Wer ist Ihr Vorbild – und warum?“ Die Frage aus Bewerbertrainings für Vorstellungsgespräche kann den derart Angesprochenen, sofern er darauf nicht hinreichend vorbereitet ist, schon mal ins Schleudern bringen – und am Ende des Tages den Job kosten. Deswegen geben Personal-agenturen oder Online-Stellenbörsen wie Stepstone umfangreiche Tips zum Thema „Vorbilder“. Dabei ist es heutzutage auch auf allen möglichen Social-Media-Kanälen ein beliebtes Format, Personen des öffentlichen Interesses (oder solche, die sich dafür halten) auch mit Hilfe dieser Frage vorzustellen. Die Art dieses Frage-Antwort-Spiels ist sicherlich nicht erst mit Youtube oder ähnlichen Plattformen aufgekommen, Maischberger & Co. haben jene Methode schon weitaus früher benutzt.
Ein Helmut Schmidt antwortete darauf, er lehne Vorbilder eigentlich ab, empfinde sie jedoch in bestimmten Lebenssituationen als hilfreich. Der Ex-Kanzler schrieb darüber ein ganzes Buch („Was ich noch sagen wollte“, 2015), in dem er von Menschen erzählte, die ihn prägten und an denen er sich orientierte. Neben Immanuel Kant, Max Weber und Karl Popper war das für ihn allen voran der römische Kaiser Marc Aurel. Dessen Maximen zur Lebensführung, die Selbstbetrachtungen, begleiteten auch Schmidt jahrzehntelang. Nicht wohl gefühlt hat sich der pflichtbewußte, zurückhaltende Hanseat indes dabei, daß er später für viele Menschen selbst zu einem Vorbild wurde.
Ideen und Werke können ins Negative kippen
Es ist eine durchaus berechtigte Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, sich von bestimmten Personen im Denken und Handeln beeinflussen zu lassen, die man unter Umständen nicht einmal persönlich kennt. Es lohnt sich daher zu bestimmen, was ein Vorbild ausmacht. Die Kriterien dafür gehen nämlich denkbar weit auseinander: Bezieht man sich eher auf die Werte, Einstellungen und Meinungen, die eine Person vertritt oder vertreten hat? Oder sind es mehr die Lebensweise und der Charakter, die nachhaltig beeindrucken und zur Nachahmung reizen? In einer breit angelegten, wenn auch schon etwas älteren Forsa-Umfrage (2003) für das Magazin Stern wurden auf den ersten zehn Plätzen Namen genannt wie Mutter Teresa, Nelson Mandela, Michail Gorbatschow, Albert Schweitzer, Mahatma Gandhi und Martin Luther King – und nicht zum Beispiel Karl Marx, dessen politisches Werk viele Menschen seit mittlerweile über 150 Jahren fasziniert. Abseits der Diskussion, wie viele hundert Millionen Opfer der Versuch, diese Utopie zu erreichen, forderte, dürfte dafür auch die wenig vorbildliche Lebensweise des gebürtigen Trierers ausschlaggebend sein. Die Berichte über die Unfähigkeit, für seine Familie zu sorgen, die Untreue zu seiner Frau und die Verweigerung des Einhaltens jeglicher Hygienestandards zeichnen ein deutliches Bild. Es kann also nicht nur die Philosophie einer Person sein, die ein Vorbild ausmacht. Es gehört mehr dazu.
Vielleicht ist man besser beraten, den Charakter einer Person herzunehmen, um daran dann zu bemessen, ob er „vorbildstauglich“ sein könnte. Hier kann man das Beispiel des alttestamentlichen Königs David betrachten. Ein unbedeutsamer Hirtenknabe, der von Gott zum Herrschen berufen wird, der bescheiden ist und nicht nach Macht strebt. Er stellt seinen mutigen und selbstlosen Charakter im allseits bekannten Kampf gegen den Riesen Goliath unter Beweis. Eigentlich ein geeigneter Kandidat für ein Vorbild.
Doch muß man die Geschichte bis zum Ende lesen. David wird König, geliebt von Volk und Gott, doch es reicht ihm nicht. Er schickt seinen General in den Tod, weil er ihm seine Ehefrau neidet. Es bleibt nicht die einzige Situation, in der sich herausstellt, daß auch ein ursprünglich feiner Charakter nicht vor Verderblichkeit gewappnet ist.
Eine Person kann letztlich noch an ihren Taten bewertet werden. Es gibt zahllose Beispiele für Menschen, die Großes erreicht haben und doch fragwürdige Einstellungen und dubiose Charaktere hatten. Christoph Kolumbus oder Ludwig XIV. können hier genannt werden. Was macht also ein Vorbild aus? Einfach gesagt ist es die Kombination aus den drei beleuchteten Faktoren: ein Mensch, der Einstellungen und Werte hat, die darauf abzielen, die in seiner Verantwortung liegenden Personen zu fördern und zu schützen. Ein Mensch, der einen reinen Charakter besitzt – dazu gehört, daß er sich zeit seines Lebens seiner Schwächen bewußt bleibt, aber auch seiner Stärken. Ein Mensch, der in dieser Freimut die Tapferkeit besitzt, große Taten zu vollbringen, die auch dem Wohl seiner Mitmenschen zugute kommen.
Ehrliche Überzeugungen, ein freimütiger Charakter und der Wille, diese Eigenschaften im Guten einzusetzen – das sind Menschen, die man sich zum Vorbild nehmen kann: Ist man in einer schwierigen Situation und merkt, wie man weiche Knie und einen erhitzten Kopf bekommt, kann man sich fragen: „Was hätte ... wohl gemacht?“ Dies ist letztlich der Sinn eines Vorbildes. Es ist eine Stütze, über sich hinauszuwachsen, ein Trost in dunklen Stunden und ein Grund, sich um so mehr zu freuen, wenn man etwas erreicht hat.