© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/98  16. Januar 1998

 
 
Südkorea: Der Finanzvirus greift um sich
Tiger ohne Krallen
von Ronald Gläser

 

Nach dem Anstieg der Wall Street vom Montag scheint sich die augenblickliche Krise an den ostasiatischen Finanzmärkten entspannt zu haben. Dennoch stellt sich uns die Frage, ob das "Asiatische Wunder" vorbei ist?

Lee:

Wir erwarten zunächst eine Rezessionsphase in den kommenden ein oder zwei Jahren, sowohl in Südkorea als auch im ganzen Wirtschaftsraum. Das ist im Grunde ein normaler Wachstumszyklus, aber sämtliche Volkswirtschaften stehen vor großen Umstrukturierungsmaßnahmen.

Glauben Sie, daß es Ihrer Regierung mit dem Kredit des Internationalen Währungsfonds und dem von Bürgern gespendeten Goldbeständen gelingen wird, die kroeanische Landeswährung Won zu stabilisieren?

Lee:

Ja, wir gehen von einer deutlichen Stabilisierung des Außenwertes des Won bis zum Jahresende aus. Der jetzige Kurs von 1.700 Won pro 1 US-Dollar soll auf 1.300 Won pro 1 US-Dollar gesenkt werden. Das ist das erklärte makroökonomische Ziel der koreanischen Regierung und des Währungsfonds.

Gestern haben Kanzler Kohl und der indonesische Präsident Suharto miteinander telefoniert. Wie können und werden die westlichen Industriestaaten den ostasiatischen Volkswirtschaften helfen?

Lee:

Das Interesse der Bundesregierung an der Lage in Ostasien ist schon ein gutes Zeichen. Wir Koreaner erwarten vor allem von den Vereinigten Staaten Unterstützung, die ja auch für die Sicherheit Südkoreas bürgen. Die USA erwarten von uns allerdings zunächst die Umsetzung eines großen Reformprojekts. Alle Länder Ostasiens stehen vor solchen Umstrukturierungsmaßnahemen, die insbesondere auf Deregulierung und Liberalisierung des Finanzmarktes abzielen.

Nun zu den Ursache für den Kollaps der Währung: Wo liegen nach Ihrer Ansicht die Hauptursachen für den Zusammenbruch so vieler Währungen, wie Bath, Rupie, Won oder Hongkong-Dollar?

Lee:

Die Ursachen sind von Land zu Land unterschiedlich. Eines haben alle diese Länder gemeinsam: das rasante Wachstum in den vergangenen Jahren, das vor allem durch ausländisches Kapital finanziert wurde. Das Problem besteht darin, daß die Tigerstaaten dadurch von ausländischen Geldgebern abhängig geworden sind. Ferner ist der eigene Finanzmarkt in allen diesen Ländern verglichen mit den entwickelten Branchen zumeist stark unterentwickelt. Und der Finanzmarkt unterlag lange staatlichen Kontrollen. Die Regierung Südkoreas beispielsweise hat jahrelang die "strategischen Industrien" –Schwerindustrie, Chemie, Schiffsbau und Mikroelektronik – gefördert und staatlich subventioniert, was ja auch bis zur Öffnung der Finanzmärkte erfolgreich funktioniert hat. Die Öffnung der Finanzmärkte hat den Zufluß ausländischen Kapitals noch verstärkt und den Verschuldungsgrad Koreas zu sehr ansteigen lassen. Die Regierung konnte ferner nicht mehr wie früher das Kapital kontrollieren. Zusammengefaßt sehe ich die Struktur der koreanischen Wirtschaft als Ursache: zum einen ein florierendes produzierendes Gewerbe, zum anderen einen unterentwickelten Finanzsektor und zu wenig eigenes Kapital.

Wo sehen Sie die Arbeitslosigkeit, wenn die Rezessionsphase vorüber ist?

Lee:

Wir haben jetzt eine Arbeitslosenquote von drei Prozent. Es ist zu befürchten, daß Firmenpleiten und daraus folgende Entlassungen die Zahl der Arbeitslosen bis auf acht oder neun Prozent treiben.

Was wird aus dem Seouler Aktienmarkt? Der KOSPI hat den Anlegern wenig Freude bereitet?

Lee:

Der Aktienmarkt erholt sich bereits von den Rückschläger der letzten Wochen und Monate. Die Wirtschaft wird sich ja wieder von der augenblicklichen Schwächephase erholen. Und die fundamentalen Zahlen Südkoreas stimmen allemal. In den erwähnten Schlüsselbranchen wie Schiffbau, Autoindustrie und Mikroelektronik steht Südkorea an sechster oder siebenter Stelle weltweit. Deswegen kommen mehr und mehr Investoren nach Korea, und der Aktienmarkt wird sich schnell erholen.

Ein anderes Thema: Neben Malaysia und Thailand hat auch Südkorea seine Gastarbeiter aufgefordert, daß Land zu verlassen…

Lee:

Nein, in Korea gibt es so etwas meines Wissens nicht. Die Menschen gehen ja freiwillig aus dem Land. Das liegt vor allem daran, daß die Löhne unserer Gastarbeiter auf Basis ihrer Heimatwährungen durch den Verfall des Wons um rund ein Drittel gesunken sind. Wenn der Lohn auf Dollarbasis binnen eines Jahres um über 30 Prozent sinkt, lohnt es sich oftmals nicht mehr, nach Korea zu gehen und dort zu arbeiten. Indonesien und Thailand geht es da nicht viel anders.
 
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