Nach langen Verhandlungen hat sich der Chemiekonzern Covestro mit dem arabischen Ölkonzern Adnoc auf eine Übernahme zu 62 Euro pro Aktie und insgesamt 11,7 Milliarden Euro geeinigt. Zehn Jahre nach dem Börsengang bekommt die Ex-Bayer-Tochter damit einen neuen Eigentümer. Vorstand und Aufsichtsrat des Dax-40-Konzerns unterstützen das Angebot aus Abu Dhabi. „Adnoc hat offenbar sehr großes Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit und Strategie unseres Unternehmens“, freute sich Covestro-Chef Markus Steilemann im Tagesspiegel. Für den deutschen Standort sei es ein gutes Zeichen, daß ein ausländisches Unternehmen eine solche Direktinvestition tätigt.
Die Eigenständigkeit von Covestro sei gesichert. Der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen gelte bis 2032. Es soll die Mitbestimmung im Aufsichtsrat beibehalten werden und unabhängige Aufsichtsräte auf Kapitalseite geben, wobei die Führung beim Management bleiben soll. „Diese strategische Partnerschaft ist eine ideale Verbindung. Sie paßt nahtlos in Adnocs nachhaltige Wachstumsstrategie mit dem Ziel, zukunftssicher aufgestellt zu sein, sowie zu unserer Vision, eines der weltweit fünf größten Chemieunternehmen zu werden“, erklärte Adnoc-Chef Sultan Ahmed Al Jaber.
Die 1971 gegründete Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc) ist ein Staatskonzern der Vereinigten Arabischen Emirate und der zwölftgrößte Erdölproduzent der Welt. Zudem wird Erdgas gefördert und als Flüssigerdgas (LNG) per Schiff exportiert. Die Golfaraber haben einen Zeitpunkt für die Übernahme gewählt, in dem die deutsche Chemieindustrie viele Probleme hat: der Höchstkurs von Covestro betrug schon einmal 95 Euro.
Da noch etliche behördliche Genehmigungen ausstehen, kann der Deal erst im zweiten Halbjahr 2025 abgeschlossen werden. Bereits 2022 war Adnoc beim österreichischen Öl-, Gas- und Chemiekonzern OMV mit 24,9 Prozent eingestiegen. Fast zeitgleich verkaufte die ehemalige Bayer-Spezialchemietochter Lanxess ihre Sparte Urethane Systems an den japanischen Chemiekonzern UBE und stieg damit endgültig aus dem Polymergeschäft aus. 2004 hatte Bayer wegen der Milliarden-Zahlung in den USA (juristischer Vergleich in Fällen des Cholesterinsenkers Lipobay) umstrukturieren müssen und ein Drittel seiner Polymergeschäfte sowie den Großteil seines Chemiegeschäfts in das neue Unternehmen Lanxess ausgegliedert.
Deutsche Aktien sind überwiegend in ausländischen Händen
2016 gründete Lanxess für seine Synthetik-Kautschuke zusammen mit Saudi Aramco ein Joint venture unter dem Namen Arlanxeo und verkaufte später seinen Anteil an den saudischen Ölkonzern. 2023 brachte Lanxess seinen Geschäftsbereich High Performance Materials zusammen mit der Sparte Engineering Materials in das gemeinsam mit dem US-Konzern Advent International gegründete Gemeinschaftsunternehmen Envalior ein. Der Großteil des ehemaligen Bayer-Kunststoffgeschäfts wurde damals in den Teilkonzern Bayer MaterialScience überführt, der später in Covestro umbenannt und 2015 eigenständig wurde. Mit dem Lanxess/UBE-Deal und der Übernahme von Covestro durch Adnoc gehen die früheren Bayer-Kunststoffgeschäfte nun fast vollständig an ausländische Eigentümer.
Auch die BASF hat sich aus dem Kunststoffgeschäft weitgehend zurückgezogen. Und seit der endgültigen Auflösung der „Deutschland AG“ sind deutsche Aktien überwiegend in ausländischer Hand. Ankeraktionäre wie das Emirat Katar besitzen 17 Prozent an VW, acht Prozent an der Deutschen Bank und mehr als drei Prozent an Siemens. US-Investmentgesellschaften wie Blackrock, Vanguard oder Statestreet kontrollieren weitere große Anteile deutscher AGs. Über ihre Aufsichtsratssitze und den Einfluß auf den Hauptversammlungen üben sie Kontrolle aus und bestimmen die Geschäftspolitik sowie das Top-Management.
Die gewinnbringende Logistik-Tochter Schenker AG der defizitären Deutschen Bahn geht für über 14 Milliarden Euro an den dänischen Konkurrenten DSV. Der Autozulieferer Leoni mit sensibler Technologie geht an den chinesischen Elektronikkonzern Luxshare, und ein Ende des Ausverkaufs ist nicht in Sicht. Schon jetzt sind fast 20 Prozent von Mercedes in chinesischer Hand, und 5,6 Prozent gehören dem Staat Kuwait. Deutsche Firmen sind in vielen Bereichen Technologieführer und gelten wegen der angespannten Lage der deutschen Wirtschaft international als Schnäppchen.
Dies liegt bezüglich der Kronjuwelen der deutschen Wirtschaft auch am Fehlen einer gesamtheitlichen Industriestrategie. Das machen die Araber besser. Mehr als hundert Milliarden Dollar Investitionen sind von Adnoc in den nächsten Jahren im Chemiebereich angedacht; die essentiellen Grundsubstanzen Erdgas und Öl hat man selbst mehr als genug. Adnoc investiert nun in die Weiterverarbeitung wie mit der Übernahme von Covestro. Interesse bekundet Adnoc für die Kunststoffhersteller Borealis (Österreich) und Nova (Kanada).
Im Gegensatz dazu verkünden BASF, Bayer & Co. routinemäßig jedes Quartal neue Spar- und Umstrukturierungsprogramme sowie Pläne zur Verlagerung von Investitionen und Produktionsstätten. Aufgrund der hohen Rohstoff- und Energiekosten können jetzt schon Düngemittel und Methanol nicht mehr in Europa produziert werden. Die Petrochemie- und Kunststoffindustrie sind die nächsten Segmente, die aufgegeben werden müssen. Deutschland krankt zudem an überbordender Bürokratie, langen Genehmigungsverfahren, komplizierten Fördersystemen und einer fehlenden staatlichen Innovationsstrategie. Die Übernahme von Covestro ist ein guter „Deal“ für die Investoren und ein schlechter für den deutschen Standort. Der Ausverkauf und Exodus der Leuchttürme deutscher Industrie wird weitergehen.
www.adnoc.ae/en/our-projects
www.covestro.com/de/investors