© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   06/98  30. Januar 1998

 
 
Die Wirtschaft unterwandern
von Peter Steitz

Der Staat sieht sich im Bereich der inneren Sicherheit neuen Herausforderungen gegenüber. Steigende Massenkriminalität und zunehmende Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung bedrohen gleichermaßen die innere Ordnung. Doch die mit Abstand wohl größte Gefahr für unser demokratisches Gemeinwesen ist die organisierte Kriminalität. So werden zum Beispiel allein die Gewinne des internationalen Rauschgifthandels auf den Märkten Europas und Nordamerikas auf 200 Milliarden DM geschätzt. Zum Vergleich: Die Gewinne der zehn größten deutschen Unternehmen betrugen 1996 gerade 10 Prozent der illegalen Drogengewinne. Verbrecherisch erwirtschaftetes Kapital wird verstärkt in den legalen Wirtschafts- und Finanzkreislauf eingeschleust, gewaschen und gewinnbringend investiert. Nach seriösen Schätzungen werden innerhalb der EU jährlich etwa 850 Milliarden DM durch die organisierte Kriminalität in die Volkswirtschaften eingespeist. Die Investitionen des organisierten Verbrechens in den fünf neuen Bundesländern summieren sich nach jüngsten Erkenntnissen schon jetzt auf mindestens 72 Milliarden DM.

Trotz dieser erschreckenden Zahlen wurde in Deutschland jahrelang eine unsinnige Diskussion geführt, ob man dieser wachsenden Bedrohung nun auch mit den Mitteln der elektronischen Beweissicherung (großer Lauschangriff) begegnen soll oder nicht. Doch wenn die Polizei im Kampf gegen das organisierte Verbrechen nicht völlig ins Hintertreffen geraten will, ist die elektronische Beweissicherung unabdingbar. Um in den abgeschotteten Kernbereichen und Führungsetagen der Syndikate Aufklärungserfolge erzielen zu können, ist das Abhören der Wohnungen solcher Gangsterbosse, die bei der Ausführung der Verbrechen selbst nie in Erscheinung treten, nötig.

Führende Vertreter der amerikanischen Bundespolizei FBI können immer wieder von Erfolgen bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel berichten. So wäre zum Beispiel ein Prozeß gegen den 1992 in New York zu lebenslanger Haft verurteilten Top-Mafiaboss John Gotti ohne den Einsatz technischer Beweissicherung nie zustandegekommen. Gotti war den Ermittlern immer wieder durchs Netz geschlüpft. Bis die Polizei 1987 zum langfristig angelegten Großangriff überging, den Haupttreffpunkt von Gotti und seinen Kumpanen mit Abhörgeräten spickte und ihn so überführen konnte. Dieses Beispiel macht deutlich, daß man skrupellose Kriminelle nicht mit biederen deutschen Grundsätzen bekämpfen kann. Nur durch den Einsatz verdeckter technischer Mittel zur Beweissicherung wird es möglich sein, im Kampf gegen das organisierte Verbrechen nicht völlig zu unterliegen. Auch wenn damit nicht alle Probleme der organisierten Kriminalität gelöst werden können, so gibt ein Verzicht auf dieses notwendige Mittel den Verbrechern einen erheblichen Vorsprung. Es ist schon ein bemerkenswerter Zustand, daß – obwohl fast alle Experten der Sicherheitsbehörden und eine eindeutige Mehrheit in der Bevölkerung schon seit Jahren für den Einsatz der elektronischen Beweissicherung plädieren – dieses wichtige Instrument der Polizei erst jetzt – wenn alles dabei bleibt – in die Hand gegeben wird. Viel Zeit ist bereits vertan worden.


 
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