© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/24 / 20. September 2024

GegenAufklärung
Kolumne von Karlheinz Weissmann

Printmedien, stichprobenartig: Nehmen wir die aktuelle Ausgabe des Spiegel, die mit einem Sneaker in AfD-Farben auf dem Umschlag erscheint, unter der Sohle – wenn man genau hinsieht – klebt der braune Dreck, dazu der Titel „Jung Rechts Extrem – Warum so viele Jugendliche völkisch denken“. Geboten wird auf acht Druckseiten ein Panoptikum des politischen Schreckens, jedenfalls aus Spiegel-Sicht, ob all der Heranwachsenden, die, vor allem im Osten, nach „rechts“ driften, was selbstverständlich nur bedeuten kann nach „rechtsaußen“, da, wo die Nazis sind. Weshalb es ganz wichtig ist, den Vergangenheitsbewältigungsturbo anzuwerfen und mehr Zwangsbegegnungen der Eingeborenen mit Farbigen und Queeren etc. herbeizuführen, auf daß sie deren Mensch-Sein und das Glück der großen Gleichheit begreifen. Nehmen wir dann den Bericht von Paul Ingendaay in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom vergangenen Montag über die Ausstellung „Forgive Us Our Trespasses / Vergib uns unsere Schuld“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW), illustriert mit einer Gesprächsgruppe von sechs People of Color in eher abgerissener Kleidung samt Thema der Veranstaltung in übergroßen Buchstaben im Hintergrund: „Wem gehört Deutschland?“. Ingendaays Text ist distanzlos – vorsichtig ausgedrückt – und endet unter Hinweis auf den Rapper Amewu, der mit der Aufforderung an das Publikum herantrat, sich zu „connecten“: „Wenn schwarze Menschen sich auf der Straße zunicken, das ist doch ein Zeichen: Du verstehst mich, ich verstehe dich. Wir kennen eben das Gefühl von Fremdsein hier. Es ist eine Körperschau.“ Was von Ingendaay dahingehend (ironisch?) kommentiert wird, wie wichtig es doch sei, den guten Leuten „diesen Space“ zu geben: „Für den eigenen Struggle, für Support und alles.“ Man kann den Spiegel- wie den FAZ-Beitrag als Beispiel für die Borniertheit des deutschen Journalismus nehmen, aber eher noch als Hinweis auf den Grad der Verblendung, der den politisch-medialen Komplex befallen hat oder als Erinnerung an eine Prophezeiung von Panajotis Kondylis, der angesichts der (vorletzten) Debatte um ein neues Staatsbürgerrecht äußerte, es werde in der Vielvölkerrepublik der Zukunft sicher zu Konflikten kommen, bei denen die Parteien vor dem Zusammenstoß kaum nach den Papieren der anderen Seite fragen würden.

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„Der Zustand der Anarchie ist die eigentliche Utopie, die in jeder Ordnung immer von neuem auftaucht, weil jede Ordnung von den Individuen Verzicht und Einschränkung verlangt: sie ist das Unmöglichste (denn das schrankenlose Individuum wäre Gott und das befriedete Individuum Tier) und tendenziell das Notwendigste (denn jedes Verzichtgebot stammt aus der Vergangenheit, und noch wenn es ganz überflüssig geworden ist, findet es traditionsbewußte und interessierte Verteidiger).“ (Ernst Nolte)

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Warum gibt es eigentlich keine „Opas gegen Rechts“? Greift da die geringere Lebenserwartung oder die überlegene politische Vernunft des männlichen Geschlechts?

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VW-Krise: Mir ist noch gut in Erinnerung, wie ich als frisch ernannter Studienrat vom Vater eines Schülers, der in Wolfsburg als Meister bei Volkswagen arbeitete, gesagt bekam: „Für ihr Gehalt würde ich keinen Finger krumm machen.“

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Wenn jemand das „Aufrechnen“ ablehnt, darf man sicher sein, daß er doppelten Maßstäben anhängt.

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Nicolás Maduro, der Despot Venezuelas, hat unlängst dekretiert, daß der Heilige Abend dieses Jahr auf den 1. Oktober vorverlegt wird. Es handelt sich keineswegs um den ersten Akt dieser Art von seiten des „Präsidenten“. 2020 hatte er den Beginn der Weihnachtszeit auf den 15. Oktober fixiert und 2021 auf den 4. des Monats.

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Den Kirchen laufen die Mitglieder davon, der Glaube verdunstet, auch weil seine Inhalte nicht mehr tradiert werden. Aber innerhalb der klerikalen Blase meint man immer noch, ganz andere Probleme bewältigen und ganz andere Lehren vermitteln zu müssen, weshalb nun auch die „Religionspädagogik postkolonial hinterfragt“ wird. Was sich dann folgendermaßen liest: „Diversitätssensible Religionspädagogik ermöglicht Denkräume, in denen der Umgang mit Andersheit reflektiert werden kann. In dialogischen Lernprozessen können verschiedene gesellschaftliche Positionen ausgehandelt werden und kritische Selbstreflexion eingeübt werden. Damit kann diversitätssensible Religionspädagogik einen zentralen Beitrag für ein gedeihliches, rassismus-sensibles und diskriminierungsarmes Zusammenleben in Schule und Gesellschaft leisten.“ (Britta Hemshorn de Sánchez)

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Die Tiefenentspanntheit, mit der der zweite Anschlag auf Donald Trump kommentiert wurde, ist an sich schon aufschlußreich. Läßt man die Betroffenheitsroutine beiseite, bleibt der Eindruck, daß da jemand ausgegrenzt, diffamiert und systematisch mit Haß und Hetze überzogen wurde, was nicht ohne Folgen bleiben konnte und jedenfalls den Attentäter in der Überzeugung bestärkte, als bewaffneter Arm der Guten das fleischgewordene Böse vernichten zu müssen. 




Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 4. Oktober in der JF-Ausgabe 41/24.