© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/98 20. Februar 1998

 
 
Intellektuelle äußern sich gegenüber der JF zum Tode des Dichters Ernst Jünger
Von den Göttern zu den Titanen

Ernst Jünger war der bekannteste, am meisten gelesene und beliebteste deutsche Schriftsteller in Frankreich. Es ist auch das einzige Land, in dem alle seine Bücher ohne Ausnahme übersetzt worden sind. Ich selbst habe mich mit ihm in zwei Werken befaßt, wovon eine Bio-Bibliographie vor einigen Monaten erschienen ist. Wahrer Seismograph seiner Zeit, war und bleibt er ein Beispiel für Mut, Freiheit des Geistes und Standhaftigkeit sich selbst gegenüber. Er hat besser als andere sich gegen alle Totalitarismen zur Wehr setzen können. Er hat mich gelehrt, daß der auf Sachverhalte geworfene Blick mehr zählt als der Sachverhalt selbst. Er war der Statur eines Goethe ebenbürtig. Das 20. Jahrhundert läßt sich definieren als das Jahrhundert, in dem Ernst Jünger keinen Nobelpreis erhalten hat. Dieses allein reicht aus zur Bewertung einer Epoche.

Alain de Benoist, Paris, Philosoph

 

Mein Bildungshorizont ist durch Ernst Jünger entscheidend erweitert worden. Vor allem durch seine Bücher "In Stahlgewittern", dann "Der Arbeiter" und schließlich "Die totale Mobilmachung". Ich habe mich nie als Jünger-Fan bezeichnet. Aber ich habe es immer als Kulturschande empfunden, in welch schnöder und provinzieller Weise dieser bedeutende Kopf von den deutschen Medien in den letzten Jahrzehnten behandelt wurde.

Wolfgang Venohr, Berlin, Historiker

 

 

Die Zeiten wandeln sich und wir uns in ihnen. In seinem langen Leben hat Ernst Jünger, den Windungen des Zeitgeistes folgend und ihn gleichzeitig gestaltend, manche Wandlungen durchlaufen. Deshalb werden für jeden Betrachter andere Facetten seines Werkes Bedeutung haben. Für mich ist der politische Autor als Deuter seiner Zeit interessanter als der Schriftsteller, der nach 1933, vom Nationalsozialismus enttäuscht, der Politik den Rücken kehrte. Er bleibt einer der ganz wenigen Rechtsintellektuellen, deren Werk von übernationalem Rang ist. Wird er Nachwirkungen haben? Haben seine Gedanken von einem neuen Menschen, geprägt und geformt durch Kriege, Technik und Revolutionen des 20. Jahrhunderts ("Der Arbeiter", 1932) weiterhelfende, orientierende Kraft? Jünger will zeigen, daß der technische Fortschritt nicht automatisch ins Reich der Vernunft und Gerechtigkeit führt. Vielmehr wird alles Individuelle eingeebnet. Diese radikale Vorstellung von einem neuen, heroischen, asketischen, kämpfenden Menschen hatte damals eine faszinierende Wirkung. Aber nach den Erfahrungen der Geschichte kann uns dieser Wegweiser den Weg nicht mehr weisen, und Ernst Jünger hat die Lehren aus den Erfahrungen gezogen. Seine Feinde aber, borniert und unbelehrbar, wollen seine Wandlungen nicht wahrhaben.

In Person und Werk Jüngers werden die Zerrissenheit, Widersprüchlichkeit und Wandelbarkeit unserer Zeit und die Selbstfindungsschwierigkeiten von Rechtsintellektuellen deutlich. Hier scheint mir der Grund für Jüngers fortdauernde Bedeutung zu liegen: Nicht verehrungsvolle Bewunderung, sondern die kritische Lektüre seiner Schriften können zur Ortsbestimmung der Gegenwart und zur Antwort auf die Frage beitragen, was Nation, Konservativismus, Liberalismus, persönliche und geistige Freiheit in Deutschland und Europa heute bedeuten.

Hans-Helmuth Knütter, Bonn, Politikwissenschaftler

 

 

Was von Ernst Jünger bleiben wird? "Stahlgewitter" und "Subtile Jagden"! Diese beiden Titel markieren die Pole der Spannung, in der dieser Dichter und Forscher sein Leben lang stand, die machtvollste Weise des Sicheinlassens mit den Elementen. Er sah, was andere nur ahnen: daß die Moderne der Kampf der Titanen gegen die Götter ist, eine gewaltige Welt-Dämmerung, deren Ausgang wir nicht kennen. Es kann Abendröte, es kann Morgenröte sein. Jünger selbst aber steht für Morgenröte und dafür, "daß die Götter sich zeigen". Dies war seine Hoffnung und seine Vision.

Günter Zehm, Bonn, Philosophieprofessor

 

 

Ernst Jünger ist neben Thomas Mann der wichtigste literarische Repräsentant des Volkes der Dichter und Denker im 20. Jahrhundert.

Peter Gauweiler, München, Politiker

 

 

Schade, daß er das nächste Jahrtausend nicht mehr erlebt.

Matthias Beltz, Frankfurt am Main, Kabarettist

 

 

Ich hätte mir gewünscht, daß er das Jahr 2000 erlebt. Er ist zum Chronisten des Jahrhunderts geworden, es wäre interessant gewesen, zu sehen, was er uns über die Jahrtausendwende zu sagen gehabt hätte.

Nicolaus Sombart, Berlin, Schriftsteller

 

 

Der größte deutsche Romantiker der Sprache in unserem Jahrhundert. Ich freue mich auf die kommenden Ausgaben seiner Korrespondenz mit seinem Bruder Friedrich-Georg.

Axel Matthes, München, Verleger

 

 

Er war der letzte der Titanen. Ihnen verdankt man es, wenn es noch Deutsche gibt mit aufrechtem Gang.

Armin Mohler, München, Schriftsteller

 

 

Der Tod hat in Ernst Jünger einen großen Einzelnen getroffen. Seine Bücher werden bleiben, aber schon das Dasein dieses Autors hatte etwas Tröstliches, und dieser Trost ist uns genommen.

Karlheinz Weißmann, Bovenden, Historiker

 

 

Was ich an Jünger bewundere und schätze, ist seine Fähigkeit, sich selbst so genau zu beobachten, daß er dabei und dann zugleich die Bewegungen des Jahrhunderts entdeckt. Das gilt für das Erlebnis des Krieges in seiner Jugend, für die Atmosphäre der neuen Sachlickeit in den zwanziger Jahren, und das gilt für die Suche nach einer Überlebensstrategie im Jahrhundert des Totalitären von links und rechts, und das gilt für das Verschwinden des Religiösen und die Hoffnung auf die Wiederkehr neuer Götter. Aus dem Blick in sich selbst hat Ernst Jünger seine Skepsis bezogen. Diese Skepsis ließ ihn jung bleiben, und so konnte er alt werden.

Rüdiger Safranski, Berlin, Publizist

 

 

Ernst Jünger erschien mir immer wie ein Edelmann von unverstellter Gesinnung und perikleischem Geist, an dem sich selbst die mächtigen Wogen des Zeitgeistes brachen. Zugleich war er ein rares Beispiel für die Aussöhnung stiftende Kraft gelebter Wahrhaftigkeit in unserem Jahrhundert. Er hat Nachahmung verdient und nicht nur unverbindliche Nachrufe!

Alfred Schickel, Ingolstadt, Historiker

 

 

Ernst Jünger wirkte auf mich wie die Wiedergeburt Goethes, nachdem ihm die technifizierte Welt eine wetterfeste, irgendwie indianische Haut übergezogen hatte. Und das Allermerkwürdigste: Sein Stahlgewitter hat die Weimarer Klassik nicht zerstört, sondern konserviert.

Hartmut Lange, Berlin, Schriftsteller

 

 

Als wir Achtzehnjährigen 1945 aus Krieg und Gefangenschaft zurückkehrten, wurde Ernst Jünger für viele von uns zu einem Leitstern in orientierungsloser Zeit. Wir lasen die Friedensschrift, verschlangen die Pariser Tagebücher, die Marmorklippen, Heliopolis… Als ich mich selbst den Siebzig näherte, las ich die herrlichen Tagebücher "Siebzig verweht". Vor allem aber: Ernst Jünger bleibt einer der sensibelsten Seismographen unserer Epoche, berufen, noch manches zu korrigieren, was eine oft so seichte Geschichtsschreibung von sich gibt.

Klaus Hornung, Reutlingen, Politikwissenschaftler

 

 

"Die geistige Unterwerfung vollzieht sich durch die Annahme der Fragestellung, gleichviel, ob man die Antwort bejaht oder verneint", notierte Ernst Jünger nach dem Ersten Weltkrieg. Damals, nach 1918, fanden sich noch genügend viele Intellektuelle im besiegten Deutschland, die die Kraft besaßen, die demokratisch-liberalen Zumutungen der Siegermächte und deutschen Helfershelfer zurückzuweisen. Heute ist die Lage ungleich schwieriger, doch gerade deshalb ist das Erlernen der Jüngerschen désinvolture unsere oberste Pflicht.

Günter Maschke, Frankfurt am Main, Schriftsteller

 

 

Jünger repräsentierte mehr als 80 Jahre Aktivität in der nihilistischsten und verwildertsten Epoche der europäischen Geschichte. Er hat all diese Sümpfe durchschritten und dabei seine faszinierende Klarheit behalten, uns die Rezepte hinterlassen, Tag für Tag, in seinen Berichten, die ich seit meinem 18. Lebensjahr bewundere. Das große Vermächtnis von Jünger ist eine "Dressur des Blickes", eine permanente Technik der Wachheit, der Wahrheit zu allem, für das kleinste Detail, den geringsten Hinweis. Und einer Wahrnehmung der umfangreichen Vielfalt der Phänomene, die dieser Blick zur Kenntnis nimmt. Und wenn dieses das Geheimnis seiner unglaublichen Langlebigkeit gewesen wäre?

Robert Steuckers, Brüssel, Publizist

 

 

Ich betrachte Ernst Jünger als einen bedeutenden Vertreter deutschen Geistes. Ich bin außerdem der Meinung, daß sein Buch "Der Arbeiter" auch künftig Resonanz haben wird. Das bedeutet keineswegs, daß ich zum Beispiel die reichhaltigen Tagebücher unterschätze. Zu guter Letzt möchte ich noch unterstreichen, daß ich mich freue, mit diesem Mann in Verbindung gestanden zu haben.

Piet Tommissen, Brüssel, Philosoph

 

 

Mit Ernst Jünger verliert die europäische Kultur einen der wenigen deutschen Zeitzeugen ihrer wechselvollen Geschichte dieses Jahrhunderts, der sich den ideologisch-politischen Denkschablonen zu entziehen wußte. So verdanken wir ihm sehr persönliche, eigenwillige Antworten auf die großen Herausforderungen unseres Jahrhunderts durch zwei Weltkriege, durch zwei totalitäre System und durch die Dämonie der Technik. Eine Erklärung dafür ist dem trefflichen Wort zu entnehmen: "Die geistige Unterwerfung beginnt dort, wo man die Fragestellung aufnimmt, gleich welche Antworten man dann auch findet". Ernst Jünger hat damit einen wesentlichen, wenn auch keinesfalls alle Facetten umfassenden Beitrag zur Behauptung und zur Bewahrung abendländischen Denkens in den Umbrüchen dieses Jahrhunderts geleistet. Die um sich greifende geistige Verödung in unserem Volke und in Euro-Europa wird zu einer Neubesinnung auf das Werk und die Persönlichkeit Jüngers führen und ihm die Anerkennung verschaffen, die er heute schon im Ausland, vor allem in Frankreich, genießt.

Klaus Motschmann, Berlin, Politikwissenschaftler

 

 

Mein Verhältnis zu Ernst Jünger ist mehr von distanzierter Art gewesen und so bin ich vielleicht nicht der Geeignete, anläßlich seines Todes zu seiner Person und zu seinem Werk Stellung zu nehmen. Ernst Jünger ist – Gott sei Dank – ja nicht immer derselbe geblieben. Der Ernst Jünger des Ersten Weltkrieges, der Ernst Jünger der Weimarer Republik, der Ernst Jünger des Dritten Reiches und der Ernst Jünger nach dem Zweiten Weltkrieg sind ganz unterschiedliche Facetten, die sein Jahrhundert überspannendes Werk wahrnehmen läßt. Daß er zu den großen Autoren dieses Jahrhunderts gehört, daß dürfte unbestritten sein, und wenn nicht der Sozialist Mitterand sich als ein besonders intimer Kenner und Verehrer Jüngers bekannt hätte, würde der anödende Streit zwischen den Linken und Rechten um Ernst Jünger weitergehen. Für mich ist nach wie vor das wichtigste Werk "Der Arbeiter". Dieses Werk ist als Teilhabe am Nationalsozialismus interpretiert worden, was völlig falsch ist. Sondern es ist eine der großen physiognomischen Darstellungen unsere Jahrhunderts, zu der die Schreckenslandschaften des "abenteuerlichen Herzens" ja nur die entsprechende Ergänzung darstellen. Sicher ist der Arbeiter eher ein Mythos, als daß er irgendetwas mit der realen Wirklichkeit des Arbeiters im 20. Jahrhundert zu tuen hat. Aber daß inzwischen die Welt den Charakter einer Werkstattlandschaft angenommen hat, daß alles zur Arbeit geworden ist, und daß wir nach wie vor um das ringen, was Jünger eine organische Konstruktion, d.h., eine neue Verschmelzung von Mensch und Technik genannt hat, das sind Aussagen, mit denen er dieses Jahrhundert ins Herz getroffen hat, und nicht zufällig hat er durch dieses Werk Heidegger tiefer beeinflußt als Heidegger je bereit war, dies zuzugeben. Wenig kann ich mit dem Jünger nach dem Zweiten Weltkrieg anfangen. Ich erinnere mich daran, daß Carl Schmitt voller Erstaunen, aber auch halb belustigt, verkündete, Ernst Jünger sei der Meinung, daß der christliche Äon zu Ende sei. Die Erdalterspekulationen, die in einer gewissen Nachfolge zu Oswald Spengler stehen, sind sicher nicht nach jedermanns Geschmack. Jünger mag auch ein frommer Mensch geworden sein, aber das Christentum ist ihm ferner gewesen, als es bei einem Altheiden der Fall hätte sein können.

Günter Rohrmoser, Stuttgart, Sozialphilosoph

 

 

Mit Ernst Jünger ist einer der wenigen deutschen Dichter und Denker dieses Jahrhunderts abgetreten, der mit Sicherheit unübersehbare Spuren in der Literaturgeschichte hinterlassen wird. Er war Vorläufer verschiedenster geistig-ideologischer Strömungen dieses Jahrhunderts, niemals Mitläufer. Wenn heute linke Literaturheroen wie Brecht von staatswegen gefeiert werden, deren Größe die von Propagandisten und Pornographen ist, um wieviel mehr müßte man eines solitären Denkers und Schreibers, wie Ernst Jünger es war, gedenken.

Andreas Mölzer, Klagenfurt, Journalist

 

 

Vorbehalte gegen den politischen Schriftsteller Ernst Jünger, gegen den Protagonisten des "neuen Nationalismus" der 20er Jahre, werde ich nie ganz abstreifen können. Unkritischer Bewunderung steht nicht allein die unhistorische Frage im Wege, ob die deutsche Geschichte in diesem Jahrhundert weniger unheilvoll verlaufen wäre ohne jene von Nietzsche und Machiavelli, von Nihilismus und heroischem Realismus inspirierte "totale Mobilmachung" gegen das System von Versailles. Aus der zeitlichen Distanz wirkt das Pathos jener Schriften befremdlich, bei der Lektüre der "Stahlgewitter" unterscheide ich sorgsam zwischen der Ästhetik des Werkes und der Ästhetik des Krieges. Eine Konzession an den linksliberalen Zeitgeist der erweiterten BRD?

Abgeschreckt vom jüngerophoben Geist des Zeit-Feuilletons , der mich seit meiner Gymnasialzeit begleitete, gehöre ich – anders als jene nachgeborene Vorhut von jugendbewegten 68ern, die der Studentenrevolte einige spezifisch deutsche Züge verliehen – zu jenen, die das Werk des letzten großen deutschen Dichters dieses Jahrhunderts erst spät, auf langen Umwegen entdeckten. Dabei hätte die Annäherung schon viel früher stattfinden können: Während des Studiums geriet ich an eine Anthologie der amerikanischen Beat-Lyriker, an Allen Ginsburgs "Howl" und Ferlinghettis "Coney Island of the Mind". Herausgeber war der in die USA emigrierte Karl O. Paetel, einer jener "linken Leute von rechts", deren Widerstand aus der Bündischen Jugend, aus dem Geist Ernst Jüngers rührte. Paetel verwies auf die Verwandtschaft des Protestgestus der Beat-Generation mit jugendbewegten, Jüngerschen Sentiments. Die "Afrikanische Spiele" las ich freilich erst im Erwachsenenalter, als es für den Reiz solcher abenteuerlichen Empfindungen zu spät war.

Auf Schriften des jungen Nationalisten Jünger stieß ich bei Studien zu Ernst Niekisch, nachdem irgendein böswilliger Ignorant mich als Adepten des Nationalbolschewismus mieszumachen versucht hatte. Wie verschlungen, wie widersprüchlich und abseitig die Wege des deutschen Widerstands tatsächlich waren, erkennen wir eben erst bei der Lektüre des Widerstand. Daß die "Weiße Rose" etwas mit der "d.j.1.11" und folglich auch mit Ernst Jünger zu tun hatte, bleibt eine vom bundesrepublikanischen Tugendkatalog abgeschirmte Erkenntnis.

Spät, viel zu spät las ich dann, an einem leuchtenden Sommertag die "Marmorklippen". Wenn sich bei der Annäherung an das Werk Ernst Jüngers immer wieder Zweifel einstellten – am Gestus des "Anarchen", an der reinen Ästhetik der désinvolture, an den ideologischen Spielen des jungen Jünger –, so werden sie widerlegt bei der Lektüre dieses Romans. Keine Frage, Ernst Jünger zählt zu den großen Dichtern des 20. Jahrhunderts. Blicken wir Nachgeborenen zurück auf das von Jünger durchlebte Jahrhundert der totalitären Ideologien, auf die von Jünger dichterisch antizipierte Vergeblichkeit des deutschen Widerstands, auf den historischen Zufall am 9.November 1989, dann kennen wir "die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung des Glücks ergreift".

Herbert Ammon, Berlin, Historiker


 
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