© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/24 / 18. Oktober 2024

Unterm Fallbeil des Totalitarismus
Kino: Die „Rote Kapelle“ gilt als kommunistisches Pendant zur „Weißen Rose“. Ein Spielfilm erinnert nun an diese Widerstandszelle
Dietmar Mehrens

Unbehagen in den Gesichtern. Ernste, besorgte Mienen. „Wie lange wird das denn dauern?“ erkundigt sich die eingeschüchterte junge Frau bei dem Beamten. „Das hängt ganz von Ihnen ab“, kommt schmallippig die Antwort.

Es wird dauern bis an ihr Lebensende. Die junge und übrigens hochschwangere Frau, die unter den besorgten Blicken ihrer Mutter rasch ein paar Sachen zusammenpackt, weil sie gleich von der Polizei abgeführt wird, ist Hilde Coppi (1909–1943), die Ehefrau von Hans Coppi (1916–1942), einem Angehörigen der Widerstandsbewegung „Rote Kapelle“, die für Moskau Spionage betrieb und mit Flugblättern gegen das NS-Regime agitierte. Gespielt wird sie – sehr überzeugend und souverän – von „Babylon Berlin“-Senkrechtstarterin Liv Lisa Fries, ihr Mann Hans von dem 28jährigen Jenaer Johannes Hegemann.

Hans Coppi war schon als 13jähriger Internatsschüler politisch aktiv und tat sich mit Gleichgesinnten zusammen. Als Mitglied im Jugendverband der Kommunistischen Partei wurde er 1933 erstmals polizeilich auffällig und für das Verbreiten unerlaubter Flugblätter zu einem Jahr Haft verurteilt, das er in der Jugendstrafanstalt Plötzensee absaß. Später ließ er sich zum Dreher ausbilden und landete in einer Maschinenfabrik. Durch seine Verbindungen zu Widerstandskreisen lernte er Harro Schulze-Boysen, Oberleutnant im Luftfahrtministerium, und dessen Frau Libertas kennen sowie den Oberregierungsrat Arvid Harnack. Mühsam brachte er sich das Funken und das dazu nötige Morsealphabet bei. Seine Aufgabe: Nachrichten von strategischer Bedeutung an die Sowjetunion übermitteln.

Der Hauptstrang schildert die Zeit der Haft im Frauengefängnis

Am 12. September 1942 – nach seiner Einberufung zum Kriegsdienst – wurde Coppi in der Nähe von Posen verhaftet. Er kam ins Gestapo-Gefängnis in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße. Hier sah er ein Vierteljahr nach der Verhaftung noch kurz seine Frau Hilde und seinen 13 Tage alten Sohn Hans junior. Zwei Wochen danach wurde das vom Reichskriegsgericht verhängte Todesurteil wegen „Hochverrats, Feindbegünstigung und Spionage“ vollstreckt. Wenig blieb übrig von den Coppis. Vor zwei Jahren dann ein Sensationsfund: Im Nachlaß der beiden Schriftsteller Wera und Claus Küchenmeister fand sich ein Umschlag mit Briefen von Hans.

Mit Hildes Verhaftung läßt Andreas Dresen seinen Spielfilm „In Liebe, Eure Hilde“ beginnen. Der Hauptstrang, an den Rückblenden angeflochten werden, schildert die Zeit der Haft im Frauengefängnis Barnimstraße: Begegnungen und Gespräche mit Mithäftlingen, mit der Wärterin Anneliese Kühn (Lisa Wagner), mit dem Gefängnisseelsorger Pfarrer Harald Poelchau (Alexander Scheer), schließlich das Urteil und dessen grausige Vollstreckung. Vorher entsteht der erhaltene Abschiedsbrief an die Mutter, dessen Grußformel zum Filmtitel wurde.

„Es ist so oft passiert, daß Menschen aus dem Team nach einer Szene zu mir gekommen sind und geweint haben“, berichtet die 34 Jahre alte Liv Lisa Fries, die diesmal gegen ihr eigentliches Naturell eine eher introvertierte Frau spielen mußte, über die Dreharbeiten. „Es war interessant zu erleben, welche unterschiedlichen Szenen jeden von uns im Team besonders gepackt haben. Für mich war total kraß, dieses Schriftstück, unterschrieben von Adolf Hitler, in den Händen zu halten, auf dem die Ablehnung des Gnadengesuchs zu lesen ist. Diese Erbarmungslosigkeit hat alle Kraft und Hoffnung aus mir weichen lassen. Denn genauso war es damals, das hat Hilde erlebt! Ich kann nicht genau beschreiben, wie ich so etwas spiele, wie ich versuche, mich in eine junge Frau hineinzufühlen, die ihr Kind im Gefängnis bekommt und nach acht Monaten hingerichtet wird.“

Der Vorbereitung dienten Übungen an der Schreibmaschine und ein Besuch des Gebäudes der damaligen Reichsversicherungsanstalt, Hilde Coppis Arbeitsstelle. Wie ihr Regisseur Andreas Dresen, den sie als sehr fordernd beschreibt, und Drehbuchautorin Laila Stieler traf sie für den Film den Mann, den Dresen „die lebende Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart“ nennt: Hans Coppi junior, der am 27. November 1942 auf der Kranken- und Entbindungsstation der Berliner Haftanstalt zur Welt kam.

Es war eine schwere Geburt, wie der Regisseur mit allen Mitteln der Erschütterungskunst zu zeigen weiß. Weniger interessiert er sich hingegen für die Details der Spionage- und Widerstandstätigkeit, in die seine tragische Heldin unter dem Einfluß ihres Liebhabers und späteren Ehemanns immer tiefer hineingezogen wird. Davon erzählt der Film in Rückblenden, in die Kamerafrau Judith Kaufmann, eine der Besten ihrer Zunft, den Glanz und die Leichtigkeit eines Kriegssommers hineinzaubert. Hans und Hilde dürfen auf dem Motorrad durch die Lande düsen, heiter und unbeschwert wirken die jugendlichen Dissidenten beim Picknick an einem Badesee: Hans Coppi ist dabei, das Ehepaar Schulze-Boysen, Albert Hößler und Heinrich Scheel. Sie alle gehörten einer Gruppe an, die man später die „Rote Kapelle“ nennen wird. Eher nebenbei erfährt der Zuschauer von Kontakten Hans Coppis zum sowjetischen Geheimdienst und von den Flugblatt- und Plakatklebeaktionen, mit denen die Überzeugungstäter sich in Lebensgefahr brachten. Etwas genauer erläutert der Film hingegen die Kurzwellensendetechnik, durch die, so die Hoffnung der heimlichen Rebellen, Informationen über weite Entfernungen übertragen werden sollten – bis nach Moskau. Gemeinsam üben die beiden frisch Verliebten im Bett das Morsealphabet ein – durch Berührungen der Haut. Außerdem ist Hilde durch ihre hohe Tippgeschwindigkeit eine wichtige Stütze beim Erstellen der illegalen Schriften an der Schreibmaschine. Ein unsichtbares Gespenst bleibt dagegen Hildes erster Mann, Franz Karma, der als Jude keine Chance auf ein Leben mit seiner Geliebten sah. Die Affäre Franz hält das Drehbuch diskret im Hintergrund.

Struktur und Machart gleichen dem Film über die „Weiße Rose“

Es ist eine Diskretion, die man anderswo vermißt: Wie schon in seinem Seniorenporträt „Wol-ke 9“ (2008) zeigt Dresen seine beiden Protagonisten auch gern mal nackt beim Liebesspiel – unnötig und irrelevant für die Geschichte der beiden Helden des Widerstands, die bei geschlossener Schlafzimmertür nicht schlechter funktioniert hätte. Die Betonung dieser „sinnlichen Momente“, gibt Autorin Laila Stieler preis, sah ihr Drehbuch eigentlich auch gar nicht vor. Sie verteidigt aber das Ansinnen des Regisseurs, Hilde als eine aus Liebe zu ihrem entschlossenen Handeln Getriebene zu zeigen. Dresen bezeichnet seine Filmheldin als „von Grund auf anständigen Menschen mit eigenem Wertekanon“ und als zentralen Verknüpfungspunkt zwischen Filmstoff und Gegenwart die Wichtigkeit, „für seine Ideale einzutreten und gegebenenfalls Widerstand zu leisten, sich nicht beirren zu lassen, seinem inneren Kompaß [...] zu folgen“. Ein überraschendes Plädoyer für Montagsmarschierer und andere mitteldeutsche Nonkonformisten, die der 1963 in Gera geborene und in der DDR groß gewordene Filmemacher bei dieser steilen Aussage aber vermutlich nicht im Blick hatte.

Drehbuchautorin Laila Stieler hatte zunächst eine mehrteilige Fernsehserie vorgeschwebt, doch daraus wurde nichts. Dafür wurde der „Hilde“-Film nun etwas größer. Einiges scheint sich Stieler dabei von Marc Rothemunds thematisch verwandter Widerstandstragödie „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ (2005) abgeschaut zu haben. Struktur und Machart des Films über die „Rote Kapelle“ gleichen bis in Details hinein dem über die „Weiße Rose“, deren Mitglieder mit Hilde und Hans Coppi dasselbe bittere Los teilten. Wie auf Sophie Scholl wartet am Ende der Filmerzählung auch auf Hilde Coppi das Fallbeil des Totalitarismus.

Wesentlicher Unterschied der beiden Dissidentenerzählungen ist, daß Gerichtsprozeß und Verhöre hier nur wenig Raum bekommen, die Vorgeschichte dafür mehr. Die allerdings hat Andreas Dresen nicht chronologisch, sondern mit postmoderner Lust an der Dekonstruktion aufs Geratewohl angeordnet –  sicher eher zum Verdruß des Zuschauers. Auch mit Orientierungshilfen in Form von Einblendungen, die über Ort und Zeit des jeweiligen Geschehens aufklären, hat es der eigenwillige Filmemacher nicht so. Zwar ist er in seinem neuen Werk weniger spröde als sonst, doch auch „In Liebe, Eure Hilde“ folgt einem eigenen künstlerischen Ansatz. „Es ist jedenfalls keine einzige schwarz-weiß-rote Fahne mit Hakenkreuz zu sehen“, so der Regisseur. „Wir versuchen zu zeigen, was sich hinter der Fassade verbirgt – sowohl bei den Widerstandskämpfern als auch im nationalsozialistischen Apparat.“

Der Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, Regierungsnarrativen zu mißtrauen, sich seine Bürgerrechte nicht widerstandslos rauben zu lassen, auch wenn man für diesen Widerstand einen hohen Preis zahlen muß: das sind demokratische Grundtugenden, für die man gar nicht genug leuchtende Vorbilder finden kann. „Das Kinopublikum wird sich hoffentlich fragen: Auf welcher Seite hätte ich damals eigentlich gestanden?“ sagt Andreas Dresen. Die regimekritischen Coppis von heute dürfen sich ermutigt fühlen.


Kinostart ist am 17. Oktober 2024

Foto: Hilde Coppi (Liv Lisa Fries) und ihr Mann Hans (Johannes Hegemann) mit ihrem in der Berliner Haftanstalt frisch geborenen Sohn