© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   06/98  30. Januar 1998

 
 
CDU: Aufregung um eine "unkorrekte Rede" von Kurt Biedenkopf
Die Luft wird dünner
von Michael Oelmann

Die Zuhörer staunten nicht schlecht. Zwar ist der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf bekannt als Kohl-Kritiker und Querdenker. Was er aber in der vergangenen Woche in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt vor Vertretern aus Wirtschaft und Politik zu sagen hatte, war – für CDU-Maßstäbe – starker Tobak. Entsprechend gewaltig qualmte es danach in Unionskreisen.

Biedenkopf kritisierte in seiner Rede massiv die Tabuisierung der Diskussion um den Euro und befand eine "lebensgefährliche Spaltung" zwischen dem Wunsch der Politiker und den Sorgen der Menschen über die Einführung der europäischen Einheitswährung. Man müsse davon ausgehen, daß der Euro zu finanziellen Belastungen für die Deutschen führen werde, stellte Biedenkopf fest. Der "Entzug des politischen Diskurses" sei von Bundespräsident Roman Herzog "ratifiziert" worden, als dieser forderte, der Euro dürfe nicht zum Wahlkampf-Thema werden. Die "große Einigkeit" der Parteien sei "gefährlich", weil der Bevölkerung eine politische Alternative entzogen würde. Den großen Parteien sei die liberale Streitkultur abhanden gekommen. Der CDU-Ministerpräsident ermunterte in seiner mit großem Beifall bedachten Rede die Bürger, dagegen aufzubegehren.

Scharf äußerte Biedenkopf sich auch zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die persönliche Freiheit der Menschen sei bereits zu einem wesentlichen Teil durch den Sozialstaat eingschränkt. Der Westen sei heute fast so sozialistisch, wie es der Osten war. Zur Steuer- und Sozialpolitik meinte Biedenkopf, man müsse sich fragen, ob diese nicht die Menschen zum Mißbrauch in Versuchung führe. "Die Menschen verweigern sich mit bestem Gewissen immer mehr Gesetzen". Der Staat büße seine Legitimation ein. Auf die Frage eines Reporters, wen man wählen solle, antwortete Biedenkopf: "Haben Sie denn keine leichtere Frage?"

Das war zuviel für die CDU-Funktionäre in Bund und Land. Postwendend äußerte sich am nächsten Tag Nordrhein-Westfalens CDU-Generalsekretär Reul: "Ein unbegreifliches Verhalten. Wenn Biedenkopf nichts mehr mit uns zu tun haben will, ist das sein Problem." Reul weiter: "Der Herr Professor versucht, sich auf Kosten der eigenen Truppe zu profilieren." Das sei "ein Schlag ins Gesicht der vielen Parteifreunde".

Der frisch gewählte hessische CDU-Landesvorsitzende Roland Koch nannte Biedenkopfs Enthaltung einer Wahlempfehlung einfach "unverschämt". Zur rhetorischen Abstrafung Biedenkopfs fand sich auch der Sprecher der "Jungen Gruppe" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hermann Gröhe, ein. Biedenkopf gehe es "nicht um neue Wahrheiten, sondern um alte Rechnungen" – mit Kohl, versteht sich.

Die Nervosität der CDU, wenn es um die Gefährdung der Parteilinie durch kritische Stimmen geht, ist bemerkenswert. Kurt Biedenkopfs politisch "unkorrekte" Warnungen kenne man laut Reul bisher nur als "Sprache von Leuten, die früher den Staat mit Steinen beworfen haben".

Konnte man nach dem Vortrag des sächsischen Ministerpräsidenten noch meinen, die Rede hätte die CDU für Euro-skeptische Wählerstimmen interessant machen können, so ist eines nach den heftigen Reaktionen der christdemokratischen Adjutanten klar: für Konservative wird die Luft in der CDU immer dünner.


 
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