© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
Hochschulen: Erbitterter Kleinkrieg um das allgemeinpolitische Mandat an deutschen Universitäten
"Wie ich mal bei der RAF war"
von Uwe Jahn

Außer in den Ländern Baden-Württemberg und Bayern wird der Student mit der Immatrikulation nicht nur Mitglied der Universität, sondern auch der Studentenschaft, die als Gliedkörperschaft der Universität eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. "Regiert" wird die Studentenschaft vom Allgemeinen Studentenausschuß (AStA). Während der Student sich für die Einschreibung an der Universität freiwillig entscheidet, fehlt ihm diese Möglichkeit hinsichtlich der Mitgliedschaft in der Studentenschaft. Diese ist so konstruiert, daß dem Eintritt in die Universität zwangsläufig nach einer "logischen Sekunde" der Eintritt in die Studentenschaft folgt.

Schon diese Zwangsmitgliedschaft wird von einigen Verfassungsrechtlern für rechtswidrig gehalten. Aus dem Grundrecht aus Artikel 9 Grundgesetz, wonach alle Deutschen das Recht haben, Vereine und Gesellschaften zu bilden, leiten sie im Umkehrschluß das Recht ab, öffentlich-rechtlichen Zwangsvereinen fernzubleiben. Die herrschende Lehre und Rechtssprechung von Bundesverwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht halten eine Zwangsmitgliedschaft aber für zulässig, wenn ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt.

Nach der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG, Urteil vom 13.12.1979 – 7C 58/78) folgt für die Studentenschaft daraus, daß sie als Zusammenschluß von Studenten Umfang und Grenzen ihres möglichen Wirkungskreises in der Wahrnehmung studentischer Interessen findet. Nur mit den Interessen, die sich aus seiner sozialen Rolle als Student ergeben und die für ihn als studentisches Mitglied der Gesellschaft auch typisch sind, kann der Student in die verfaßte Studentenschaft eingegliedert werden. Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ist die Studentenschaft daher zur äußersten Zurückhaltung verpflichtet und darf ein bestimmtes eigenes politisches Engagement weder verfolgen noch erkennen lassen. Damit wird einem allgemeinpolitischen Mandat für Studentenschaften eine eindeutige Absage erteilt.

Diese Theorie unterscheidet sich aber erheblich von der Wirklichkeit an bundesdeutschen Hochschulen. Schon immer waren die Aktivitäten der Studentenschaften allgemeinpolitisch geprägt.

Bis Ende der sechziger Jahre waren die Asten noch mehrheitlich konservativ. Fackelumzüge für die Wiedervereinigung und ein Referat für gesamtdeutsche Fragen unterhielt fast jeder AStA. Da solche Tätigkeiten damals noch von einem breiten Konsens in der Studentenschaft und auch in der Gesellschaft getragen wurde, gab es keine Kläger und demzufolge auch keine Richter.

Mit der Studentenrevolte ab 1967/68 bekamen linke Studentengruppen die Mehrheiten in den Studentenparlamenten und übernahmen die Macht in den Asten. Sie nutzten die Studentenschaften für ihren politischen Kampf gegen Regierung und Gesellschaft. Es wurde gegen die Notstandsgesetzgebung, Vietnamkrieg und den Schah von Persien propagiert. Diese zwar von großen Teilen der Studentenschaft getragene Politik fand aber keine ungeteilte Zustimmung mehr.

Immer wieder ließen Studenten ihrer Studentenschaft die allgemeinpolitischen Aktivitäten durch die Verwaltungsgerichte untersagen. Besonders in den siebziger Jahren kam es zu zahlreichen Prozessen. Viele Studentenvertreter ließen sich durch die Urteile nicht beeindrucken. Der Marburger AStA wurde beispielsweise 1975 abgesetzt, weil er sich weigerte zu erklären, daß er keine politischen Stellungnahmen mehr abgeben werde. Die Geschäfte der Studentenschaft wurden für einige Zeit von einem Staatskommissar geführt.

Noch konsequenter waren die Maßnahmen gegen die Studentenschaften in Baden-Württemberg und Bayern. Nach den Unruhen der Studentenbewegung kam es 1974 zur Auflösung der verfaßten Studentenschaft in Bayern und 1977 in Baden-Württemberg. Die verfaßten Studentenschaften wurden hier als kriminelle Vereinigungen angesehen. In der Terrorismuswelle im Herbst 1977 wurde den Asten der Vorwurf gemacht, als logistische Basis der RAF-Sympatisanten und anderer zu fungieren und eine Gefahr für die innere Sicherheit darzustellen. Die verfaßten Studentenschaften wurden in den beiden südlichen Bundesländern bis heute nicht wieder eingeführt.

Obwohl die politische Betätigung der Studentenschaften auch in den achtziger Jahren weiterging, stellten sich die Klagen allmählich ein. Erst in den neunziger Jahren begann der Streit um das allgemeinpolitische Mandat von neuem und könnte schon bald wieder das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Begonnen hat die aktuelle Debatte um das allgemeinpolitische Mandat 1994 in Münster. Dort hat das Oberverwaltungsgericht auf Antrag des Studenten René Schneider am 6. September 1994 dem Allgemeinen Studentenausschuß der Westfälischen Wilhelms-Universität mit einer einstweiligen Anordung untersagt, "politische Erklärungen, Forderungen und Stellungnahmen abzugeben, die nicht spezifisch und unmittelbar hochschulbezogen sind" (OVG NW, 25 B 1507/94). Für Zuwiderhandlungen wurden Ordungsgelder in Höhe von bis zu 500.000 DM angedroht. Begründet wurde die Entscheidung mit der Veröffentlichung eines Artikels "Wie ich mal bei der RAF war" in der AStA-Zeitschrift Links vom Schloß, in dem die Opfer der Terroristen verhöhnt wurden. Solche und ähnliche Publikationen gehören zum Tagesgeschäft der links dominierten Studentenschaften an den bundesdeutschen Hochschulen. Kein Wunder also, daß sich auch an anderen Universitäten früher oder später Nachahmer fanden.

Mit dem Ziel, die allgemeinpolitische Betätigung der Studentenschaften flächendeckend zu untersagen, gründete Schneider ein privates Institut für Hochschulrecht mit Sitz in Münster. Doch bis 1996 blieb das Urteil von Münster noch ein Einzelfall. Erst im März 1996 folgte eine gleichlautende einstweilige Anordung der Studenten Nico Schöning und Christian Steinbaum, beide Mitglieder im Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), gegen den Bonner AStA (VG Köln, 6 L 28/96). Es waren vor allem Äußerungen gegen die Atompolitik und für einen in den Vereinigten Staaten verurteilten Polizistenmörder, die die Verwaltungsrichter monierten.

Ebenfalls RCDS-Mitglieder sind Christian Grüneberg und Gerhard P. Hirsch, die im Juni 1996 gegen den AStA der Bergischen Universität-Gesamthochschule Wuppertal erfolgreich waren (VG Düsseldorf, 15 L 781/96). In Wuppertal waren es Äußerungen der Studentenschaft gegen die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern, gegen die Wehrpflicht und gegen "Castor"-Transporte, die das Verwaltungsgericht Düsseldorf für unzulässig angesehen hat.

Im vergangenen Jahr folgten dann erstmals einige Urteile außerhalb Nordrhein-Westfalens. Am 15. Januar 1997 untersagte der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel der Studentenschaft der Justus-Liebig Universität in Gießen eine allgemeinpolitische Betätigung (Hess VGH, 6 TG 4560/96). Geklagt hatte der Gießener RCDS-Vorsitzende und Burschenschaftler Martin Engelmann, der u. a. Artikel zum Castor und der verbotenen Kurdenpartei PKK beanstandet hatte.

Vertreten wurden die Kläger bis dahin alle von Rechtsanwalt Heinz-Jürgen Milse aus Münster. Bearbeitet wurden die Klagen aber in Wirklichkeit von René Schneider und seinem Institut für Hochschulrecht. Mittlerweile hatte der RCDS-Funktionär Grüneberg vergeblich versucht, sich in seinem Studentenverband mit den Klagen gegen die linken Asten zu profilieren. Der RCDS- Bundesvorstand setzt lieber auf Kooperation mit den Linken und ließ Grüneberg abblitzen. Der gründete daraufhin am 27. Januar 1997 zusammen mit den Klägern aus Münster und Bonn die Aktionsgemeinschaft Demokratische Hochschule (ADH) mit dem Ziel, das allgemeinpolitische Mandat bundesweit zu bekämpfen. Schon im April brach diese Aktionsgemeinschaft wegen eines Streits zwischen Grüneberg und Schneider auseinader. Der Gießener Kläger Engelmann hat der ADH nie angehört und setzt weiterhin auf eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Hochschulrecht.

Am 17. Februar 1997 erwirkte Eike Erdel die erste von mittlerweile vier einstweiligen Anordnungen gegen den AStA der Philipps-Universität in Marburg (VG Gießen, 3 G 1799/96). Der Marburger AStA hat sich durch die Verunglimpfung der Bundeswehr und des Fuldaer Erzbischofs Johannes Dyba allgemeinpolitisch betätigt. Im September folgten zwei weitere einstweilige Anordnungen durch das Verwaltungsgericht Gießen (VG Gießen, 3 G 1028/97; VG Gießen, 3 G 1107/97). Das jüngste Urteil gegen den Marburger AStA stammt vom Januar 1998. Alle Klagen in Marburg wurden vom Republikanischen Hochschulverband (RHV) bearbeitet und von Mitgliedern der Burschenschaften Normannia-Leipzig zu Marburg und Rheinfranken eingereicht.

Im Juli 1997 wurde auf Antrag von sechs Studenten der Universität Potsdam dem Studienrat durch eine einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts Potsdam (VG Potsdam, 6 L 517/97) "untersagt, allgemeinpolitische, nicht hochschulbezogene Aktivitäten Dritter finanziell zu unterstützen". Im Fall einer jeden Zuwiderhandlung droht ein Ordnungsgeld von 500 DM. Der Studienrat hatte zuvor den Widerstand gegen Castor-Transporte nach Gorleben mit 1.250 DM aktiv unterstützt. In Bremen wurde die Studentenschaft der Universität Bremen durch das Oberverwaltungsgericht der freien Hansestadt am 26. November 1997 verurteilt (OVG Bremen, 1 B 120/97). Auch die Studenten in Potsdam und Bremen arbeiten mit dem Institut für Hochschulrecht in Münster zusammen.

Doch mit den einstweiligen Anordnungen haben die Kläger in aller Regel noch nichts erreicht. Meist halten sich die Asten nicht an die Verbote. So hat Schneider in Münster bereits 24 Anträge auf Festsetzung von Ordnungsgeldern gegen den Münsteraner AStA gestellt. Über 6.000 DM mußte die Studentenschaft dort an den Fiskus zahlen. In 12 Fällen wurden die Anträge allerdings abgelehnt. Auch die Marburger AStA-Vorsitzende Judith Klapproth will sich nicht an die Urteile des Verwaltungsgerichtes halten: "Die linke Politik des AStA geht weiter – trotz Klagen und Ordnungsgeldern." Während die Verwaltungsgerichte in Nordrhein-Westfalen bei Verstößen meist nur Ordnungsgelder zwischen 250 und 750 DM festsetzen, wird es für die Studentenvertreter in Hessen vergleichsweise teuer. Für nur drei Vollstreckungsverfahren mußte der Marburger AStA insgesamt 14.000 DM zahlen. "Im Moment sind wir tatsächlich pleite", stellt Klapproth fest, "insofern sind die Klagen erfolgreich". Der Veranstaltungsetat mußte radikal gekürzt werden. In der Höhe der Ordnungsgelder hält der Gießener AStA mit 10.000 DM für die Entsendung einer Delegation zu den Weltjugendfestspielen nach Kuba den Rekord. Das Ordnungsgeld hat seine Wirkung nicht verfehlt, denn seither hat sich der Gießener AStA nicht mehr allgemeinpolitisch geäußert.

Zur Zeit werden noch weitere Klagen bearbeitet. So werden Burschenschaften an der Technischen-Universität Braunschweig, der Universität Hannover und der Universität-Gesamthochschule Siegen mit Unterstützung des RHV gegen die allgemeinpolitische Betätigung ihrer Studentenschaftler vorgehen. Es ist außerdem zu erwarten, daß gerade die derzeit an allen deutschen Hochschulen gegen die Kläger und für ein allgemeinpolitisches Mandat laufende Propaganda einige zur Nachahmung motiviert. Dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel liegt zur Zeit ein Antrag von drei Marburger Burschenschaften auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes vor, bei dem die Bekämpfung von Burschenschaften durch den AStA moniert wird. Sollten die Kläger damit erfolgreich sein, dann wäre dies für bundesweit alle Korporationen ein Anreiz, gegen ihre Studentenschaften vorzugehen. Immerhin sind die Burschenschaften überall das AStA-Feindbild Nummer eins.

Brisant wird der aktuelle Streit um das allgemeinpolitische Mandat durch die Tatsache, daß die Studentenvertreter durch rot-grüne Politiker Unterstützung erfahren. So ist im nordrhein-westfälischen Universitätsgesetz seit dem 1. Juli vergangenen Jahres das Recht der ASten, "Belange ihrer Mitglieder in Hochschule und Gesellschaft wahrzunehmen", festgeschrieben. Wissenschaftsministerin Anke Brunn hofft damit den Studentenschaften mehr Freiraum zu verschaffen. Auch ihre hessische Kollegin Christiane Hohmann-Dehnhardt hat eine ähnliche Gesetzesänderung in Wiesbaden eingebracht. Die beiden Politikerinnen und die linken Studentenvertreter hoffen auf eine großzügige Auslegung der neuen Regelung durch die Verwaltungsgerichte. Die Hoffnung könnte schon bald in Enttäuschung umschlagen. Es scheint noch keiner der beiden sozialdemokratischen Wissenschaftsministerinnen klar geworden zu sein, daß eine allgemeinpolitische Betätigung der Studentenschaften andere Studenten in ihren Grundrechten verletzt. Dieser Tatbestand bleibt, egal was in den Hochschulgesetzen der Länder steht.


 
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