Klare Kante gegen die AfD. Brandenburgs SPD-Spitzenkandidat Dietmar Woidke geht im Kampf um die rund 2,1 Millionen Wähler ein hohes Risiko ein, will die in Umfragen führende Rechtspartei am Sonntag vom Thron stoßen. „Wenn die Wähler mehrheitlich AfD wählen, dann bin ich weg“. CDU-Herausforderer Jan Redmann muß sich mit Woidke-Fans in den eigenen Reihen auseinandersetzen. Die Wagenknecht-Partei (BSW) dürfte wie vor drei Wochen in Thüringen und Sachsen zweistellig in den Potsdamer Landtag einziehen. Grünen, Freien Wählern (BVB/FW), Linken und FDP droht die außerparlamentarische Opposition.
Brandenburg, lange Jahre nach dem Mauerfall im Westen abfällig als „kleine DDR“ bezeichnet, soll SPD-Land bleiben, denn die Partei regiert ununterbrochen seit 1990. Ein akzeptables Ergebnis ist deshalb für die Bundes-SPD von besonderer Bedeutung. Schafft es der eher pragmatisch orientierte Landesverband auf Platz eins, werden die beiden Bundeschefs Saskia Esken und Lars Klingbeil von einer Trendwende sprechen und die Arbeit von Kanzler Olaf Scholz bestätigt sehen. Dabei hatte „Parteifreund“ Woidke auf gemeinsame Auftritte mit dem wenig beliebten, in Potsdam wohnenden Regierungschef bewußt verzichtet. Ein Affront, den Scholz äußerlich gelassen hinnahm.
Daß Generalsekretär Kevin Kühnert nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen erleichtert das Überspringen der Fünfprozenthürde hervorhob, hatte am Selbstbewußtsein der Genossen gekratzt. So schlecht stehen die Chancen nicht, daß der gelernte Agraringenieur seine von Niederlagen gebeutelte Partei wieder aufrichten kann. Woidke, ein Hoffnungsträger?
Gegen den Amtsbonus des 62jährigen Ministerpräsidenten scheint CDU-Mann Redmann eine überzeugende Strategie zu fehlen. Die Umfragewerte sanken auf zuletzt 15 Prozent, obwohl es im Bundestrend für die CDU gut läuft. Daß Redmanns CDU in den Umfragen zuletzt deutlich zurückgefallen ist, kann dem 45jährigen Juristen nur bedingt angelastet werden. Denn die eigenen Parteifreunde sind ihm in den Rücken gefallen, scheinen ihn abgeschrieben zu haben. In einem Doppelinterview mit Woidke wünschte sich dessen sächsischer Kollege Michael Kretschmer (CDU) „sehr, daß wir weiter gemeinsam Verantwortung übernehmen“. Woidke habe „dem Land sehr gutgetan“. Geht’s noch? Auch die einstige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, CDU-intern bedeutungslos, sprach sich für den seit 2013 amtierenden Regierungschef aus. Parteifreunde oder eher Parteifeinde? Daß Redmann im Sommer bei einer Trunkenheitsfahrt auf einem Elektroroller mit 1,28 Promille erwischt wurde und ein halbes Jahr auf seinen Führerschein verzichten muß, hat ihn zwar bekannter gemacht, aber sein Ansehen wohl nicht erhöht. Redmann, Landes- und Fraktionschef, bleibt die Hoffnung, als Juniorpartner in einer Koalition gebraucht zu werden. Seit 2019 wird Brandenburg von einer „Kenia-Koalition“ regiert, einem Bündnis aus SPD, CDU und Grünen.
Die Ökopartei muß laut Umfragen um den Wiedereinzug in den Landtag fürchten, der seit 2014 im wieder aufgebauten Potsdamer Stadtschloß tagt. Die Umfragen pendeln um die fünf Prozent, mal darüber mal darunter. Was die linke Plattform Campact veranlaßt hat, der grünen Direktkandidatin Marie Schäffer mit 72.000 Euro unter die Arme zu greifen. Die Stoßrichtung ist klar. „Nur mit Grün verhindern wir eine AfD-Veto-Macht im nächsten Landtag“, heißt es auf der Internetseite Schäffers, die in Potsdam bereits 2019 direkt gewählt worden war. Fünf Jahre später geht es um die Grundmandatsklausel. In Brandenburg reicht der Gewinn eines Direktmandats aus, um die Fünfprozenthürde außer Kraft zu setzen. Klappt der Coup, wären die Grünen mit drei oder vier Abgeordneten im Landesparlament. „Höchst problematisch“, empört sich Brandenburgs Kulturministerin Manja Schüle (SPD), eine Gegenkandidatin Schäffers ohne Absicherung auf der Landesliste.
Derweil mischt ein Ex-Genosse Schüles auf BSW-Ticket, der Arbeitsrichter Robert Crumbach, zusammen mit Parteichefin Sahra Wagenknecht das gewachsene Parteiensystem auch in Brandenburg auf. Der Landesverband existiert noch keine vier Monate, doch das BSW braucht sich nicht über mangelnden Zuspruch zu beklagen. Während Wagenknecht die großen Linien der „Friedenspolitik“ zieht, beackert der Ex-Sozialdemokrat mit 40 Jahren SPD-Vorleben Landesthemen wie Wohnungsbau, mehr Polizisten, mehr Lehrer. Auch in Brandenburg wird über ein Bündnis zwischen SPD, BSW und CDU spekuliert, doch macht das Landeswahlrecht mit Ausgleichs- und Überhangmandaten Prognosen schwierig.
Linke und Freie Wähler zittern vor Fünfprozenthürde
Sicher ist nur, daß die AfD, deren Landesverband vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, ungeachtet des Wahlergebnisses außen vor bleiben soll. Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt, früher Laborarzt an der Berliner Charité, hält die Ausgrenzungsstrategie für gescheitert (siehe Interview Seite 3). Nicht ausgeschlossen, daß die AfD auch in Brandenburg mit einer Sperrminorität weitreichende Entscheidungen wie Verfassungsänderungen beeinflussen kann. In der Schlußphase des Wahlkampfes hat die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg noch eine Kampagne gegen die AfD aufgelegt.
Und die Kleinparteien. Dazu zählt inzwischen auch die einst mächtige Linke, die noch bis 2019 am Kabinettstisch von Woidke gesessen hat. Jetzt kämpfen die SED-Nachfolger, geschwächt durch die BSW-Abspaltung, um den Wiedereinzug in den Landtag. Ebenso wie die Freien Wähler, die Ende 2023 durch den Wechsel eines ihrer Abgeordneten zur AfD ihren Fraktionsstatus verloren hatten. Mit einem Direktmandat und einer Punktlandung auf fünf Prozent war dem Bündnis 2019 der Sprung ins Parlament geglückt. Und die FDP? Spitzenkandidat Zyon Braun müht sich redlich, doch Brandenburg ist kein FDP-Land. Nur in neun von 34 Jahren gab es Liberale im Landtag.