© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/98  06. Februar 1998

 
 
Schilys Damaskus
von Martin Otto

Die Wohnung ist unverletzlich, Eingriffe sind nur zur akuten Gefahrenabwehr, auf Grund eines Gesetzes, auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässig. So steht es in Artikel 13 Grundgesetz. Das klingt klar und eindeutig, könnte aber schon bald nur noch neuere Verfassungsgeschichte sein. Im Bundestag gab es für den "Großen Lauschangriff" schon eine Mehrheit, im Bundesrat steht sie noch aus.

Läßt man einmal die kleineren Nebenschauplätze, etwa das Gepoker über das Abstimmungsverhalten des Bremer Senats oder die Anrufung des Vermittlungsausschusses beiseite, so ist doch dieses Jahr in jedem Fall noch mit einer Grundgesetzänderung zu rechnen, und das heißt zunächst einmal jede Menge Papier: Kommt die Änderung zustande, wird der Artikel 13 auf ein Vielfaches seiner bisherigen Länge ausgedehnt. Die neuen Rechtsprobleme bei Praktikern wie Polizei und Gerichten, aber auch Verständnisprobleme bei dem Grundrechtsschutz suchenden Bürger scheinen bereits programmiert.

Das mag alles kein Einwand sein. Ziel der Grundgesetzänderung ist es ja, das Abhören von Wohnungen als Beweismittel vor Gericht zu ermöglichen. Das wiederum soll der allseits gefürchteten organisierten Kriminalität einen empfindlichen Stoß versetzen. Muß man nicht für diesen parteiübergreifenden Konsens, diesen endgültigen Durchbruch in der Innenpolitik, bereit sein, einige juristische Kröten zu schlucken? Ist nicht schon das innenpolitische Damaskus eines Otto Schily vom Terroristenverteidiger zum maßgeblichen Befürworter des Lauschangriffs genug Anlaß zur Freude? Fast ist man geneigt, dieser Argumentation beizupflichten, würde man nicht ganz fatal an ein vergleichbares Szenario im Jahre 1993 erinnert. Auch damals schlugen die Wellen hoch, der parteiübergreifende Konsens war ähnlich heroisch, die Grundgesetzänderung war doch noch zustandegekommen. Es ging um das Asylrecht.

Man muß kein bürgerbewegter Datenschützer sein, um sich bei dem "Großen Lauschangriff" ein ebensogroßes Maß an Skepsis zu bewahren. In jedem Fall erleichtert die zu erwartende künftige Rechtslage das ohnehin praktizierte Abhören noch mehr, nur Geistliche und Bundestagsabgeordnete (warum Letztere?), sollen aufgrund eines garantierten Zeugnisverweigerungsrechtes ausgenommen bleiben. Die SPD möchte diesen Kreis noch erweitern, wofür einiges spricht. Für kontrolliertes Abhören von Telefonleitungen gilt dies freilich auch. Die parlamentarische Diskussion verspricht ein sorgsam ausgewogenes Ergebnis. Das organisierte Verbrechen zeigt sich unterdessen herzlich unbeeindruckt.


 
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