© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/24 / 22. November 2024

Fragwürdiges Jahresgutachten 2024/25 des Sachverständigenrates
Die deutsche Hütte brennt
Thorsten Polleit

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat sein jährliches Gutachten in Berlin abgeliefert. Doch die Bundesregierung, die es lesen sollte, gibt es seit dem 6. November nicht mehr – und die Rest-Ampel hat jetzt ganz andere Dinge im Kopf. Und so erreichen die Prognosen und Empfehlungen der „Wirtschaftsweisen“ ihre Zielgruppe leider gar nicht. Und vieles von dem, was auf den 424 Seiten mit dem Titel „Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren“ steht, wollen sie ohnehin nicht hören. Sie scheren sich nicht um den dramatischen Absturz der deutschen Wirtschaft.

Warum also sollten sie sich da auch noch mit den vielen kleinteiligen Vorschlägen der Wirtschaftsweisen auseinandersetzen? Dazu gehören: ein Infrastrukturfonds mit eigenen Einnahmen, Mindestquoten zur langfristigen Finanzierung im Wehr- und Bildungsbereich, Spielräume für zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben, den Wohnungsbau. Ach ja: Das Ökonomenquintett fordert die digitale Innovation im Finanzsektor und den digitalen Euro. Wer das Gutachten liest, der muß mit Bestürzung zur Kenntnis nehmen: Die Hütte brennt, aber kein Ruf nach Löschwasser ist zu hören – dafür aber der nach der Dekarbonisierung des Güterverkehrs. Ja, die Ökonomen schaffen sogar leichtfertig noch mehr Brennbares herbei. Kein Wort fällt zur eigentlichen Problemdiagnose: zur Ursache von schwindendem Wachstum, abnehmenden Privatinvestitionen, Niedergang vieler Großunternehmen, wieder steigender Arbeitslosigkeit, vom Sterben mittelständischer Betriebe gar nicht erst zu reden.

Die „Wirtschaftsweisen“ sehen in mehr und „besserer“ staatlicher Lenkungs- und Ausgabetätigkeit das Rezept, die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen. Doch damit machen sie den Bock zum Gärtner. Man muß beileibe kein Wissenschaftler sein, um zu erkennen, daß die katastrophale Situation der deutschen Wirtschaft politisch verursacht ist – man denke nur einmal an die destruktive Energiepreisverteuerung, die selbstschädigenden Sanktionen gegenüber Rußland, den enteignenden „Heizhammer“ und anderes mehr. Deutschland versinkt zusehends in einer Art grünem Neo-Sozialismus. Daß das Wenige, was von der freien Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland noch übrig ist, auch noch unter die Räder gerät, wird von vielen Vorschlägen der Wirtschaftsweisen sogar noch begünstigt. Der von Grünlinken forcierten „Schrumpfwirtschaft“ stellen sich die Wirtschaftsweisen nicht entgegen. Doch das Degrowth wird schon bald für viel Elend sorgen: Arbeitsplatzverlust, Altersarmut. Vor allem aber wird es jene Parteien freuen, daß auch die Wirtschaftsweisen die Schuldenbremsen aufweichen wollen – „Flexibilisieren“ nennen sie das.

Überzeugen kann das nicht. Die Schuldenbremse ist ein Schutz der Bürger vor der unstillbaren Geldgier der regierenden Klasse und ihrer Freunde. Daß die Schuldenbremse angefeindet wird, zeigt nur, wie gut die Idee ist. Die produktive Basis in Deutschland kann den ausgeuferten Staat längst nicht mehr bezahlen. Neue Staatsschulden helfen da nicht. Deutschland braucht einen echten Kurswechsel, der seinen Namen verdient. Die Lösung der Malaise besteht darin, den Staat auf das Stärkste zu schrumpfen. Doch leider, dazu kein Wort von den „Wirtschaftsweisen“.


Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Volkswirt und Herausgeber des „Boom & Bust Report“. www.boombustreport.com