© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   06/98  30. Januar 1998

 
 
Bruchlinien einer Supermacht: Ethnische "pressure groups" prägen die Politik Clintons
Unvereinigte Staaten von Amerika
von Alexander Beermann´

Die Zukunft der einzigen noch vorhandenen Supermacht, ihres Zeichens "Globocop" und selbsternannte moralische Richterin dieses Jahrhunderts, erscheint immer unsicherer. Erstmals seit 1865 kommt die Bedrohung jedoch nicht von außen. Es sind keine feindlichen deutschen U-Boote im Atlantik oder japanischen Flugzeugträger im Pazifik, auch keine russischen Atomraketen auf Kuba und weder die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien noch die Spannungen im Nahen Osten, die den "Amerikanischen Traum" stören. Diesmal liegt die zentrale Bedrohung vielmehr innerhalb der eigenen Grenzen: Die USA erfahren eine ethno-kulturelle Entwicklung, die die Grundlagen des amerikanischen Wertesystems in ihren Fundamenten erschüttert und in den Augen mancher Beobachter die Fragmentierung der Vereinigten Staaten schon "absehbar" macht.

So warnt Samuel Huntington vor dem "multi-kulturellen Gedankengut", und der bekannte Publizist und Chefredakteur der Zeitschrift National Interest, Michael Lind, plädiert für einen "liberalen Nationalismus", der sich zu einer neuen amerikanischen Identität entwickeln soll. Die Basis dieses Konzepts ist die Hoffnung, daß ein auf Vernunft beruhendes Verständnis der Vorteile eines Verfassungspatriotismus zu einer besseren Integration der neuen Einwanderer in den "American way of life" führen könnte.

Daß der Assimilationswille all jener Zuwanderer, die seit 1965 in die USA strömen, schwindet, ist offensichtlich. Vorher hatten die Herkunftsgebiete der Masse der Einwanderer stets in Europa gelegen, und das nach 1607 entstandene "Anglo-Amerika" war spätestens nach dem Bürgerkriegsende 1865 zu einem "Euro-Amerika" geworden, in dem die neue Identität und die Vaterlandsliebe für "Amerika" freiwillig und mehr oder weniger begeistert angenommen wurden. Der "Amerikanische Traum" konnte geträumt werden.

Immer weniger träumen den amerikanischen Traum

Heute kommen die Neubürger überwiegend aus anderen Kontinenten und bringen kulturelle Wertesysteme mit, die sich in vielerlei Hinsicht in das westliche Fundament des amerikanischen Verfassungsstaates nicht einfügen lassen bzw. dieses gefährden. Zum ersten Mal begreifen sich die ethnisch unterschiedlichen Einwanderergruppen auf Dauer als eigene Gruppen und nicht mehr in erster Linie als eine Anzahl von Individuen mit dem Wunsch, die jeweilige Kultur der amerikanischen unterzuordnen. Dies zunehmend deutlicher erkennen zu müssen, ist ein einschneidendes Frustrationserlebnis für alle liberalen Amerikaner, die von der Zuversicht erfüllt waren, daß ein Zusammenwachsen aller Menschen, die sich in den Vereinigten Staaten niederlassen, kein utopischer Traum ist.

Des weiteren sind alle Vertreter der politischen Linken tief enttäuscht, da sie in den neuen Spannungen eine Bedrohung ihrer "Weltbürger"-Theorien sehen. Denn: Wie kann die ersehnte neue Welt zustande kommen, in der alle Menschen Händchen halten und sämtliche Güter liebevoll unter sich aufteilen, wenn es bestimmte ethnische Gruppen gibt, die sich offen dagegen zur Wehr setzen. Vor allem ist die Lage mittlerweile so kompliziert geworden, daß alte "Rassismus"-Vorwürfe nicht mehr als Antwort auf die Dynamik der Diversifikationsprozesse taugen.

Drittens beunruhigt die Entwicklung konservative Amerikaner, die infolge weiterer demographischer Verschiebungen die Gefahr einer "Balkanisierung" sehen. Während zur Zeit die "Euro-Amerikaner" knapp 75 Prozent der Bevölkerung ausmachen, soll ihr Anteil bis zum Jahr 2050 auf 50 Prozent fallen.

Als "ethnische Unternehmer", sprich: Interessenvertreter der neuen Zuwanderergruppen, entpuppen sich wider Erwarten jene Vorhuten, die schon vor fast drei Jahrzehnten in die USA gekommen sind. Diese Lobbies sorgennicht nur dafür, daß noch mehr der jeweiligen Landsleute einwandern können, sie beeinflussen in zunehmenden Maße sogar die Außenpolitik Washingtons, wobei sie auch, wie Huntington bemerkt, "die Ressourcen ko-optieren, um den Interessen ihrer Ursprungsländer zu dienen". So sind beispielsweise in bezug auf Afrika immer mehr Entscheidungen der Clinton-Administration auf die Aktivitäten afroamerikanischer "pressure groups" vor der eigenen Haustür zurückzuführen. Die eklatanten Menschenrechtsverstöße der Volksrepublik China in Tibet oder Sinkiang (Ost-Turkestan) werden geduldet, weil es den Interessen großer Unternehmen entspricht, aber auch, weil die in den USA lebenden Chinesen ihren wachsenden Einfluß erfolgreich geltend machen. Ähnliche Mechanismen können u. a. im Hinblick auf die amerikanische Politik gegenüber Kroatien, Mazedonien, Nordirland und nicht zuletzt Israel beobachtet werden. In South Dakota war die Senatorenwahl 1996 ebenso eine Auseinandersetzung zwischen Indern und Pakistani wie zwischen Republikanern und Demokraten, wobei die Niederlage Larry Presslers Enttäuschung in Delhi und Siegesfeiern in Islamabad zur Folge hatte.

Die Weltmachtposition der USA lag bisher entscheidend in der ideellen Sogwirkung Amerikas begründet und weniger in einer durch militärische Stärke abgesicherten Hegemonialpolitik. Die Vereinigten Staaten waren ein starker Staat mit einem relativ schwachen Staatsapparat, so wie die UdSSR einen schwachen Staat mit einem starken Machtapparat verkörperte. Wo Loyalität durch Zwang die Regel in den multi-ethnischen kommunistischen Ländern war, konnte "Euro-Amerika" auf freiwillige Loyalität zählen, fundiert durch einen sozialen Vertrag, dessen Kern das Gleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Bürger bildete.

Die radikale "Nation of Islam" des Demagogen Louis Farrakhan hat mehr Mitglieder als alle radikalen weißen Gruppierungen zusammengenommen, und dies, obwohl die Schwarzen nur zwölf Prozent der Bevölkerung stellen. Während eines Südafrika-Besuchs verkündete Farrakhan vor einigen Wochen den Wunsch nach einem eigenen Staat für die "Afro-Amerikaner".

Auch andere Organisationen halten mit ihrer Vision eines souveränen "schwarzen Amerikas" bestehend aus Alabama, Mississippi, Louisiana, South Carolina und Georgia nicht hinterm Berg.

Und wo während des Kalten Krieges der ideologische Widerstand gegen den Kommunismus aus Koreanern und Chinesen in Amerika noch feurige Patrioten gemachte hatte, brachte das Ende des weltpolitischen Dualismus ein neues Bewußtsein der eigenen Identität und eine Rückkehr zu den kulturellen Wurzeln. Ohne eine existentielle externe Bedrohung für die einzige noch bestehende Weltmacht droht diese durch interne Spannungen zu implodieren.

Auf der Ebene des rein Materiellen findet die Abnahme der Sogkraft des "American way of life" allerdings (noch) nicht statt. So ist der Zuwanderungsdruck von Wirtschaftsflüchtlingen aus mittelamerikanischen Entwicklungsländern wie Mexiko nach wie vor immens. Die Mexikaner sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe der Südstaaten. Unter ihnen scheint die Assimilationsbereitschaft besonders gering zu sein, und nicht nur in weiten Teilen Kaliforniens ist Spanisch zur Lingua franca geworden.

 

Sozialer Frust und Haß auf Weiße in schwarzen Ghettos

Auch zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen in den USA nimmt die Harmonie ab. Umfragen zufolge waren 1993 46 Prozent der Mexikaner und 42 Prozent aller Afro-Amerikaner der Meinung, daß Asiaten in der Regel skrupellose und unehrliche Geschäftsleute seien. 53 Prozent der Asiaten und 51 Prozent der Mexikaner vertraten die Ansicht, daß die Schwarzen im Land am meisten zu Kriminalität und Gewalt neigten. Im Zuge der brutalen Ausschreitungen in Los Angeles im Mai 1992 waren koreanische Läden bevorzugte Ziele der hauptsächlich aus Schwarzen bestehenden Randalierer. Auch Juden sind ein populäres Feindobjekt afro-amerikanischer Demagogie; Farrakhan beschimpfte sie als "Blutsauger", und andere Aktivisten wie Leonard Jeffries bekannten: "Das auserkorene Volk ist das farbige Volk."

Die beliebtesten Ziele von Polemiken geben unverändert die Weißen ab. Sozialer Frust und der Haß auf Weiße sind ein bekannte Phänomene in den schwarzen Ghettos. Immer mehr weiße US-Bürger fallen willkürlichen Gewalttaten zum Opfer, während Hollywood verzweifelt um ein anderes Bild bemüht ist. 1994 befand eine Studie des Southern Poverty Law Centre, daß 50 Prozent aller aus rassistischen Motiven begangenen Morde im vorangegangenen Jahr von schwarzen Tätern an Weißen, Hispanics und Asiaten verübt worden waren. Afro-amerikanische Rassisten? – "Unmöglich", kommentierte der Sprecher der Rap-Gruppe "Public Enemy", Harry Allen, als er auf seine anti-jüdischen, weißenfeindlichen Parolen angesprochen wurde, denn: "Nur Weiße können Rassisten sein, und ich bin ja nicht weiß."

Zu den erwähnten großen kulturellen Unterschieden kommen die sozialen hinzu. Weiße und Asiaten dominieren in den hohen Einkommensschichten, während Schwarze und Latinos in der Masse in den unteren zu finden sind. Auch diese Diskrepanzen bedrohen den sozialen Frieden, zumal die Forderungen nach Besserstellung bei den Deklassierten inzwischen auch eine unübersehbare ethnische Komponente haben. Firmen, die ihr Personal nur nach Leistungskriterien einstellen und so in ihrer Belegschaft nicht die ethnische Zusammensetzung der Gesellschaft widerspiegeln, laufen Gefahr, hohe Geldstrafen entrichten zu müssen. Einstellungstests werden von Bürgerrechtlern wegen ihrer "eurozentristischen" Struktur abgelehnt. Eine Teilnehmerin eines "Diversity"-Seminars schildert die Situation so: "Die Minoritäten beschuldigen Weiße nicht mehr, daß sie unterschiedlich behandelt werden, sondern inzwischen ist der Anklagepunkt, daß man sie nicht anders behandelt." Das Resultat: 70 Prozent aller Personalchefs geben zu, Einstellungen auf Grundlage der rassischen Zugehörigkeit vorzunehmen, während 14 Prozent sagen, daß für sie allein die Leistung zähle.

Selbst Leute wie der als liberal geltende Michael Lind stellen inzwischen Fragen wie die, wie lange wohl eine in zunehmenden Maße aus Hispanics und Afro-Amerikanern zusammengesetzte Berufsarmee die Verfassung und die Werte eines schrumpfenden "westlichen" Bevölkerungssegments vertreten werde. Die demographische Zeitbombe tickt, und Bill Clinton ist der erste amerikanische Präsident, der nicht nur seine Wiederwahl den Minoritäten zu verdanken hat, sondern auch als Fürsprecher der "Diversität" und einer "multi-kulturellen Gesellschaft" anstelle der traditionellen Assimilationspolitik auftritt.

In der Militärakademie von Fort Leaveworth üben US-Offiziere unterdessen Kriegsspiele, deren Szenarien sich auch mit Einsätzen gegen "interne Ziele", meist "Separatisten", befassen. Dies ist eine neue Entwicklung, die andeutet, daß der "Amerikanische Traum" zum Alptraum werden könnte.


 
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