Lange mußten die Schwedendemokraten (SD) in Schweden und Geert Wildersin den Niederlanden ein politisches Leben hinter der von den anderen Parteien errichteten Brandmauer führen. Doch Wahlerfolge beider Rechtsparteien brachten Bewegung ins Spiel. Im September 2022 stimmten die Schweden für den Machtwechsel von links nach rechts. Das bürgerliche Lager verfügt über 176 Mandate gegenüber den 173 Mandaten der linken Koalition. Die konservativen Moderaten, seit 1979 stets die größte Partei im bürgerlichen Lager, verloren dabei ihre Position als stärkste bürgerliche und insgesamt zweitstärkste Partei an die rechtskonservativen Schwedendemokraten, die mit 20,5 Prozent ein neues Rekordergebnis erreichten. Die SD waren mit plus drei Prozentpunkten die größten Gewinner der Wahl, was Wahlforscher auch auf ihren populären Spitzenkandidaten Jimmie Åkesson und ihre guten Kompetenzwerte bei den wichtigen Sachfragen Zuwanderung, Kriminalität und Energiepolitik zurückführen.
Das gelang Åkesson dank einer Doppelstrategie: Einerseits muß die Partei radikal genug sein, um ihre Kernwähler zufriedenzustellen, andererseits mußten die schärfsten Kanten abgeschliffen werden, um Wähler aus der Mitte anzusprechen. Als es 2012 erneute Rechtsextremismus-Vorwürfe gegen die Partei gab, sprach sich Åkesson dafür aus, eine Politik der „Nulltoleranz gegenüber Rassismus und Extremismus“ einzuführen. Und 2015 brach er aufgrund weiterer Vorkommnisse mit der damaligen SD-Jugendorganisation und gründete eine neue Parteijugend. Nach der Wahl schlossen Moderate, Liberale und Christdemokraten das Tidö-Abkommen mit den Schwedendemokraten. Es wurde vereinbart, daß die Schwedendemokraten nicht mitregieren, sondern der Koalition zu einer Mehrheit im schwedischen Parlament verhelfen sollen. Außerdem sollten sie ein großes Mitspracherecht bei der Entscheidungsfindung haben. In der Tidö-Vereinbarung versprachen die vier Parteien, sich „mit Würde zu verhalten und respektvoll über die Vertreter der anderen Parteien zu sprechen“.
Auch Geert Wilders und seine Partei für die Freiheit (PVV) errangen im November 37 Mandate und waren damit der überwältigende Wahlsieger. Gemeinsam mit den Liberalen der VVD, der neugegründeten Partei Neuer Sozialvertrag (NSC) von Pieter Omtzigt und der Bauernbürgerbewegung (BBB) sollte eine rechte Regierung gebildet werden. Doch Omtzigt stellte sich quer – obwohl Wilders das Profil seiner Partei entschärft hatte. Denn den „Nexit“, den Ausstieg aus dem Euro zugunsten einer eigenen Währung, hat Wilders aus dem Parteiprogramm gestrichen. Auch die von ihm lange geforderten Anti-Islam-Gesetze, die von Koran- und Kopftuchverboten bis hin zu Moscheeschließungen reichten, sind vorerst ad acta gelegt.
Niederlande: Es kriselt an allen Ecken und Enden / Wilders sauer
Daraufhin verzichtete Wilders auf den Ministerpräsidentenposten, blieb weiterhin Fraktionsvorsitzender der PVV und twitterte: „Vergeßt nicht: Ich werde noch Premier der Niederlande werden – wenn nicht morgen, dann übermorgen.“ Seit März werden die Niederlande von einem „Programmkabinett“ regiert.
Die große Frage ist: Wie funktionieren die beiden Regierungen, die von der der PVV beziehungsweise den SD geführt oder mit der stärksten Parlamentsfraktion beeinflußt werden?
In den Niederlanden konnte in der vergangenen Woche gerade noch ein Regierungsbruch abgewendet werden, denn die Staatssekretärin Nora Achahbar (NSC) war wegen einer angeblich „extrem rassistischen Sprache“, die von den anderen drei Parteien der Rechtskoalition bei der Diskussion über die Gewalt in Amsterdam verwendet worden sei, zurückgetreten. Laut RTL hatten Minister marokkanische Jugendliche mit Eiter verglichen und das „C-Wort“ („Drecksmarokkaner“) benutzt, um sie zu beschreiben.
Am späten Freitagabend wurde dann bekannt, daß die anderen Minister in der Koalition mit der PVV, dem BBB und der VVD bleiben wollen. Premierminister Dick Schoof erklärte lapidar: „Im Kabinett und in den Parlamentsfraktionen gibt es keine Frage des Rassismus.“
Noch hat die niederländische Regierung mit ihrer rechten Parlamentsmehrheit ihre Arbeit nicht richtig aufgenommen, doch schon kriselt es an allen Ecken. Vollmundig hatte die PVV nach ihrem Wahlerfolg angekündigt, in Europa die „strengste Einwanderungspolitik, die es je gab“, zu forcieren. Getan hat sich allerdings im ersten Jahr nach der Parlamentswahl nichts, auch die geforderten Eilmaßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung gibt es bislang nicht. Die Ministerin für Asyl und Migration, Marjolein Faber (PVV), wandte sich zwar in einem Brief an die EU-Kommission und forderte nach dänischem Vorbild die Möglichkeit eines Opt-out für den Bereich der Zuwanderung. Diesem wird allerdings – so ist bereits aus der EU deutlich zu hören– nicht stattgegeben werden. Nun hat sie angekündigt, daß es ab dem 9. Dezember Grenzkontrollen geben wird.
Über eine Bewältigung der Folgen der illegalen Zuwanderung besteht allerdings weiterhin Unsicherheit. Wilders würde einen Teil dieser Migranten am liebsten gleich ausweisen. Die Ministerin für Außenhandel und Entwicklungshilfe, Reinette Klaever (PVV), brachte den Vorschlag ein, selbige nach Uganda zu verbringen. Auch die geplante Verschärfung des Asyl- und Einwanderungsrechts ist noch immer nicht erfolgt.
Wilders’ Geduldsfaden ist schon lange gerissen: Nach monatelangen ergebnislosen Verhandlungen über die Einwanderungspolitik hatte er vor zwei Wochen den Staatssekretär für Finanzen, Folkert Idsinga (NSC), in einem Tweet brüskiert und dessen Integrität angezweifelt. Dieser hatte sich bei seiner Ernennung geweigert, seine finanziellen Verhältnisse offenzulegen. Zwar war er dazu nicht verpflichtet, doch stellte sich nun heraus, daß der Multimillionär Steuern hinterzogen haben soll.
Vermittlungsversuche von Omtzigt mit Wilders scheiterten, Idsinga ist mittlerweile von seinem Amt zurückgetreten. Diese Konfrontation mit der größten Regierungspartei sei für ihn „unverdaulich“. Die ohnehin schon belastete Beziehung zwischen den Regierungsparteien ist an einem Tiefpunkt angelangt.
Mittlerweile erwarten nur noch wenige Wähler, daß es dem Kabinett gelingt, die versprochenen Lösungen bezüglich Migration, Wohnungspolitik und sozialer Sicherheit zu liefern. Die linken Parteien können allerdings nicht von dieser Skepsis profitieren. Wären morgen Wahlen, würde der NSC allerdings keine Rolle mehr spielen, Christdemokraten und die JA21, eine Abspaltung des Forums für Demokratie, hingegen profitieren. Ein Jahr nach den Parlamentswahlen ist eine rechte Politik in den Niederlanden in weite Ferne gerückt.
Als „besser als erwartet“ hatte der EU-Abgeordnete der Schwedendemokraten Charlie Weimers im Februar 2023 gegenüber der JUNGEN FREIHEIT die Zusammenarbeit mit der schwedischen Regierungskoalition bezeichnet. „Größere Reibereien“ habe es bisher nicht gegeben. Nun, im Herbst 2024, hat sich der anfängliche Optimismus bei der SD etwas gelegt.
Noch im Januar als zweitstärkste Kraft in das Jahr gestartet, fielen die Umfragewerte der Rechtspartei, während die stärkste Regierungspartei, die Moderaten, zulegen konnte. Vorläufiger Tiefpunkt: das katastrophale Ergebnis bei der Europawahl im Juni: 13,2 Prozent und lediglich Platz vier für Spitzenkandidat Weimers. Eine bittere Pille auch für SD- Chef Åkesson, der nun nach Jahren einer selbst auferlegten Mäßigung vor dem wohl größten Dilemma seiner Karriere steht. Was geschieht mit einer inhaltlich entschärften Rechtspartei, wenn die zentristische Regierungskoalition Teile des eigenen Programms im Parlament beschließt und sich anschließend dafür feiern läßt? Andererseits beklagen Kritiker aus dem linken Spektrum einen Rechtsruck in der Regierung und machen dafür die parlamentarische Unterstützung der SD verantwortlich.
Tatsächlich liefert die Regierungskoalition, setzt etwa beim Kampf gegen Gangkriminalität auf härtere Strafen, strengere Migrationsregeln und sogar den Einsatz der Streitkräfte im Inneren. Doch in den ursprünglichen SD-Hochburgen in Südschweden zeigen sich langjährige Anhänger der SD unzufrieden, versagen der Partei ihre Unterstützung und bleiben zu Hause, während die bürgerlichen Wähler, die Åkesson mit einem moderateren Kurs anlocken wollte, unverändert auf die ebenfalls bürgerlichen Parteien der Mitte setzen. Eine besonders niedrige Wahlbeteiligung war die Folge.
Schwedendemokraten tolerieren sich ins Abseits
Doch Åkesson steckt noch in einer weiteren Zwickmühle. Seine Abgeordneten tolerieren die Regierungskoalition, haben jedoch kaum Einfluß auf die tatsächliche Tagespolitik. Daß „größere Reibereien“ zeitweilig ausgeblieben sind, dürfte auch daran liegen, daß den SD bisher nicht viel übrigbleibt, als gute Miene zum zuweilen bösen Spiel zu machen. Der Koalition die Unterstützung zu versagen, hieße den Kurs der vergangenen Jahre zum Mißerfolg zu erklären. Die Rechtspartei wird dadurch in der Öffentlichkeit als Teil der Regierung wahrgenommen und nicht als Opposition – ohne jedoch auch nur im Ansatz Zugriff auf die Machtmittel einer Regierungspartei zu haben.
Zu allem Überfluß muß Åkesson nun auch noch mit ansehen, wie sich ausgerechnet beim Thema der Vergangenheitsbewältigung seine ehemaligen Wunschpartner der Regierungskoalition von ihm absetzen und sich obendrein wenig um seine Befindlichkeiten kümmern. Zwei Minister der MD fahren auf Einladung des schwedischen Komitees gegen Antisemitismus (SKMA) mit einer Schulklasse nach Auschwitz – Åkesson und seine Schwedendemokraten sind hingegen nicht eingeladen. Stattdessen sparte das SKMA in den letzten Jahren nicht mit harter Kritik an den Schwedendemokraten, wiederholte etwa erneut ein Statement aus 2009, in dem den SD jede Berechtigung abgesprochen wird, sich aufgrund des eigenen Rassismus „gegen Antisemitismus“ einzusetzen. Ein Schlag ins Gesicht für Åkesson und seine Bemühungen in den vergangenen Jahren, sich von Rechtsextremen abzusetzen.
Doch der offene Brief des offenbar tief getroffenen Åkesson an die Regierungskoalition, in dem das SKMA als „politischer Akteur der Meinungsbildung gegen die Kooperation zwischen SD und der Minderheitsregierung“ bezeichnet wird und Regierungsmitglieder davon aufgefordert werden, nicht an der Reise teilzunehmen, bleibt unberücksichtigt. Man sehe das SKMA als „wichtigen Teil jüdischen Lebens“ in Schweden an, so die kühle Antwort der Regierungssprecherin. Eine herbe Ohrfeige für Åkesson, die für viele im Land nur noch den Eindruck verschärft: Åkesson hat sich, so sehen es einige, mit seinen Bemühungen der Anschlußfähigkeit in eine Falle manövriert, aus der er nicht mehr herauskommt.
Verstärkt wird das noch durch die Aussage des Chefs der Liberalen Partei, Johan Pehrson. Er werde auch bei einem SD-Wahlsieg nicht in einer Regierung mit Åkesson sitzen, verkündete Pehrson im Fernsehen. Die Tolerierung durch die SD verlaufe zwar gut, für eine formelle Koalition stehe man dennoch nicht bereit. Auch von Regierungschef Ulf Kristersson (MD) bekommt Åkesson keinen Rückhalt. Eine Antwort darauf, ob er sich eine Koalition mit den Rechten vorstellen könnte, blieb der Konservative schuldig. Zwei Jahre nach dem Beginn der Kooperation steht Åkesson da wie einer, der im Restaurant jeden Gast eingeladen hat und nun doch alleine nach Hause gehen muß.
Fotos: Geert Wilders: Unzufrieden mit dem „Programmkabinett“ erklärt er: „Vergeßt nicht, ich werde noch Premier“ / Der Chef der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson: Bald Schluß mit der Tolerierungssrolle