© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/24 / 15. November 2024

Der Flaneur
Ultimo in der Postfiliale
Elke Lau

Plötzlicher Regenschauer beschleunigt unsere Schritte. Das erklärt unser Erscheinen fünfzehn Minuten vor Öffnung der Schalter im Vorraum der Postfiliale. Neben uns trötet ein Hüne im Arbeitsanzug in sein Handy, während er wild gestikulierend mit einem Schraubenzieher herumfuchtelt. Wie wir seinen Formulierungen entnehmen, beschwert er sich bei einem Kollegen über den Chef.

Der winzige Raum, bestückt mit einem Geldautomaten und zwei Auszugdruckern, füllt sich langsam. Ein weibliches Wesen in zerrissenen Jeans, voluminösem Rucksack auf dem Rücken und etwa zweijährigem Mädchen auf dem Kindersitz, jongliert sein Fahrrad durch die wartende Kundschaft, parkt es quer vor dem Drucker und sperrt diesen Bereich weiträumig ab. Während sie das Gerät bedient, erklärt sie dem Nachwuchs in Kindersprache den Grund ihres Besuchs. Für Unterhaltung ist also gesorgt.

Wir wollen eine Lage spendieren und gehen in die Bäckerei um die Ecke, die unser Vorhaben unterstützt.

Der Dauertelefonierer läßt soeben ein verwundertes „Hallo“ erklingen, ehe er mit einem resignierten „Akku leer“ das Mäusekino in der Hosentasche versenkt. Ein junger Mann mit Bart und Pferdeschwanz versucht trotz eines riesigen Pakets in den Händen auf seiner Armbanduhr die Zeit zu kontrollieren, als die Rathausuhr „9“ schlägt. Die Tür zum Postbereich wird geöffnet.

In der Filiale herrscht ein heiteres Betriebsklima, wie wir als langjährige Kunden erleben durften. Auch heute ist uns die Angestellte behilflich, eine unberechtigte Abbuchung rückgängig zu machen, und vor lauter Erleichterung beschließen wir, eine Lage zu spendieren.

In der Bäckerei um die Ecke suchen wir gut teilbare Schnecken, Amerikaner und Tortenstücke aus und erzählen der Verkäuferin vom Zweck unseres Einkaufs. Sie ist begeistert: „Ach, das ist ja mal eine nette Geste! Ich habe auch viel Sympathie für diese Truppe. Wissen Sie was? Ich packe noch eine Tüte Rosinenbrötchen dazu, Gruß von uns.“

Mit der Palette in Vorhalte kehren wir zur Post zurück und stellen uns hinten an. Wir wollen der Angestellten unbedingt erzählen, wie weit sich ihre Beliebtheit herumgesprochen hat.



Die gewöhnlichste Ursache des Gewöhnlichen ist Mangel an Selbstkritik und an Verbesserungstrieb.

Felix Mendelssohn Bartholdy(1809–1847)