© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/98  23. Januar 1998

 
 
Skinhead-Studie: Über Monster, Wolfskinder, Sexobjekte
Die Erotik der Gewalt
von Thorsten Hinz

Das Gute dieser Welt hat in der verblichenen Prinzessin Diana seine Allegorie. Eine Allegorie für das Böse, wenigstens in Deutschland, existiert auch: in Gestalt der Skinheads. Skins füllen Zeitungsseiten, im Fernsehen Sende- und in Parlamenten Fragestunden. Man weiß: Es sind gewalttätige Monster, brutal und weit "rechts".

Weiß man es tatsächlich? Der Jugendforscher Klaus Farin hat die Erklärungsstereotype und Medienprojektionen an der Realität gemessen, hat Quellen wie Verfassungsschutz- und Polizeiberichte, Spiegel, Stern und Bild gesichtet, ausgewertet und festgestellt: sie taugen nichts. Die Wahrheit ist: bis zu diesem Buch, das Farin zusammen mit Jugendforschern, Soziologen und Journalisten verfaßt und herausgebracht hat, hat es noch keine wissenschaftlich fundierte, ernstzunehmende Studie über die Skinhead-Szene gegeben. Es ist ein Standardwerk, das kennen muß, wer künftig mitreden will.

Farin geht den Ursprüngen der Skins als "Urban Rebels" nach, deren Wurzeln in der britischen Arbeiterschaft liegen. In dem Maße, wie ihre industriellen Arbeitsplätze wegfielen und die angestammten Milieus durch Studenten, angestellte Aufsteiger und Einwanderer fremddominiert wurden, konstituierten junge Männer sich als eigene Subkultur mit proletarischem Outfit und spezifischen Verhaltenscodes und Musikvorlieben. Farin beschreibt die Szene als heterogen und durchaus flexibel. Einflüsse karibischer Musik sind genauso nachweisbar wie Überlappungen zu Punks und Hooligans. Skins seien überwiegend unpolitsch, neben "rechten" gäbe es genauso "linke". Laut Helmut Heitmanns "Skinhead-Studie" würden 24 Prozent von ihnen PDS wählen. Es folgen die SPD mit 20 und die Bündnisgrünen mit 17 Prozent. Die Republikaner erhielten 11 Prozent, gefolgt von der NPD mit 8, der CDU mit fünf und der DVU mit vier Prozent. In der Skin-Kultur drückt sich neben Spaß an Selbstinszenierungen zur Steigerung des Lebensgenusses auch eine Reaktion auf gesellschaftliche Strukturveränderungen und Wertverschiebungen aus, die verunsichern: Das Bekunden von Arbeiterstolz, sexueller Potenz, Körperlichkeit und traditioneller Beschützerrolle fließen zu einer dezidiert "männlichen" Ästhetik zusammen, die aufs Neue "Identität" stiftet.

In Deutschland gibt es die Skins seit etwa 1980; ihre Zahl beläuft sich heute auf rund 8.000, höchstens ein Viertel davon sind gewalttätig. Vorlagen für das Medienbild der Skins als Gewalttäter lieferten vor allem Jugendliche aus der DDR, die von den Wurzeln der Bewegung keine Ahnung hatten, aber in der Skin-Szene die Gelegenheit sahen, sich vom sich als "antifaschistisch" gerierenden Repressionssystem zu emanzipieren. Ingesamt jedoch bilden die Skins eine hochdifferenzierte "musikorientierte Jugendkultur, in der gewalttätige Auseinandersetzungen die Ausnahme sind", so die taz-Redakteurin Mariam Lau.

Ins öffentliche Scheinwerferlicht gesetzt wird ausschließlich das gewalttätige Segment, das dabei als Teil diffuser "rechter" Zusammenhänge dargestellt wird. Medienwirksamer Anknüpfungspunkt ist ihr martialisches, submilitärisches Erscheinungsbild. Die Panikmache vor einer omnipräsenten Skin-Gewalt meint natürlich auch – und wohl vor allem –vermeintliche rechte "Hintermänner" und "geistige Brandstifter".

Noch wichtiger ist der gesamtgesellschaftliche Bedarf nach Problementsorgung. Bei der Berichterstattung, in Filmen und literarischen Werken fällt auf, daß Skinheads keinen persönlichen, sozialen, psychologischen Hintergrund zu haben scheinen. Christa Wolfs Mahnung anläßlich von Thomas Heises Film "Der Stau" – der eine Ausnahme darstellt – es seien "unsere Kinder", bleibt genauso außen vor wie die von Soziologen sonst gern beschworene "strukturelle Gewalt" von Staat und Gesellschaft. Skins seien unheimliche "Wolfskinder", die eigentlich nichts mit "uns" zu tun haben. Gelegentliche Verweise auf Plattenbauten, Arbeitslosigkeit und alkoholkranke Eltern laufen letztlich ebenfalls darauf hinaus, sie gleichsam an den Rand der Gesellschaft zu schieben.

Die entscheidenden Gründe für das groteske Mißverhältnis zwischen tatsächlicher und medialer Präsenz der Skinheads liegen aber auf der symbolischen und tiefenpsychologischen Ebene: Ihre aggressive, durch keinerlei weiches Gegenlicht des Werbefernsehens gemilderte Körperlichkeit liegt quer zum politischen und gesellschaftlichen Selbstverständnis unserer Tage. Sie sind das Gegenstück zum androgynisierten Männerbild, das Männer und Frauen gleichermaßen irritiert und erotische Defizite hervorruft: In einem Interview spricht ein Mädchen detailliert über ihre sexuellen Phantasien mit Skinheads.

Eine politische Relevanz ergibt sich aus ihrer spezifischen Kontrastwirkung zu anerkannten gesellschaftlichen Leitbildern und Verhaltensmustern. Die ungezügelt zur Schau getragene Männlichkeit symbolisiert tiefenpsychologisch den Vitalitätsverlust, den der "Normalbürger" beim Einfügen in die moderne Dienstleistungsgesellschaft erleidet. Der Kontrast wird noch größer, wenn man sich als Extremfall den politischen Nachwuchsfunktionär vom Schlage des "jungen Wilden" vor Augen führt: Autoritätsfixiert (auf den Übervater Helmut Kohl), zwecks glatter Karriere durchkalkuliert in allen Einzelheiten des Outfits, der Frisur, der Körpersprache und Diktion, wirkt er steril bis asexuell.

Psychologisch ist es erklärbar, wenn sich an den Skins erotisch aufgeladene, vielschichtige Gegen- und Gewaltphantasien entzünden. In solchen Phantasien äußert sich der anarchistische Wunsch, Schneisen zu schlagen ("endlich Ordnung schaffen") in das komplexe Gestrüpp aus Ungerechtigkeit, ungelöster Probleme, aus selbstreferentiellen Polit-Diskursen, Handlungsschwäche und karrierefixiertem Opportunismus; der Wunsch nach Grenzüberschreitung und dem Ausleben einer subjektiven Logik; der Wunsch schließlich, den Zweifel auszuschalten, um ganz kompakter, unverwundbarer, authentischer Körper zu sein. Unterhalb allen empörten Getöses gibt es daher eine verborgene, finstere Liebe der Medien und der Gesellschaft zu den ungehobelten Jungmännern, die durch eine latente Gewaltbereitschaft eher noch gesteigert wird. Die Anti-Skin-Hysterie komplettiert das Bild nur: Sie zeigt, daß die aufgeklärte Gesellschaft prüde ist und ihre Schmuddel-Phantasien verdrängt.

Klaus Farin (Hg.): "Die Skins. Mythos und Realität". Ch. Links Verlag, Berlin 1997. 360 Seiten, 39,80 Mark


 
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