© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/24 / 22. November 2024

Amerikanische Wende statt Kurzarbeit
Autoindustrie: Monatelange Kurzarbeit im Elektrowerk von Ford in Köln / Gewinne mit großen Benzinern in den USA
Paul Leonhard

Als Ford vor zwölf Jahren ankündigte, sein Werk in Genk zu schließen, brannten in der Provinz Limburg Mondeos, Galaxys und S-Max-Minivans. Zehntausend Familien, die im und um den US-Konzern ein ordentliches Auskommen hatten, bangten um ihre Zukunft. Die rohe Gewalt hatte Erfolg: Zumindest die über 4.000 direkten Ford-Beschäftigten erhielten im Schnitt 187.500 Dollar Abfindung – die Produktion wurde 2014 ins spanische Valencia verlagert und das Mittelklasse-Segment 2023 eingestellt. Die Abwicklung des Werks in Flandern kostete den US-Konzern 750 Millionen Euro.

Der VW-Konzern wird nicht so großzügig sein. Das wurde jetzt in Brüssel sichtbar, als Polizisten gegen protestierende Audi-Arbeiter vorgingen: „Sie stürmten herein wie Cowboys und schlugen uns mit Schlagstöcken“, zitieren belgische Medien den Gewerkschafter Giuseppe Mezzatesta. 4.000 Arbeiter sind erzürnt über das Werks-Aus im Februar 2025 und den „unfairen“ Sozialplan, den Audi vorgelegt hat. Lautstark forderten sie eine „angemessene Entschädigung“, worauf die Geschäftsführung die Staatsmacht alarmierte. Doch die Wirklichkeit ist bitter: Die Audi-A1-Fertigung wurde 2018 ins katalanische Martorell verlegt, und das Elektro-SUV Q8 wurde zwar „bilanziell CO₂-neutral“ hergestellt, aber von zu wenigen gekauft.

Politische Agenda zur steuerlichen Förderung der Elektromobilität

All das sind keine guten Vorzeichen für die Ford-Werke in Köln und Aachen. Bis 2025 werden 2.300 Stellen wegfallen, das wurde im Februar 2023 noch als „Erfolg“ verkauft: Erstens seien das weniger als der Betriebsrat befürchtet hatte, zweitens seien bis Ende 2032 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen, und drittens wurde ihnen weisgemacht, Köln sei durch eine 1,8-Milliarden-Euro-Investition „das erste klimaneutrale Montagewerk von Ford weltweit“. Doch die E-Modelle sind noch beliebter als die von Audi. Und die europäischen Diesel- und Benziner-Modelle laufen künftig nur noch in Rumänien, Spanien und der Türkei vom Band.

Dabei könnte Ford kommendes Jahr 100 Jahre Produktion in Deutschland feiern. Begonnen hatte alles in Berlin, wo ab 1925 aus importierten Einzelteilen Ford-Modelle zusammengebaut wurde. Es war dann der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der das Potential erkannte und 1929 mit Henry Ford den Ansiedlungsvertrag für ein Ford-Werk im Stadtteil Niehl unterzeichnete: 170.000 Quadratmeter mit 280 Metern Rheinufer plus Steuerrabatt. Die Produktion begann 1931 mit 610 Arbeitern, hatte ihre Hochzeit in den1970er Jahren mit mehr als 50.000 Beschäftigten. Derzeit sind es nur noch 15.000 – 2018 waren es noch 20.000. Und wie lange ist Ford noch der wichtigste Gewerbesteuerzahler der Karnevalsstadt?

Die Produktion von B- und C-Max, Ecosport, Fiesta, Fusion, Galaxy, Ka, Mondeo und S-Max wurde ein- und die Motoren von Vier- auf Dreizylinder umgestellt. Der Focus endet 2025 mit der Werksschließung in Saarlouis – das und nicht Corona erklärt, warum Ford 2011 europaweit fast 1,1 Millionen Autos verkauft hat und 2023 nicht einmal die Hälfte davon. Aktuell ist im füheren Kölner Fiesta-Werk Kurzarbeit angesagt, denn die nun dort produzierten E-Modelle Explorer und Capri sind noch unbeliebter als der VW ID.3, auf dessen MEB-Plattform die beiden neuen Ford-Modelle beruhen.

Der Absatz sei eingebrochen, weil potentielle Käufer durch das Aus der staatlichen E-Auto-Kaufprämie verunsichert seien, findet Hans Lawitzke, Berater des europäischen Ford-Betriebsrats: „Viele warten ab, wie es weitergeht.“ Wer aber soll ein E-Auto der Golf-Klasse für 40.000 bis 60.000 Euro kaufen? Selbst der in Spanien produzierte SUV Kuga mit Benzinmotor kostet hierzulande ab 39.950 Euro; in den USA als Escape – baugleich, aber besser ausgestattet – nur umgerechnet 28.000 Euro. Wer als Amerikaner 40.000 Euro für einen Ford ausgeben will, der bekommt dort den echten Explorer mit sieben Sitzen und einem Sechszylinder „Made in USA“. Dort erfindet sich Ford gerade neu: weg vom E-Auto-Dogma und hin zu Hybridantrieben à la Toyota. Nach Milliardenverlusten im ersten Halbjahr hat der US-Autobauer seine Strategie angepaßt: produzieren, was der Kunde will – also bezahlbare SUV und riesige Pick-up-Trucks der legendären F-Serie.

Es reicht nicht, den „Mythos des Capri wieder aufleben zu lassen“

Letztere verkaufte sich 2023 in Nordamerika 875.000mal – der „kleine“ vollelektrische Ford F-150 Lightning fand trotz Steuerzahlersubventionen und millionenteurer Werbekampagne nicht einmal 25.000 Käufer. Die Ford-Verluste pro E-Modell beliefen sich in der ersten Jahreshälfte auf 2,46 Milliarden Dollar. Prognostiziert werden für das laufende Jahr bis zu 5,5 Milliarden Dollar. Ausgeglichen wird das nur durch die Gewinne mit Benzinern und Diesel-Nutzfahrzeugen. Bei Ford-Deutschland weiß man das, aber in der EU sowie in Großbritannien, Norwegen und der Schweiz gelten andere Spielregeln. Hier wird mehrheitlich „woke“ gewählt, und deswegen können die Regierungen CO₂-Strafen einführen und den Bürgern vorschreiben, welche Autos sie zu kaufen haben.

Deswegen hat Ford wie VW voll auf Akku-Autos gesetzt, die nun im „Ford Cologne Electric Vehicle Center“ in Köln-Niehl vom Band laufen sollen. Angeblich 200.000 Interessenten hätten seit Juli bereits den neuen Ford Capri „ihrer Wahl in Europa konfiguriert“. Besonders begehrt sei die Version Premium in „vivid yellow“ mit 286-PS-E-Motor, Heckantrieb und Extended-Range-Batterie. „Das rein elektrisch angetriebene SUV-Coupé läßt den Mythos des legendären Sportwagens aus den 1970ern und 1980ern nach vier Jahrzehnten wieder aufleben“, schwärmte das Marketing. Und Jon Williams, Chef der Ford-E-Sparte Blue, zeigte sich noch Ende Oktober überzeugt, daß das neue Modell „eine ganz neue, moderne Kundengeneration mit jenem Stil und Schwung in den Bann ziehen wird, der schon den Vorgänger zur Legende gemacht hat“. Doch das legendäre Sportcoupé lief nur von 1968 bis 1986 vom Band und hatte keinen Nachfolger. Und der deutsche Explorer ist praktisch nur ein VW ID.3 im Ford-Blechkleid.

Aktuell wird in den USA eine eigene E-Plattform für Ford entwickelt, die für Europa nur angepaßt werden soll – und die soll dann wohl in Valencia statt in Köln gebaut werden. Aktuell ist die Nachfrage nach E-Autos bei Ford so stark gefallen, daß die Arbeiter an den Produktionslinien von Explorer und Capri in Köln bis zu den Weihnachtsruhetagen in Kurzarbeit geschickt wurden. Von bisher 630 wurde die Produktion auf 480 Fahrzeuge pro Woche reduziert: „Wir produzieren mehr, als wir verkaufen können“, verriet der Kölner Stadt-Anzeiger seinen Lesern aus einem internen Ford-Schreiben. Auch 2025 soll es erneut Tage ohne Produktion geben. Ein Ford-Totalrückzug aus Deutschland ist daher längst nicht mehr völlig ausgeschlossen.


shareholder.ford.com/Investors/news
werkfuehrungkoeln.fordmedia.eu