© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/98  16. Januar 1998

 
 
Österreich: Am 1. Juli übernimmt das Land die Präsidentschaft der Europäischen Union
Europäische Weichenstellungen
von Veronika Poderschnig

Seit Jahresbeginn ist Österreich für die nächsten 18 Monate Mitglied der EU-Troika, dem "Lenkungsausschuß" der Union, der die Außenminister des vorangegangenen (Luxemburg), der aktuellen (Großbritannien) und der kommenden (Österreich) Präsidentschaft angehören. Die Troika versteht sich als eine Art "krisenpolitische Feuerwehr", die einerseits die politische Kontinuität garantieren und andererseits die derzeit wackelige Außenpolitik der Europäischen Union repräsentieren soll.

Das außenpolitische Dreigespann der EU wird in erster Linie bei Krisen in Beziehungen zu Drittstaaten eingesetzt. Dazu zählen weiterhin etwa Ex-Jugoslawien, der Nahe Osten und nun auch Algerien. Noch im Januar sollen Vertreter der EU-Führungstroika nach Algier entsendet werden. Die Troika kann aber auch aktiv werden, wenn eigene Bürger in Drittstaaten entführt werden oder Menschenrechtsverletzungen vorliegen.

Der alphabetischen Reihenfolge verdankt Österreich, daß es als erstes der drei jüngsten Mitgliedsländer nach bereits drei Jahren Mitgliedschaft den EU-Vorsitz übernehmen wird. Das bringt natürlich für Österreich eine enorme Belastung mit sich: Innerhalb von nur sechs Monaten sind etwa 40 Ministerratstagungen und zwischen 1.300 bis 1.600 Tagungen auf Beamtenebene zu leiten. Alleine in Österreich sind 11 informelle Ministertreffen und etwa 40 Fachtagungen zu führen. Dazu kommen noch zahlreiche Kontakte mit Drittstaaten auf Regierungs- und Beamtenebene. Österreich darf also mit der Präsenz der wichtigsten Entscheidungsträger und Meinungsbildner rechnen: In der zweiten Jahreshälfte 1998 werden etwa 10.000 bis 15.000 Delegierte und Medienvertreter im Land erwartet.

Für die Veranstaltungen aller Ressorts (KFZ-Pool, Konferenz- und Schreibmaterial, Akkreditierung, Dolmetscher, EDV, Druckwerke u.ä.) wurde ein Budget von rund 70 Millionen Mark bereitgestellt. Allein die Sicherheitsagenden werden davon 14 Millionen verschlingen.

Ohne Zweifel übernimmt Österreich in einer der heikelsten Phasen der Geschichte der Gemeinschaft den Vorsitz. Eine "Routinepräsidentschaft" darf sich Österreich nicht erwarten, kommentiert der frühere EG-Botschafter in Wien und jetzige Kabinettchef Kommissar Fischlers in Brüssel, Corrado Pirzio-Biroli: "Zu viele inhaltliche Entscheidungen stehen in der Agenda 2000 an". Gerade in der letzten Phase der Euro-Endrunde (Start mit 1. Januar 1999) und der größten EU-Erweiterungsrunde mit den Oststaaten warten turbulente Monate auf Österreich.

Die Osterweiterung wird daher, neben dem Euro, eines der wichtigsten Themen während der Präsidentschaft sein, ist sich auch Staatssekretärin Benita Ferrero-Waldner sicher.

Daneben sollen aber auch die finanzielle EU-Vorschau für die Zeit von 2000 bis 2006, das sogenannte Finanzpaket Santer I, vorbereitet, die Struktur- und gemeinsame Agrarreform sowie die Reform der Kohäsionsförderungsfonds vorangetrieben werden. Auch die Verwirklichung der EU-Beschäftigungsziele wird ein wesentlicher Themenbereich sein. Hinzu kommen neue, jüngere Problematiken, die nicht unterschätzt werden dürfen, wie etwa die Algerienkrise und die Kurdenproblematik, die die EU zu meistern hat.

Besonders aber sorgen die erstgenannten Themenbereiche – Euro und Osterweiterung – für politischen Sprengstoff. Zwar sind alle EU-Mitgliedsländer gewillt, den Euro zu etablieren, um damit die Integration voranzutreiben. Wie dies erreicht werden soll, darüber wird noch heftig diskutiert werden.

Auch wehren sich einerseits die EU-Südländer gegen die Forderung der EU-Nettozahler, auf die Kohäsionsförderungen zu verzichten, sollten sie in die EWU aufgenommen werden. Andererseits sehen die Nettozahler nicht ein, daß sie im Falle der Osterweiterung höhere Beitragszahlungen leisten müssen.

Wenn Österreich den EU-Vorsitz übernimmt, werden zwar schon die wichtigsten Entscheidungen für die Einführung des Euro gefallen sein, etwa welche Länder der Währungsunion beitreten werden. Die Umrechnung der nationalen Währung in den Euro wird aber noch zu regeln sein. Auch die Entscheidung über den Präsidenten für die Europäische Zentralbank, sowie die Richtlinien zur Euro-Einführung dürften unter österreichischem Vorsitz gefällt werden. Österreichs Vorsitz fällt zudem auch in jene Phase der Euro-Vorbereitung, in der der Euro dem größten Spekulationsrisiko ausgesetzt ist.

Während des Vorsitzes wird sich auch herausstellen, wie ernst es die Regierung mit ihrer Zusicherung meint, die Reformstaaten bei ihrer Integration in die EU zu unterstützen. Österreich kann nämlich den Fortschritt der Beitrittsverhandlungen stark beeinflußen.

Ein besonderes österreichisches Thema wird die Erhaltung der Grenzlandförderung sein, da die Grenzregionen "lange Zeit selbst Sackgassen waren", so Ferrero-Waldner. So muß besonders in Grenzregionen ein EU-Schwerpunkt bei Maßnahmen zur Wettbewerbssteigerung gesetzt werden.

Wer aber glaubt, Österreich könne die Präsidentschaft für eigene nationale Interessen nützen, hat sich geschnitten. Ferrero-Waldner betont, daß "während der Zeit des Vorsitzes die eigenen nationalen Interessen zugunsten des Allgemeinwohls hintan gestellt werden müssen. Es wäre also verfehlt zu erwarten, Österreich könne seine Präsidentschaft vor allem dazu nützen, eigene Anliegen auf europäischer Ebene durchzusetzen. Im Gegenteil wird eine Präsidentschaft daran gemessen, inwieweit es ihr gelingt, die laufenden Arbeiten in der Union zu managen."

Der Vorsitzende in der EU hat zwar kein höheres Stimmgewicht und kann keine Entscheidungen erzwingen. Er wählt aber aus, welche Themen behandelt werden und ist dafür verantwortlich, Kompromisse zu suchen, damit eine Einigung überhaupt möglich wird. Dazu sollte er seine eigenen Interessen zurückstellen, lautet das ungeschriebene Gesetz in der Union.

Für Österreich selbst hat sich die Bundesregierung vorgenommen eine "möglichst bürgernahe" Präsidentschaft zu führen. Jedes Bundesland soll eines der elf Ministertreffen beherbergen. Den Auftakt des österreichischen EU-Vorsitzes bildet jedoch die Arbeitstagung der Bundesregierung und der Europäischen Kommission am 1. und 2. Juli 1998 in Wien. Begleitet wird dieser Auftakt mit einem "EU-Fest". Das umfangreichste aller Veranstaltungen, die ordentliche Tagung des Europäischen Rates, bei der rund 2.000 Delegierte und ein Heer von Journalisten (ca. 3000) erwartet werden, wird Österreich schließlich am 11. und 12. Dezember 1998 zu bewältigen haben.


 
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