© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/98 02. Januar 1998

 
 
Eine Lageanalyse der FPÖ: Fehlentwicklungen der letzten Monate und ein Blick in die Zukunft
Lufthoheit über den Stammtischen
von Andreas Mölzer

Österreich, noch immer die Zweite Republik, geht ins neue Jahr in einer politischen Situation, die von Stagnation und einem Hauch von Depressivität geprägt ist. Zwar hat die Regierung in den vergangenen Monaten versucht, den Reformstau aufzuarbeiten, aber kaum mehr als Halbheiten geboten. Dennoch, vorläufig scheint die Regierung Klima/Schüssel von keiner unmittelbaren Existenzkrise bedroht. Sie glaubt mit vorsichtigem Optimismus in das Jahr der österreichischen EU-Präsidentschaft gehen zu können, um sich dann mit der internationalen Publizität, die diese verleiht, ins Wahljahr 1999 schwindeln zu können.

Imponderabilien für die Regierung sind zweifellos die zu erwartende winterliche Rekordarbeitslosigkeit, die Ausgänge der an sich bundespolitisch nicht übermäßig bedeutsamen Wahlgänge in Graz und Niederösterreich und die Stimmung der Bevölkerung. Diese ist nämlich durch mediales Schönreden und Hochschaukeln nebensächlicher Probleme und Problemlösungen nicht wirklich aus der Depression zu reißen.

Diese innenpolitische Allerseelen-Atmosphäre hat naturgemäß vor der Opposition nicht Halt gemacht: Auch jener Faktor, der im letzten Jahrzehnt der eigentliche Treibsatz der österreichischen Innenpolitik war, Jörg Haider und seine Freiheitlichen, vermitteln einen Eindruck zwischen Rat- und Lustlosigkeit, scheint Teil geworden zu sein, jener spezifisch österreichischen Stagnation am Beginn des Jahres 1998. Verursacht wurde dieser Einbruch durch die innenpolitischen Vorgänge in der zweiten Jahreshälfte 1997. Dabei hatte das Vorjahr für die FPÖ so gut begonnen: Die Ausgrenzung durch das politische Establishment schien mit dem Abgang Franz Vranitzkys am Ende zu sein. Die Kriminalisierung Haiders und seiner Leute als Rechtsextremisten, Faschisten oder gar gefährliche Krypto-Nazis, wirkte nur noch lächerlich und wurde kaum mehr ernsthaft versucht. Eine neue Positionierung des Oppositionsführers als überlegene, staatsmännische Figur der österreichischen Innenpolitik schien nach und nach möglich zu werden. Haiders Leute aus dem zweiten Glied rückten langsam in den Vordergrund, um das Abheben des Parteiobmannes aus den Niederungen des tagespolitischen Kleinkriegs zu ermöglichen. Die Regierungsfähigkeit der FPÖ sollte sich durch Vernunft und programmatische große Perspektiven erweisen. Ansonsten hielt man sich auffällig zurück, um gleichzeitig in den Meinungsumfragen stetig anzuwachsen. Dies ließ Sozialwissenschaftler und politische Analytiker darauf schließen, daß schon eine gewisse freiheitliche Untätigkeit durch damit zwangsläufig nicht gemachte Fehler einen weiteren Sympathiezuwachs der Bevölkerung für die große Oppositionspartei bringe. Die FPÖ hatte die Volkspartei in den Umfragen überholt und war zur zweiten Kraft im Lande geworden. Das in dieser Situation im Sommer 1997 der Öffentlichkeit angekündigte Anti-Euro-Volksbegehren, sollte somit nach damaliger Ansicht der politischen Kaffeesatzdeuter gut mehr als eine Million Unterschriften bringen, und die Regierung, wohl aber auch Brüssel unter Zugzwang setzen. Haider – so meinte man – würde in der österreichischen Innenpolitik für einen heißen Herbst sorgen.

Dann aber liefen die Dinge anders, als es sich die freiheitlichen Strategen dachten: Die freiheitliche Programmdiskussion, die die Frühjahrsmonate in für solche Debatten völlig untypischer Weise die österreichische Medienöffentlichkeit beschäftigt hatte, wurde Anfang Oktober mit einem Programmparteitag zwar konsensual beendet, man versäumte es aber, sie politisch strategisch richtig zu nutzen. Hier hätte man den öffentlichkeitswirksamen Ansatz gehabt, den Österreichern nun jenen Eindruck zu geben, wie ihn die SPÖ in den ausgehenden 60er Jahren vermittelte: Eine Partei in reger Auseinandersetzung mit den Zeitproblemen, im intellektuellen Diskurs mit Kritikern, mit Parteigängern und -gegnern, im Ringen um Lösungen für die großen Fragen der Zeit. Ein Diskurs, der mit dem Beschluß des Programms nicht beendet, sondern erst wirklich anfangen hätte müssen. Stattdessen zeigte man zwar, daß man Kraft und Geschlossenheit genug hat, um einen Konsens – der inhaltlich durchaus vernünftig ist –, ließ aber politische Beobachter und Bürger deutlich spüren, daß man Kritiker, von innen wie von außen, im Grunde für kleine, miese Kläffer hält, die nur aus persönlicher Bösartigkeit oder Frustration, andere oder gar kritische Ansichten verträten. Diese werde man so oder so schon zur Räson bringen.

Die zweiter Fehlentwicklung brachte das Schilling-Volksbegehren. Der Fehler, den die Freiheitlichen dabei selbst machten, war es wohl, das Begehren an sich zu kompliziert, zu schwer verständlich zu formulieren. Ansonsten hatten sie auf eine Entwicklung, die in den letzten Monaten eben mit einer gewissen Dynamik hin zu einer eher widerwilligen Akzeptanz des Euro durch die Österreicher führte, keinen Einfluß. Diese Entwicklung schon vor der Eintragungswoche erkennend, entsprach es wohl einer negativen Wechselwirkung, daß die Betreiber der Kampagne auch zusehends weniger Energie aufwanden. Der Ausgang war, wie wir wissen, ein mäßiger. Die Versuche, ihn doch als Sieg zu interpretieren, waren schlicht unklug.

Erdrutschartige Zuwächse sind nicht mehr möglich

Außerdem war da noch die oberösterreichische Landtagswahl, von der man sich ehrlicherweise auch mehr erwartet hat. Hier zeigte sich aber, daß man das politische Establishment nicht unterschätzen darf, wenn es unter Aufwendung bedeutender Geldmittel Bürgernähe simulieren kann. Das oberösterreichische Ergebnis zeigte, daß erdrutschartige Zuwächse für die FPÖ nur mehr schwer möglich sein werden.

In einer strategischen Zwangslage befindet sich Jörg Haider auch in Hinblick auf die Kandidatur für das höchste Staatsamt. Ursprünglich sah es genau umgekehrt aus. Man glaubte, Haider könne die große Koalition in eben eine solche Zwangslage versetzen. Wenn er entweder einen attraktiven Kandidaten aufstelle, oder seinerseits Klestil unterstütze, und sich diesen damit für künftige Aufträge zur Regierungsbildung verpflichte. Bei der vorsichtigen Lancierung möglicher freiheitlicher Kandidaten agierte man schlicht unprofessionell. Erkennend, daß sie wohl kaum andeutungsweise an das Parteiergebnis herankämen, sagten alle medial Genannten umgehend ab.

Angesichts dieser, für die große Oppositionspartei schlecht gelaufenen politischen Entwicklungen steht nun vor dem Eindruck, daß Jörg Haider und den Seinen ausgerechnet das abhanden gekommen ist, was für sie das wichtigste ist: Die Themenführerschaft und der politische Unterhaltungswert, beides Faktoren, die bisher Garanten für den politischen Aufstieg waren.

Das Jahr 1998 droht nunmehr also ein einigermaßen blaues Jahr für Jörg Haider und die Freiheitliche zu werden, und damit die auf die zwangsläufig wegen der veränderten Legislaturperiode auf 1999 verschobene Übernahme des Kanzleramts zu gefährden. Gefährden deshalb, weil das Wahlvolk, das innenpolitische Publikum den Volkstribun Haider nichts so sehr nachtragen würde, wie Langeweile. Nun kann es für die freiheitliche Opposition als plebiszitäre Reform- und Emanzipationsbewegung gegen das großkoalitionäre Polit-Establishment vernünftigerweise nur darum gehen, die verlustig gegangene Themenführerschaft wieder zu erringen. Ob dies aber sinnvollerweise noch einmal durch hemmungslose Polarisierung möglich ist, muß bezweifelt werden. Haiders vorjähriger Versuch, durch Zurückhaltung Regierungsfähigkeit zu signalisieren und staatsmännische Statur zu erlangen, mag deshalb an sich der richtige Weg sein, dabei muß allerdings erst ein Modus gefunden werden, eben nicht Langeweile, sondern politische Anteilnahme und leidenschaftliches Engagement des Wahlvolkes zu erregen. Genau diese Kombination aber, staatsmännische Verantwortung zu zeigen und Anteilnahme der Bürger zu erregen, ist nicht mehr möglich mit den Mitteln der fraktalen Kommunikation. Diese bestehen ja darin, um jeden Preis Aufsehen zu erregen, immer dagegen zu sein, immer unorthodox zu sein, immer das Unerwartete zu produzieren und dadurch in einer Welt der Reizüberflutung Aufsehen zu erregen. Dieses von der FPÖ schon geradezu verinnerlichte Rezept dürfte eigentlich ausgedient haben. Gefragt wird also eine neue, inhaltliche Konsequenz der großen Oppositionspartei sein, die einerseits faule Kompromisse seitens der Regierungen schonungslos aufdeckt, andererseits von ihren Werthaltungen und von ihren konkreten Zielvorstellungen absolut berechenbar und verläßlich erscheint. Berechenbar muß eine solche Kraft für die eigenen Sympathisanten und Wähler, aber auch für den politischen Gegner werden.

Der Weg dahin ist ein weiter und ein steiniger. Er wird aber gegangen werden müssen, wenn 1998 doch noch ein freiheitliches Jahr werden soll. Welche Themen, welche politischen Probleme bieten sich zu diesem Zwecke an und wie müßte sich die freiheitliche Opposition sinnvollerweise zu ihnen verhalten?

Angedeutet hat sich bereits in der politischen Auseinandersetzung der letzten Wochen und Monate das nach der mehr oder weniger als Fait accompli zu betrachtenden Einführung des Euro die EU-Osterweiterung und die NATO-Mitgliedschaft Österreichs beherrschende Themen der heimischen Außen- und Europapolitik sein werden. Was die EU-Osterweiterung betrifft, so ist mit einiger Sicherheit damit zu rechnen, daß Estland, Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien und Kroatien bis zum Jahr 2002 die Chance haben werden, Mitglied der EU zu werden. Der freiheitliche Oppositionsführer hat bereits in den letzten Wochen darauf hingewiesen, daß diese EU-Osterweiterung mit großen Kosten verbunden sein könne, daß sie zu einem weiteren Sterben der heimischen Landwirtschaft führen und die Arbeitslosigkeit im Lande verschärfen werde.

Die Freiheitlichen müssen berechenbarer werden

All diese Vorbehalte sind keineswegs aus der Luft gegriffen, sie ändern aber nichts daran, daß nahezu ein Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und nach der für die betreffenden Länder keineswegs problemlosen Einführung der Marktwirtschaft so etwas wie eine gewisse Verpflichtung seitens der freien westeuropäischen Länder besteht, die kleinen Nationen Osteuropas und Ostmitteleuropas in die europäische Integration einzubeziehen. Die geopolitische Lage unserer Republik, aber eben auch die dynastische und machtpolitische Verbindung über Jahrhunderte mit den betreffenden Völkern und Regionen birgt für uns die Verpflichtung in sich, Vermittler für die betreffenden Staaten in Richtung europäische Integration zu werden und damit sogar eine der treibenden Kräfte dieser EU-Osterweiterung. Die Freiheitlichen, die noch vor Jahren betont haben, sie seien für ein Europa der Vaterländer bis zum Ural, hätten als Kontrastprogramm zum politischen Establishment in Wien die Chance, sich zum innerösterreichischen Anwalt der EU-Osterweiterung und der von ihr betroffenen Nationen aufzuwerfen. Im Jahre der EU-Präsidentschaft Österreichs stünde es der oppositionellen FPÖ traurig an, den provinziellen Konterpart zur Regierung zu spielen. Sie sollte vielmehr versuchen, die Fähigkeit zu entwickeln, die kleinkarierte Halbherzigkeit der Regierung bloßzustellen, indem sie selbst eine offensive Vermittlerrolle für jene Nationen propagierte, die zur österreichischen Schicksalsgemeinschaft gehörten, und nunmehr zwangsläufig zur europäischen Schicksalsgemeinschaft gehören werden.

Was einen möglichen NATO-Beitritt Österreichs betrifft, war die FPÖ, zumindest seit 1991, die treibende Kraft. Sie hatte in dieser Frage die Themenführerschaft und konnte in diesem Bereich eine Politik pragmatischer Vernunft demonstrieren. Umso kurioser mutet es dann an, wenn der Verteidigungsminister von freiheitlicher Seite attackiert wird. Hätten die Freiheitlichen vielmehr nicht triumphierend sagen müssen, die Regierung vollziehe in vorauseilendem Gehorsam politische Vorstellungen der freiheitlichen Opposition?

Gegenüber der FPÖ unfreundlich eingestellte politische Beobachter mutmaßen bereits, daß Jörg Haider und seine Partei ebenso wie seinerzeit in der Frage der EU-Mitgliedschaft im Bereich des NATO-Beitritts einen Schwenk vollziehen könnte: Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Regierenden Ja zur NATO sagen könnten, könnte Jörg Haider plötzlich auf ein Nein umschwenken. Klüger wäre es da, die eigene Pro-NATO-Haltung insofern qualitativ zu präzisieren, als man einer Europäisierung der Nato verstärkt das Wort reden könnte. Auch aus österreichischer Sicht kann und darf die NATO nicht zum bloßen Vollzugsorgan US–amerikanischer Interessen werden. Das nordatlantische Bündnis sollte vielmehr aus zwei starken Partnern, den USA und den Europäern bestehen.

Was die Wahlgänge 1998 betrifft, kann die freiheitliche Opposition mit gewissen Zuwächsen rechnen. Das strategische Dilemma der Freiheitlichen für die Präsidentschaftswahl ist aber wahrscheinlich nicht mehr vollends aufzulösen. Einerseits könnte man klar deutlich und ohne große Emotionen den amtierenden Präsidenten unterstützen, dies brächte der Partei nichts, und der dadurch entstehende Schaden bestünde "nur" darin, daß man einen Wahlgang ausgelassen hätte, was natürlich für eine wahlkampf- und wahlsiegorientierte Bewegung schmerzhaft ist. Sollte man sich doch noch entschließen, eine eigene Persönlichkeit zu präsentieren, täte man gut daran, jemanden ins Auge zu fassen, der Kraft seiner Biographie und seines Images nicht als unmittelbarer Parteikandidat gilt und dessen Abschneiden trotzdem für die FPÖ nicht unehrenhaft wäre. Wie man die Kandidatur dreht und wendet, sie wird sich wohl nicht mehr zu einem weiteren Baustein des Aufstiegs für die FPÖ entwickeln.

Die zentrale Frage aber, deren kluge Behandlung dazu führen könnte, daß das Jahr 1998 ein "freiheitliches" werden könnte, ist die soziale Frage. Hier tickt eine soziale Bombe, für deren Lösung die Regierenden keineswegs die richtigen Rezepte gefunden haben. Die Chance der FPÖ besteht darin, den von der Zwei-Drittel-Gesellschaft bedrohten Mitbürgern zu zeigen, daß ernsthaft an Problemlösungen gearbeitet wird, daß unsere Gemeinschaft eine neue Form von Solidarität benötigt. Wenn Jörg Haider 1999 Kanzler werden will, dann wird er im Jahre 1998 eine glaubhafte Konzeption, die sich nicht in klugen Papieren erschöpfen darf, für eine neue österreichische Sozialpolitik erstellen müssen.


 
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