Lebens bei. Das reich bebilderte Buch wirkt somit auch der drohenden Entchristlichung unserer Gesellschaft entgegen. (W.O.)
Lothar C. Rilinger: Auf der Suche nach dem Licht. Zeichen des Glaubens auf dem Weg von Aquileia nach Rom. Lepanto Verlag, Rückersdorf bei Nürnberg 2024, gebunden, 310 Seiten, Abbildungen, 21,50 Euro