© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   06/98  30. Januar 1998

 
 
Pankraz, Clintons Knick und das Lächeln des Jassir Arafat

Ziemlich fassungslos beobachten die politisch Interessierten, wie "der mächtigste Mann der Welt", also US-Präsident Clinton, zum hilflosen Punchingball einiger einheimischer Sekretärinnen und Praktikantinnen wird, mit denen er einst geschlafen hat, bzw. die er sexuell belästigt haben soll und die nun mit ihrer Geschichte "an die Öffentlichkeit treten". Washingtons Regierungsgeschäfte reduzieren sich seitdem tageweise auf die Erörterung von Fragen wie der, ob des Präsidenten bestes Teil im eregierten Zustand einen Knick habe oder nicht. Alle globalen Friedensprozesse geraten darüber ins Stocken.

Der Fall ist deshalb so bemerkenswert, weil Ehebruch und sexuelle Freizügigkeit in der westlichen Hemisphäre ja längst keine Sanktionen mehr auslösen, auch gegen hohe Amtsträger nicht. Daß Clinton ein Schürzenjäger, ein "Bimbo" und "Grapscher" ist (oder zumindest war), wußten alle seine Wähler schon, bevor sie ihn ins Weiße Haus hievten. Auch daß er seine Sünden, als sie ruchbar wurden, nach Kräften abzuleugnen oder zu vertuschen suchte, störte kaum jemand; "Politiker lügen ohnehin, wenn sie den Mund auftun", war die allgemeine Überzeugung. Was ist passiert, daß jetzt das Pendel zurückschlägt?

Nun, es sind Tonbänder aufgetaucht, die den Präsidenten der Lüge zu "überführen" scheinen. Er hat offenbar gegen das heute wohl wichtigste (einzig noch wichtige?) Gebot verstoßen, das sogenannte "elfte Gebot", das da lautet: "Laß dich nicht erwischen!" So etwas verzeiht die "moderne Informationsgesellschaft" nicht.

Es ist ein Sport entstanden zwischen den sogenannten "Prominenten" und den sogenannten "Medien": Die Medien liegen auf der Lauer, um Seitensprünge der Prominenten in Ton und Bild festzuhalten, und die Prominenten geben sich die größte Mühe, dieses mediale Unternehmen zu sabotieren. Um Wahrheit und Moral geht es dabei gewiß nicht. Niemanden interessiert wirklich, ob Clinton seine Ehefrau Hillary betrogen oder sein Betthäschen Lewinsky zum Verschweigen der Liaison angestiftet hat. Wichtig ist einzig, ob es den Medien gelingt, es zu "dokumentieren", es mechanisch-elektronisch einzufangen, denn nur dann winken den Siegern Pulitzerpreis und horrende Geldsummen – während der Besiegte verscharrt wird wie eine abgeschossene Krähe.

Je höher die Prominenz, umso fetter die Siegprämie. Das Spiel macht vor keinem Halt, am wenigsten natürlich vor der Politik und dem Präsidenten in Washington, das für viele Amerikaner sowieso eine Art feindliches Ausland ist. Und um die Reaktionen draußen in der Welt kümmert man sich am allerwenigsten.

Gerade die auswärtigen Reaktionen sind aber das Wichtigste und Folgenreichste an der ganzen Affäre. Jeder Muslim, jeder Chinese oder ostasiatische Autokrat bekommt ja Tag für Tag zu hören, daß die Verhältnisse in den USA für ihn Vorbild sein sollen, daß dort die Menschenwürde geschützt wird wie nirgendwo anders. Und gleichzeitig wird ihm vordemonstriert, daß es sich bei dem Unternehmen Menschenwürde um nichts als Heuchelei handelt, daß lediglich ein Spiel um Geld und Sex und öffentliche Demütigung gespielt wird, ein durch und durch übles Spiel.

Selbstverständlich gilt auch bei Muslimen, Chinesen und exotischen Autokraten das elfte Gebot, auch bei ihnen wird kräftig vertuscht und geheuchelt. Doch die Heuchelei hat bei ihnen (und übrigens teilweise auch noch in West- und Mitteleuropa) ein völlig anderes Karat, steht gewissermaßen mit der Würde im Bunde. Es gibt – über alle weltanschaulichen Differenzen hinweg – zwischen den Medien eine ungeschriebene Vereinbarung, sich mit der Enthüllung prominenter außerehelicher Beziehungen und sonstiger Sexaffären zurückzuhalten, um das "Dekor" zu wahren. Und die beteiligten Mädchen sagen ebenfalls nichts, schon aus natürlicher, traditionell befestigter Scham heraus.

Es gibt auch keine geld- und publicitygeilen Anwälte, die die Mädchen aufstöbern und dazu anstacheln, sich von ihnen "vertreten" zu lassen. Es gibt nicht jene halbverrückten Tiefenpsychologen, die in teuren Sitzungen die Mädchen per "memory recovery" ermuntern, auch noch das allerletzte, bereits vollständig verdrängte Liebesabenteuer zwecks Rettung ihrer Seele und Auffüllung ihres Bankkontos an die Öffentlichkeit und vor den Kadi zu tragen. Es gibt nicht die Sucht, alles und jedes auf Bänder aufzunehmen, das Leben von A bis Z und speziell in seinen intimen Aspekten zu verbildlichen, zu entfremden und gegebenenfalls im Sinne des Profits zu funktionalisieren.

Pankraz kann nicht finden, daß das vormoderne, demokratiewidrige Mängel sind, im Gegenteil, diese "Mängel" haben Zukunft und können die Demokratie vor Entartungen und Karikaturen bewahren. Eine Entartung, eine Karikatur war es zweifellos, als vorige Woche im Weißen Haus die Pressekonferenz, die Rechenschaft über die Nahost-Friedensgespräche mit Jassir Arafat geben sollte, von den Medienvertretern kurzerhand zur Talkshow über die Sexaffären des Präsidenten umfunktioniert wurde. Der anwesende Arafat lächelte abgründig. Was mag er sich gedacht haben?

Dachte er vielleicht an den seinerzeit auch in Kairo erschienenen Bestseller des Amerikaners John Ney, "Thesen und Prognosen zur Amerikanisierung Europas", wo zu lesen steht: "Alles, was die Amerikaner der Welt antun, haben sie vorher sich selber angetan"? Dann hätten einige Schlußfolgerungen nahe gelegen.

Es besteht zwischen Vorher und Nachher bekanntlich eine Zeitdifferenz, die man keineswegs ungenutzt verstreichen lassen muß. Man kann aus dem "Vorher" lernen, kann sich gegen das "Nachher" wappnen. Und wer wollte es Repräsentanten alter Kulturen verübeln, wenn sie sich wappneten gegen einen Politik- und Medienbetrieb, dem der Blick auf den Knick des mächtigsten Mannes der Welt unendlich viel wichtiger ist als Weltfrieden und staatsmännische Würde zusammengenommen?


 
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