© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/98 20. Februar 1998

 
 
Das Elsaß von den Regionalwahlen: Starker Zulauf für die Regionalisten von "Alsace d'abord"
Elsässer auf bayerischen Spuren
von Nicolaus Rubeck

Der politisch wachsame Elsässer braucht nicht erst durch bunte Wahlplakate und Fernsehwerbung darauf aufmerksam gemacht zu werden, wenn es wieder einmal einen neuen Regionalrat zu wählen gilt. Der Bewohner dieses schönen Landes zwischen Rhein und Vogesen ahnt den nahenden Urnengang, sobald ein bestimmtes Thema den Diskurs aller Politiker – vom überzeugten Zentralisten bis hin zum Neo-Jakobiner – bestimmt: der Regionalismus.

Die deutliche Betonung der elsässischen Besonderheiten sowie der immer lauter werdende Ruf nach mehr politischer Selbstverantwortung und Emanzipation gegenüber den Pariser Institutionen und Parteizentralen sind nicht zuletzt der politischen Bewegung "Alsace d’abord" (Elsaß zuerst) von Robert Spieler zu verdanken. Spieler, ein temperamentvoller Redner und geschickter politischer Stratege (s. auch das Interview in JF 22/97, S. 3), der es immer wieder mit Erfolg versteht, das Interesse der Medien auf sich zu lenken, hat nach seinem Ausscheiden aus dem Front National im Jahre 1989 etwas geschafft, was im französischen Staat – von Korsika einmal abgesehen – bislang einmalig ist: Mit Alsace d’abord konnte eine regionalistische Organistaion (1992) eigene Vertreter in den Regionalrat entsenden.

Vor den neuerlichen Regionalratswahlen am 15. März gelang es dem Politikwissenschaftler und selbständigen Personalberater Spieler, seine Formation mit einem medialen Schachzug groß ins Gespräch zu bringen. Alsace d’abord versandte an alle elsässischen Mandatsträger eine zweisprachige Charta, in der die eigene Programmatik plakativ dargestellt ist: Gefordert werden dort u. a. eine bessere finanzielle Ausstattung der beiden elsässischen Departements und der Übergang der Bereiche Wirtschaftsplanung, Arbeitsvermittlung, Bildung, Umwelt, Sozial- und Familienpolitik in die Entscheidungsbefugnis der Region. Darüber hinaus verteidigt Alsace d’abord die Beibehaltung des eigenständigen, vom französischen Gesamtstaat unabhängigen Krankenversicherungssystems, das in der Zeit der Zugehörigkeit zum Deutschen Kaiserreich installiert wurde und bis heute finanziell gesund ist.

"Unsere Charta hat großen Erfolg gehabt. Wir konnten auf diese Weise jene Kommunalpolitiker ansprechen, denen der Regionalismus wirklich am Herzen liegt", erklärte Robert Spieler, derzeit Vizepräsident des elsässischen Regionalrates, gegenüber der jungen freiheit. Wie groß die Resonanz wirklich ist, läßt sich an der langen Reihe der Erstunterzeichner der Charta sowie an den namhaften Persönlichkeiten ersehen, die auf den beiden Wahlvorschlägen in den Departements Bas-Rhin und Haut-Rhin verzeichnet sind. Eine ganze Reihe von Bürgermeistern und Gemeinderäten sorgt nun für die flächendeckende Verbreitung der regionalistischen Ideen.

Zulauf erhielt Alsace d’abord aus fast allen Parteien. "Weder die traditionellen Parteien noch der anti-regionalistische Front National sind in der Lage, die Zukunft des Elsaß positiv zu beeinflussen", meint Denis Hommel. Der Offendorfer Bürgermeister hat vor kurzem sein gaullistisches Parteibuch abgegeben und kandidiert jetzt hinter Spieler auf Platz 2 der Liste im Departement Bas-Rhin. Direkt hinter Hommel folgt der ehemalige UDF-Politiker Xavier Muller, Gemeindevorsteher von Marlenheim. Bereits seit 1992 gehört Muller dem Regionalrat an und leitete dort zuletzt den Ausschuß für europäische, internationale und regionale Zusammenarbeit. Er war vor sechs Jahren die Nummer 2 auf der Liste des jetzigen Regionalratspräsidenten Adrian Zeller, dessen ehemalige Mitstreiter sich diesmal auf viele Listen verteilen.

Die Mehrzahl der Neuzugänge kommt aus dem bürgerlichen Lager, darunter etliche Freiberufler, Selbständige und leitende Angestellte. Diese Zusammensetzung der regionalistischen Formation, in der es keine Berufspolitiker gibt, gewährleistet zum einen wirtschaftspolitischen Sachverstand, zum anderen kennt man die Sorgen und Nöte der Bevölkerung nicht nur aus Gesprächen während der Wahlkampftouren, sondern aus dem alltäglichen Erleben.

Das Thema Innere Sicherheit gehört ebenso wie die Einwanderungsproblematik zu den Hauptanliegen von Alsace d’abord. Der gebürtige Lothringer Spieler und seine politischen Weggefährten sprechen sich vehement gegen die Errichtung einer Groß-Moschee in Straßburg aus, die als europäisches Ausbildungszentrum für Imame ausgebaut werden soll. Für Alsace d’abord kommt auch eine Ausweitung des Konkordats – ebenfalls eine Besonderheit aus den Zeiten des Deutschen Kaiserreichs – auf die islamische Glaubensgemeinschaft nicht in Frage.

Daß die Regionalisten, die sich für ein "Europa der Regionen" und die Einführung des "Euros" stark machen, einen besseren Schutz der Bürger und die Aufstockung der Polizeikräfte verlangen – und dies nicht erst seit den jüngsten Silvester-Krawallen in Straßburg –, bringt ihnen von linker Seite den offenbar obligatorischen Vorwurf des "Rechtsradikalismus" ein. Die Propaganda ging so weit, daß der Ökologe und Weinbauer Marc Kreydenweiss unter dem Druck prominenter Freunde, unter ihnen der Karikaturist Tomi Ungerer, seine Kandidatur für Alsace d’abord zurückzog. Doch Kreydenweiss blieb ein Einzelfall. Die Regionalisten sind infolge dieser Episode eher noch stärker zusammengerückt.

Nach den Wahlen am 15. März, für die man die 10-Prozent-Marke anpeilt, soll eine große elsässische Partei, das "Mouvement Régionaliste Alsacien" (Elsässische Regionalistische Bewegung) gegründet werden. Ein "Modell" könnte laut Spieler die bayerische CSU sein.

Die gute Präsenz von Alsace d’abord in den Medien macht es der Konkurrenz von der autonomistischen Elsässischen Volksunion (EVU) schwer, sich Gehör zu verschaffen. Im Unterelsaß geht die EVU mit André Ohresser an der Spitze mit einem eigenen Wahlvorschlag ins Rennen. Im Nachbar-Departement Haut-Rhin haben die Autonomisten ein Wahlkampfabkommen mit der Bewegung der Unabhängigen Ökologen von Antoine Waechter geschlossen. Der auch über die französischen Grenzen hinweg bekannte Waechter, der im Oberelsaß selbst als Listenführer antritt, hat einige vordere Plätze für autonomistische Politiker (unter ihnen der EVU-Vorsitzende Martin Hell) reserviert. Ob diese Allianz unkonventioneller Parteien, die sich mit großem Nachdruck darum bemühen, nicht unter das gängige Rechts-Links-Schema zu fallen, den Wähler überzeugen kann, ist allerdings mehr als fraglich.


 
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