© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/98  23. Januar 1998

 
 
Chile: General Augusto Pinochet soll mit allen Mitteln politisch kaltgestellt werden
Sommertheater um Senatorenamt
von Thomas Veigel

Chile steht derzeit in mehrerer Hinsicht unter Druck: Das Wetterphänomen "El Niño" bringt Überschwemmungen in der Atacamawüste, wo es seit 250 Jahren nicht mehr geregnet hatte. In Santiago fiel kurz vor Weihnachten nach einer Tageshitze von über 30° C mitten im Sommer fast ein halber Meter Schnee.

Auch im wirtschaftlichen Bereich stehen dunkle Wolken am chilenischen Himmel: Die Krise in Asien wird nach Meinung von Fachleuten das Wirtschaftswachstum um 1-2% niedriger ausfallen lassen. Die Rohstoffpreise sind angesichts einer möglichen weltweiten Rezession auf Niedrigstwerte gefallen; vor allem der schlechte Kupferpreis drückt die Staatseinnahmen.

Nichts weniger als ein "Sommerloch" gibt es in der Innenpolitik: Nachdem im vergangenen Jahr mitten im Parlament eine Gruppe Rauschgiftdealer aufflog, die von einem Mitglied des Obersten Gerichtshofes gedeckt wurde, hat das Ansehen der Abgeordneten sehr gelitten. Auch um Ablenkung von diesem Skandal geht es den Initiatoren des gegenwärtigen großangelegten Sommertheaters. Anläßlich der bis spätestens 10. März 1998 anstehenden Demission von General Augusto Pinochet vom Posten des chilenischen Armeechefs spielen einige Mitglieder der Regierungskoalition, der sogenannten "Concertacion", das Stück "Verfassungsklage".

Mit allen Mitteln soll dem 82jährigen scheidenden Oberbefehlshaber, Ex-Präsidenten und Juntachef das ihm gemäß selbst veranlaßtem Grundgesetz zustehende Senatorenamt verwehrt werden. Im Parlament erlitt die Koalition aus PS (Sozialistischer Partei), PDC (Christdemokraten) und PPD (Partei für die Demokratie) bereits eine erste Niederlage bei ihrem Versuch, die Institution der auf Lebenszeit ernannten und nicht gewählten Senatoren zu beseitigen. Die politische Linke stellt den Senat gern als bloßes "Nebenparlament der Generäle" dar, was eine verkürzte Sichtweise ist angesichts der Tatsache, daß dem Gremium u. a. automatisch alle ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichtshofes sowie des Obersten Rechnungshofes angehören und der Senat sich mit der Zeit in seiner politischen Zusammensetzung naturgemäß verändert. Die Senatoren-Ämter sind Teil der 1980 von mehr als zwei Dritteln der Chilenen in einer Abstimmung angenommenen Verfassung und können nur mit einer Zweidrittelmehrheit der Parlamentarier abgeschafft werden.

Nun wirft man Pinochet vor, daß er seit dem demokratischen Übergang am 11. März 1990 regelmäßig in öffentlichen Auftritten "die Ehre und das Prestige der chilenischen Nation geschädigt" habe. Obwohl der General in den letzten Jahren auf Äußerungen allgemeinpolitischen Inhalts weitgehend verzichtete,war seine bloße Präsenz in der Führung der Streitkräfte international offenbar eine Provokation. Der US-amerikanische Botschafter in Santiago ließ in Interviews verlauten, daß seine Regierung solange keine Waffen und Ersatzteile liefern werde, bis Pinochet das Oberkommando der Armee abgegeben habe. Auch die deutsche Regierung betonte, daß rund 100 gebrauchte Kampfpanzer des Typs Leopard I. erst dann in das südamerikanische Land geliefert würden, wenn der Ex-Präsident in den Ruhestand getreten sei.

Die in Chile diskutierte Verfassungsklage gegen den General wird selbst in den Reihen der Regierungsparteien nicht einhellig unterstützt. Der christdemokratische Präsident Eduardo Frei hat zwar nichts gegen eine Debatte innerhalb der christdemokratischen Partei zum Thema eventueller politischer Verfehlungen Pinochets, widersetzt sich aber einem politischen Prozeß. Frei hat über die letzten Jahre trotz entgegengesetzter Behauptungen großer ausländischer Zeitungen relativ reibungslos mit Augusto Pinochet zusammengearbeitet, zumindest ist von heftigen Streitereien, wie sie mit Freis Amtsvorgänger Patricio Aylwin an der Tagesordnung waren, in der Öffentlichkeit nichts bekannt geworden. Solches würde auch mit einem wichtigen Kapitel der Familiengeschichte brechen, denn der Oppositionsführer gegen den sozialistischen Präsidenten Allende, der ehemalige Präsident und Vater des jetzigen Staatsoberhaupts, Eduardo Frei, hatte nach dem Militärputsch am 11. September 1973 diesen als notwendig bezeichnet. Bald ging Vater Frei dann jedoch auf Konfrontationskurs zur Militärregierung, als diese keine Anstalten machte, die alleinige Verfügung über die Schaltzentren der Macht wieder abzugeben.

Führende Verfassungsrechtler verschiedener politischer Lager sind sich einig, daß die Verfassungsklage gegen Pinochet juristisch gesehen keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Reaktion des Generals auf die Initiative war dennoch geharnischt: In Punto Arenas, der südlichsten Stadt der Welt, drohte er für den Fall eines "Verfassungsbruchs" das erste Mal seit Jahren wieder mit dem Eingreifen des Militärs. Auch in den ärmeren Teilen der Bevölkerung verfügt er noch immer über viele Sympathisanten, die nicht vergessen haben, daß niemals zuvor in der Geschichte Chiles derart viele soziale Maßnahmen für die Allerärmsten getroffen wurden wie in der Ära der Militärregierung. Riesige Elendsviertel konnten damals aufgelöst und die Bewohner in Sozialwohnungen angesiedelt werden. Zwar wurde dieses Programm auch unter der demokratischen Regierung fortgesetzt, aber Betrug und Schlamperei führten dazu, daß im letzten Winter nach starken Regenfällen über 45.000 Wohnungen neueren Datums unbewohnbar wurden.

Daß das ökonomische Modell, das Chile bei einer Inflation von 6% und anhaltend niedriger Arbeitslosigkeit zum stabilsten Wirtschaftsstandort Südamerikas gemacht hat, Augusto Pinochet zu verdanken ist, streiten nicht einmal seine Feinde ab. Und je weiter sich der schillernde General vom politischen Tagesgeschäft entfernt, die Nebel der Propaganda sich lichten und zugleich berechtigte Kritik der Vergessenheit anheimfällt, desto mehr steigt zum Ärger der Allende-Nostalgiker auch sein Ansehen in der Bevölkerung. So mancher Chilene erkennt angesichts der neuerlichen Virulenz linksextremer Terrorgruppen zum Beispiel, daß die alte Behauptung von Gegnern der Militärdiktatur, der (damals übrigens viel geringfügigere) Terror sei nur eine Reaktion auf die Armeeherrschaft, eine Lüge war.


 
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