© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   06/98  30. Januar 1998

 
 
Ignaz Bubis/Peter Sirchovsky: "Damit bin ich noch längst nicht fertig".Autobiographie
Einspruch aus jüdischer Sicht
von Ivan Denes

Über die Autobiographie des Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland wurde schon viel Anerkennendes geschrieben, zumal Ignatz Bubis in den letzten Jahren zu einer Art moralischer Instanz geworden ist. Als bekennender Jude fühlt man sich jedoch bei der Lektüre des Buches vor den Kopf gestoßen. Denn es gibt darin mindestens drei wesentliche Punkte, in denen aus jüdischer Sicht Ignatz Bubis widersprochen werden sollte.

In dem Kapitel "Der Kandidat", in dem er den 1993 von dem CDU-Abgeordneten Willy Wimmer öffentlich vorgetragenen Vorschlag behandelt, ihn, Bubis, bei der bevorstehenden Wahl für das Amt des Bundespräsidenten als Kandidat aufzustellen, schreiben Bubis und sein Ghostwriter mit überwältigender Bescheidenheit, er habe auf diese Kandidatur verzichtet, weil sie zu einer Spaltung der bundesdeutschen Gesellschaft geführt hätte. Und dann folgt der Satz: "Um diese Spaltung zu vermeiden, kann und darf ein Deutscher jüdischen Glaubens – noch – nicht für das höchste Staatsamt kandidieren."

Die Zugehörigkeit zum Judentum wird bekanntlich von zwei Komponenten bestimmt. Die eine Komponente ist die religiöse, das bedingungslose Bekenntnis zum Einen Gott, das sich in unserem wichtigsten Gebet niederschlägt, dem "Schmah Israel": "Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist einzig!". Es gibt aber unzählige Juden, die sich nicht zu Gott bekennen, Atheisten, die trotzdem Juden sind – und dies nicht wegen der Nürnberger Gesetze, sondern wegen unseres ureigenen Gesetzes, das besagt: Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde. Dieses Gesetz geht unmittelbar zurück auf die Verheißung Gottes: "Das Land, auf dem du ruhst, will ich dir und deinem Samen geben. Deine Nachkommen sollen wie der Staub der Erde sein, und du sollst sie ausbreiten gen Westen, gen Osten, gen Norden und gen Süden, und mit dir und deinem Samen sollen sich alle Geschlechter auf Erden segnen" (Genesis, 28,14). Nicht die, die den Glauben an den Einen Gott teilen, sollen vermehrt werden zum Segen aller Völker, nein, bei Sichem verheißt der Herr Jakob ausdrücklich, seinen Samen zu vermehren: "haja sarachah kaafar haaretz…" Und bei seinem nächsten Erscheinen, bei Bet El, bestätigt der Herr: "Sei fruchtbar und mehre dich, ein Volk unter den Völkern soll aus dir werden und Könige sollen aus deinen Lenden – mechalazechah – hervorgehen…"

Daran gibt es nichts herumzudeuteln, und wer die biologische Kontinuität als bestimmenden Faktor für die Zugehörigkeit leugnet – auf Hochdeutsch: die Volkszugehörigkeit – läuft Gefahr, sich selbst in die Position eines Renegaten zu bringen. Ob Herr Bubis zustimmt oder nicht: Er ist kein "Deutscher jüdischen Glaubens", sondern ein Jude mit deutscher Staatsangehörigkeit. Das ist keine Haarspalterei, sondern ein ganz wesentlicher Unterschied, denn es waren eben die volkszugehörigen Diasporajuden – oft atheistisch oder sogar getauft – die jenen einmaligen, unvergleichlichen Beitrag zur abendländischen Kultur geleistet haben, der jede antisemitische Ideologie zum Gespött der Weltgeschichte macht.

Wohlgemerkt: Nicht nur die Nazis haben (durch die "Nürnberger Gesetze") auf die Komponente der jüdischen Kontinuität hingewiesen. Die Heimkehr der Juden aus der Diaspora nach Israel (Heimkehrgesetz) wird grundsätzlich von diesem Faktor bestimmt. Kein Jude wird auf dem Ben Gurion-Flughafen bei seiner Einreise gefragt, ob er an Gott glaubt oder nicht, wohl aber muß er nachweisen können, daß seine Mutter Jüdin war.

Die Shoa hat ohne Zweifel der Volkszugehörigkeit der jüdischen Diaspora eine ebenso tragische wie feste zusätzliche Bestätigung gebracht. Das Gefühl des Stolzes, zur jener ethnischen Minderheit zu gehören, die dem Abendland viele Schriftsteller, Wissenschaftler, Musiker, aber auch die internationalen Schachgroßmeister aus Rußland oder große Financiers wie Rothschild und Warburg, Geschäftsleute wie Sir Ernest Oppenheimer, Hermann Tietz oder Walter Rathenau beschert hat, das Gefühl der gemeinsamen Volkszugehörigkeit, wurde durch die Shoa über jede religiöse Komponente hinaus gestärkt. Eben das, worüber Ignatz Bubis sich "noch längst nicht hinwegsetzen" kann, führt seine Selbstbestimmungsformel ad absurdum.

Mit Akribie beschreibt Ignatz Bubis seinen Weg in die FDP. Niemand sollte in die freie politische Option des Bürgers Ignatz Bubis hineinreden. Wer aber ein öffentliches Amt bekleidet, wie es der Vorsitz des Zentralrates der Juden in Deutschland ist (wohlgemerkt, die Institution heißt nicht Zentralrat der Deutschen jüdischen Glaubens!), der muß schon wegen seiner Repräsentationspflicht in mancher Hinsicht Verzicht üben. Es ist seine elementare moralische Obligation, seine Parteizugehörigkeit ruhen zu lassen, während er dieses repräsentative öffentliche Amt innehat.

Denn einerseits vertritt er die Interessen und Auffassungen des Zentralrates, das heißt der Körperschaft, die für alle Juden in Deutschland spricht, nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber allen bundesdeutschen Parteien. Andererseits: Wenn der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland im Vorstand der FDP sitzt, identifiziert der deutsche Fernsehzuschauer, ob es Herrn Bubis ins Konzept paßt oder nicht, den Zentralrat mit dem FDP-Vorstand. Die anschaulich vorgeführte Personalunion läßt gar keinen anderen Schluß zu.

Im Kapitel "Das Edelmetallgeschäft" berichtet der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, wie er bzw. die Firma "Ignatz Bubis Edelmetalle" zwischen 1950 und 1953 Feingoldbarren, die "wahrscheinlich" aus der Schweiz stammten, nach München und weiter nach Pforzheim zur dort ansäßigen Schmuckindustrie geschmuggelt hat. Der Handel mit Edelmetallen war laut Paragraph 3 des Militärregierungsgesetzes Nr. 53 "für Deutsche verboten". (Offenbar lautete damals seine Selbstbestimmung anders als die soeben zitierte.)

Bubis hatte vom Finanz- und Wirtschaftsministerium eine Ausnahmegenehmigung. Er durfte also Gold besitzen, "ohne angeben zu müssen, woher es käme". Er, Bubis, habe jedoch nie Geschäfte mit der Schweizer Nationalbank getätigt. Aber die jeweils 20 Barren, die er im Kofferraum aus München nach Pforzheim schmuggelte, kamen offenbar aus der Schweiz. Bubis versucht auch nachträglich nicht, dies zu bestreiten. In einer erläuternden Erklärung gegenüber der Nachrichtenagentur AP behauptete Bubis, "ihre Geschäfte mit geraubtem Gold haben die Nazis ausschließlich mit der Schweizer Nationalbank abgewickelt". Diese Behauptung ist schlicht unwahr.

Aber es gibt in diesem Kapitel noch viel Gravierenderes. 1953 habe er "Probleme" mit den Finanzbehörden bekommen. Er war ja bis dahin von der Pflicht entbunden, nachzuweisen, woher das Gold kam. Das Umsatzsteuergesetz sah jedoch vor, daß Feingold nur dann von der Umsatzsteuer befreit werden konnte, wenn ein lückenloser Nachweis der Herkunft und des Abnehmers geführt werden konnte. Der Abnehmer war erwiesen – aber die Herkunft?

Er sollte für drei Jahre vier Prozent Umsatzsteuer nachzahlen, eine Summe, die damals acht Millionen D-Mark betrug. Das ergibt einen Umsatz von 200 Millionen. Nach der Art und Weise, in der der World Jewish Congress und die anderen Organisationen rechnen, die jetzt mit der Schweiz ihren Konflikt austragen, werden die damaligen Preise mit zehn multipliziert. Das Schmuggelgold, das die Firma "Ignatz Bubis Edelmetall" transportierte, hätte also heute einen geschätzten Wert von zwei Milliarden DM.

Schließlich, so berichten Bubis und sein Ghostwriter weiter, hätten ihn die deutschen Unternehmen Degussa und Heräus dadurch gerettet, daß sie der Steuerbehörde den Nachweis führen konnten, daß diese Barren schon einmal versteuert worden seien.

Waren diese Barren aber schon einmal versteuert, so konnte es sich nur um Gold handeln, das während der Zeitspanne 1939–1945 in die Schweiz geliefert wurde! Moralisch war und bleibt dieses Geschäft nicht kompatibel mit einer späteren Karriere an der Spitze des Zentralrates der Juden in Deutschland.

Als Ignatz Bubis seine Lebensgeschichte Peter Sichrovsky in die Feder diktierte – es muß 1995/1996 gewesen sein –, hatte die Debatte um die schlafenden Konten und die Schweizer Goldgeschäfte mit den Nazis während des Krieges noch nicht begonnen. Hätte Ignatz Bubis damals gewußt, wie schnell ihn seine eigene Vergangenheit einholen würde, wäre er sicherlich weniger redselig gewesen. Nun aber hat er den Mythos der "moralischen Instanz" eigenhändig zerschlagen.

 

Ignatz Bubis/Peter Sichrovsky: "Damit bin ich noch längst nicht fertig" . Autobiographie, Campus Verlag, Frankfurt 1996, 292 Seiten, geb., 48 Mark


 
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