© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/98  23. Januar 1998

 
 
Mordfall Waldner: Ein früherer Anti-Mafia-Untersuchungsrichter ermittelt
Opfer eines politischen Komplotts
von Jakob Kaufmann

Eine Studienkommission im Regionalrat von Trentino-Südtirol soll jetzt eingerichtet werden, um den Mord an dem Südtiroler Landtagsabgeordneten Christian Waldner zu untersuchen. Der Mitbegründer der Freiheitlichen Partei in Südtirol wurde am 15. Februar vergangenen Jahres im Hotel Reichrieglerhof in Bozen ermordet. Am 11. August wurde dessen langjähriger Weggefährte, Peter Paul Rainer, entgegen allen Sachbeweisen für diesen Mord zu 22einhalb Jahren Haft in Bozen verurteilt (die junge freiheit berichtete).

Durch die Ermittlungen der Kommission soll endlich der mysteriöse Mordfall aufgeklärt werden. Der Abgeordnete Carlo Palermo von Umberto Bossis Lega Nord hatte die Einrichtung einer Untersuchungskommission im Regionalrat beantragt. Er vertritt die These, daß Peter Paul Rainer und Christian Waldner, jeder auf seine Weise, Opfer eines politischen Komplotts seien.

Der Regionalratspräsident Oskar Peterlini ließ den Antrag zu und schlug vor, anstelle einer Untersuchungs- eine Studienkommission einzurichten. An der Studienkommission können sich, im Gegensatz zur Untersuchungskommission, Vertreter aller Parteien, die im Regionalrat vertreten sind, beteiligen.

Der ehemalige Anti-Mafia-Untersuchungsrichter Carlo Palermo war beim Mordprozeß gegen den ehemaligen Bildungsoffizier des Südtiroler Schützenbundes und Chefideologen der Freiheitlichen in Südtirol, Peter Paul Rainer, schon als Zeuge aufgetreten. Der Lega-Politiker kannte den ermordeten Christian Waldner durch dessen politische Arbeit: Nachdem der Landtagsabgeordnete von den Freiheitlichen ausgeschlossen worden war, bildete er zunächst eine Ein-Mann-Fraktion im Landtag. Er näherte sich schließlich der Lega Nord an. Waldner sollte im vergangenen Frühjahr für Südtirol das Referendum dieser Partei über die Loslösung Padaniens vom italienischen Staatsverband koordinieren. Dazu kam es jedoch nicht mehr, weil er zuvor ermordet wurde. In seiner Aussage vor Gericht meinte Palermo, Waldner habe gefährliche Informationen gehabt. Gewisse Personen trachteten ihm aus diesem Grund nach dem Leben, schlußfolgerte der Abgeordnete. Der Ermordete habe ihm gegenüber im Oktober 1996 angedeutet, daß er Brisantes herausgefunden habe. Es sei dabei unter anderem um Schmiergeldzahlungen über die Gesellschaft eines Südtiroler Politikers gegangen. Der junge Politiker habe ihm anvertraut, ein Dossier zu besitzen, das diese Enthüllungen belege. Er habe, so sagte Palermo vor Gericht, diese Indiskretionen überprüft. Er sehe Zusammenhänge zwischen den Vorgängen, die Waldner kurz schilderte, und dem internationalen illegalen Waffenhandel der geheimen italienischen Militärtruppe Gladio und der Loge Propaganda Due (P2). Die Beweise, die Waldner besessen haben will, konnte die Polizei bei ihrer Durchsuchung nach dem Mord nicht finden. Im Safe des Ermordeten fehlten nach der Tat jedoch Dokumente und Geld.

Palermo erwägt nicht nur die möglichen Mordmotive, die verschworene politische Kreise wahrscheinlich hatten. Er geht zudem davon aus, daß Rainer, der die Tat zwar anfangs gestand, unschuldig ist. Als Beweis dafür präsentierte er der Presse in der vorletzten Woche einen Brief, den der Verurteilte Anfang März vergangenen Jahres aus dem Gefängnis an seine Familie richtete. Darin begründet er schlüssig, wie er zu dem Geständnis gezwungen wurde. Rainer schildert in dem Schreiben, wie die Ermittler damit drohten, in über dreißig Wohnungen der Südtiroler Schützen und der Freiheitlichen Durchsuchungen anzuordnen. Als führender Kopf im Schützenbund und bei den Freiheitlichen sah er durch diese Polizeimaßnahme jahrelange politische Arbeit gefährdet. In seinem Geständnis begründete Rainer die Tat mit persönlichen Motiven. Nach seiner Darstellung versuchte er damit, den politischen Schaden, den der Vorwurf des Mordes anrichtete, soweit wie möglich zu begrenzen.

Dieser Brief Rainers zusammen mit Waldners Andeutungen über brisante Enthüllungen stützen Palermos These, Waldner und Rainer seien Opfer eines politischen Komplotts. Bei seinen Ermittlungen in der Studienkommission kann Palermo auf langjährige Erfahrungen mit Verschwörungen zurückgreifen: Bis 1985 arbeitete er als Untersuchungsrichter in Trient und auf Sizilien. Die Tätigkeit übte er erfolgreich aus: Carlo Palermo war daran beteiligt, das größte Heroinlabor, das Europa bis dahin kannte, ausfindig zu machen.

Darüber hinaus entdeckte er im Zuge von Ermittlungen über illegalen Drogen- und Waffenhandel immense Korruption in der italienischen Regierung. Er versuchte damals, die Immunität einzelner Abgeordneter, die Schmiergelder angenommen hatten, im italienischen Parlament aufheben zu lassen. Daraufhin strengten die betroffenen Politiker ein Disziplinarverfahren gegen ihn an. Seine Laufbahn nahm dann ein jähes Ende: Nachdem bei einem Bombenattentat, das ihm galt, eine Mutter mit ihren zwei Kindern getötet wurde, gab er seinen Beruf als Untersuchungsrichter auf.


 
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