© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/98  16. Januar 1998

 
 
Moslem-Extremismus: Ägyptische Behörden sehen der Not der Christen oft tatenlos zu
Welle der Gewalt gegen die Kopten
von Martin Schmidt

Die in Ägypten lebenden christlichen Kopten sind eine schwer bedrängte Minderheit. Wie ernst die Lage dieses konfessional in verschiedene Gruppen zerfallenden Bevölkerungsteils ist, der zwischen 6 und 15 Prozent der über 40 Millionen Einwohner des Nillandes ausmacht, verdeutlicht ein Bericht des US-Außenministeriums vom 22. Juli 1997: "Al-Fikriya im Kreis Abu Qurqas bei Al-Minja am 12. Februar 1997: Während des Gebets in der Georgs-Kirche drangen bewaffnete Männer in die Dorfkirche ein. Bilanz: 13 Tote und sechs Verletzte. Sie töteten vier Christen, die aus der Kirche geflüchtet waren. Gewöhnlich sind Polizisten vor den Kirchen postiert. In diesem Falle war aber kein Polizist in der Nähe. Zur selben Zeit wurden drei Christen in der Evangelischen Kirche in Mensavis ermordet. In Ezbet Dawoud und in Abu Qurqas geschahen ähnliche Verbrechen im März 1997. Am 13. März wurden innerhalb einer halben Stunde neun Christen im Dorf Kamel Tekla bei Nag Hammadi in Oberägypten niedergeschossen."

Radikale Moslems ermordeten 1996 22 Kopten, im vorangegangenen Jahr waren 30 Gewaltopfer zu beklagen, und 1994 fielen den Terroristen neun Christen zum Opfer. Außerdem sind die Angehörigen dieser religiösen Minderheit besonders häufig Schutzgelderpressungen von Organisationen wie der Gamaat Al-Islamiya (Islamische Gemeinschaft) ausgesetzt. In den vergangenen 15 Jahren zerstörten Brandstifter zehn christliche Kirchen; am 14. 2. 1996 wurde mit Kafr Damian ein ganzes koptisches Dorf geplündert und angezündet. Wie die ägyptische Organisation für Menschenrechte bereits 1990 feststellte, bleiben Regionalpolitiker und die örtliche Polizei häufig untätig. Die Kopten sind damit praktisch wehrlos, da sie mittlerweile über keine eigene politische Vertretung mehr verfügen und die regelmäßig über ihre Situation berichtende Zeitschrift Watani im letzten Jahr verboten wurde und jetzt nur noch im Untergrund erscheint.

 

Keinerlei Fürsprecher in Parlament und Presse

Bei den letzten Parlamentswahlen im November 1995 kandidierten insgesamt 48 Christen auf den Listen der linken und liberalen Parteien sowie kleinerer Gruppierungen. Auf Propaganda-Flugblättern der Regierungspartei hieß es damals: "Wer einen Ungläubigen wählt, ist selbst ein Ungläubiger."

Die auf einer Vielzahl von Vorurteilen beruhende Benachteiligung der Christen in der ägyptischen Gesellschaft zeigt sich in diversen Bereichen: So sind die Kopten zu der tausendjährigen renommierten Al-Azhar-Universität in Kairo ebenso nicht zugelassen wie zu zahlreichen Schulen. Christliche Bildungsstätten müssen dagegen einen hohen Anteil muslimischer Schüler zulassen. Kopten dürfen ferner am Arbeitsplatz bei Beförderungen und Gehaltserhöhungen übergangen werden. Leitende Positionen sind ihnen ohnehin weitgehend versperrt mit der Begründung, daß der Koran in der 51. Sure, Vers 5 vorschreibt: "Nehmet nicht die Juden und die Christen als Vorgesetzte an." Ein Dekret vom Oktober 1990 besagt, daß nur 4 von 209 Staatsanwaltsposten für Christen vorgesehen sind sowie 4 von 255 Gerichtsassistenten-Stellen. Deutlich unterrepräsentiert sind die Kopten auch in der Polizei und in den Reihen der Armee.

Maßgeblich gefördert wird die rigide ägyptische Minderheitenpolitik von Saudiarabien aus. Banken, Körperschaften und Bildungseinrichtungen, die Kopten den Zugang verwehren, werden mit saudischen Petrodollars gefördert. Doch die eigentliche Grundlage der Diskriminierungen wurzelt tief in der ägyptischen Geschichte und bestimmten islamischen Dogmen.

Der Begriff Kopten leitet sich aus der griechischen Bezeichnung "aigyptioi" für Ägypter ab. Im 1. Jahrhundert n. Chr. kam der Evangelist Markus nach Alexandrien, missionierte die Ägypter und gründete eine Kirche. Bis zum Jahre 641 waren alle der damals 18 bis 20 Millionen Ägypter christlich. Dann kamen arabische Eroberer, die das Land nach und nach islamisierten. Unter dem Kalifen Omar Ebn El Khatab und dem Feldherrn Amr Ebn El Aas wurde eine Kopf-steuer für jeden erhoben, der nicht zum Glauben Mohammeds übertrat. Wer sich diese noch bis ins 19. Jahrhundert erhobene Kopfsteuer nicht leisten konnte, konvertierte oder wurde mit dem Tod durch das Schwert bestraft.

Diese Epoche der arabischen Eroberung war die Zeit der großen christlichen Märtyrer, die die Kopten bis heute verehren. Die räumliche Verteilung der Kopten im Lande der Pyramiden spiegelt die Geschichte ihrer Verfolgung wider: Sie konzentrieren sich in Mittelägypten im Gebiet um El-Minya und Asyut, wohin sie durch die arabischen Eroberer aus dem Norden abgedrängt wurden. Die Christen suchten aber auch Schutz in der Metropole Kairo und zum Teil in Alexandrien.

Unter den muslimischen Ägyptern herrschen heute folgende Vorurteile gegenüber ihren koptischen Landsleuten vor: Die Christen seien reich und gleichzeitig faul. Diese Auffassung dürfte auf die Folgen der Kopfsteuer zurückzuführen sein, in deren Konsequenz nur reichere Ägypter nicht konvertierten. In der heutigen ägyptischen Verfassung ist einerseits die Religionsfreiheit festgeschrieben, andererseits heißt es, daß das islamische Recht der Scharia die Hauptquelle der Gesetzgebung sei. Letzteres bedeutet indes nicht, daß das komplette Scharia-Strafrecht angewandt wird.

Eine Reihe von Gesetzen und Dekreten islamischen Ursprungs unterscheidet zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Unter allen Vorschriften, bei denen die rechtliche Stellung von der Religionszugehörigkeit abhängig gemacht wird, sind die ägyptischen Christen am häufigsten vom "Hamayouni-Dekret" betroffen. Dieses besteht seit dem Jahr 1856, als Ägypten noch unter osmanischer Herrschaft stand. Sein Ursprung reicht aber wahrscheinlich bis in die Zeit der arabischen Eroberung zurück. Das Dekret regelt die Renovierung der christlichen Kirchen und verbietet deren Neubau.

 

Gesetzgebung ermöglicht Diskriminierung der Christen

Vor ein paar Jahren war noch ein Präsidentenerlaß für die Renovierung einer Kirche erforderlich. Heute regeln Einzelfallverordnungen die Reparatur und Restaurierung. Zunächst muß ein Antrag beim Innenministerium eingereicht werden, das nach der eigenen Stellungnahme den Antrag an den Gouverneur der betreffenden Provinz weitergibt. Dieser entsendet wiederum einen Ingenieur, der eine Einschätzung der notwendigen Ausbesserungen abgeben soll. Auf der Grundlage seines Gutachtens wird schließlich eine Einzelerlaubnis mit konkreten Auflagen erteilt. Solch ein Verfahren kann sich über viele Jahre hinziehen. Selbst bei touristisch bekannten Gotteshäusern gab es schon Wartezeiten von bis zu 15 Jahren.

Setzt sich eine Kirchenleitung jedoch über diese Gängelung hinweg und nimmt eigenmächtig eine Restaurierungsmaßnahme vor, so treten bei Bekanntwerden die Sicherheitsorgane in Aktion. Es ist schon vorgekommen, daß die Polizei gerade während eines Gottesdienstes einschritt. Am 23. Juni 1991 geschah dies in El-Montaza in Alexandrien, wo die Kirche nach der Polizeiaktion zerstört wurde. Als in Samalot die "Kirche der Heiligen Jungfrau Maria" repariert werden sollte und die Muslime in der Umgebung davon Wind bekamen, rückten diese eines Nachts an, raubten die Kirche aus und brannten sie bis auf die Grundmauern nieder.

Während es abgesehen von touristisch wichtigen christlichen Gotteshäusern wie der Mualaka-Kirche in Alt-Kairo seit nunmehr 20 Jahren keine Restaurierungen koptischer Kirchen mehr gegeben hat, wird die Errichtung bzw. Erneuerung von Moscheen seitens des Staates massiv gefördert. Islamisches Recht wird auch in der sogenannten "Hesba-Klage" angewandt. International bekannt geworden ist diese Form der privaten strafrechtlichen Klage durch den Fall des besonders liberalen muslimischen Professors Abu Zeid, der von Glaubensfanatikern des Abfalls vom Koran beschuldigt wurde. Das Gericht entschied auf "schuldig" und forderte die Zwangsscheidung Abu Zeids von seiner muslimischen Frau, da ein Nicht-Muslim nach ägyptischem und islamischem Recht nicht mit einer Muslimin verheiratet sein darf.

In einem älteren Fall aus dem Jahre 1966 waren Christen von der Hesba-Klage betroffen. Eine Vermieterin wollte ihre Eigentumswohnung zu einem höheren Preis vermieten, konnte dies aber bei ihren christlichen Mietern nicht durchsetzen. Deshalb behauptete sie, daß die Christin einmal muslimischen Glaubens gewesen sei. Zwei wahrscheinlich gekaufte Zeugen bestätigten dies, so daß die Koptin wegen Abtrünnigkeit verklagt werden konnte. Das Ehepaar wurde zwangsgeschieden und mußte die Wohnung verlassen. Der Abfall vom Islam kann mit Heiratsverbot, Zwangsscheidung oder Enterbung geahndet werden.

Eine Konversion vom Islam zum Christentum ist nach ägyptischem Gesetz nicht ausdrücklich verboten, jedoch verurteilt das Strafrecht die "Beleidigung der Religionen" und die "Anstiftung zum Aufruhr", was wiederum den Tatbestand der "Beeinträchtigung der nationalen Einheit" bzw. des "sozialen Friedens" zur Folge hat. All diese Bestimmungen erweisen sich in der Praxis als weit dehnbare Gummiparagraphen. Konvertiten können außerdem wegen Urkundenfälschung angeklagt werden: In allen amtlichen Papieren muß das religiöse Bekenntnis vermerkt werden, viele Konvertiten versäumen jedoch die Ummeldung, da sie sich berufliche oder andere Nachteile ersparen wollen. 1996 sind zwei Fälle durch die internationalen Medien gegangen, bei denen die Polizei Konvertiten sogar gefoltert hat, um von ihnen die Namen weiterer "Abweichler" zu erfahren. Christen, die zum Islam übertreten, bekommen dagegen viele wirtschaftliche und sonstige Vergünstigen eingeräumt.

 

Heiratsverbot, Zwangsscheidung und Enterbung

Da sich in den letzten Jahren im Zuge einer allgemeinen Intensivierung des fundamentalistischen Terrors in Ägypten der Assimilierungsdruck auf die Kopten erheblich verstärkt hat, formulierte deren Papst Schenuda III. einen stichwortartigen Katalog mit möglichen Maßnahmen, wie dieser Bedrohung einer uralten Minderheit politisch begegnet werden könnte: Erteilung voller Bürgerrechte, besserer Schutz durch die Sicherheitskräfte, Festlegung einer 13-Prozent-Quote von Abgeordnetenmandaten im Kairoer Parlament, konsequente Durchsetzung des Leistungsprinzips bei Berufseinstellungen und Beförderungen, Veröffentlichung genauer Daten über die Kopten und gesetzliche Gleichstellung des Baus von Kirchen mit der Errichtung von Moscheen.

Für all dies wäre es in der Tat höchste Zeit, doch realistisch gesehen besteht angesichts der Erfolge radikal-islamischer Kräfte auch in Ägypten nur wenig Hoffnung auf baldige Verbesserungen, zumal die christlichen Staaten des Westens mit einer entsprechenden Kritik äußerst zurückhaltend sind.


 
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