© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/98 20. Februar 1998

 
 
Tod eines Tories: Enoch Powell bekämpfte zeitlebens den Euro-Staat
Konservativ und Volksnah
von Michael Walker

Am 8. Februar starb Enoch Powell, der umstrittenste und wohl einflußreichste britische Nachkriegspolitiker, im Alter von 85 Jahren friedlich in einem Krankenhaus.

Tony Blair beschrieb ihn als eine der großen Gestalten der Politik des 20. Jahrhunderts. Doch zwischen den Ansichten des Labour-Premiers und denen des Tory-Außenseiters klaffen mehr als nur Meinungs-Verschiedenheiten, wie sie zwischen Politikern des "Middle-of-the-Road"-Establishments bestehen. Die postume Huldigung Powells durch so viele seiner einstigen Gegner ist sowohl ein Zeichen von Respekt als auch von Furcht. Denn wenn es ein Wort gibt, das einem zu diesem Mann spontan in den Sinn kommt, so ist es "unwiderstehlich": Dieser Tory-Einzelgänger war eine unwiderstehliche Persönlichkeit und ein nicht minder unwiderstehlicher Redner. Powells Zuhörer wurden vielleicht oft in Wut gebracht, aber niemals mußten sie sich langweilen.

Enoch Powell wurde als einziges Kind eines Lehrer-Ehepaars in einem Vorort von Birmingham geboren. Seinen "Brum"- (Birmingham-) Akzent hat er ebensowenig verloren wie die Erinnerung an seine Herkunft aus der unteren Mittelklasse. Er war ein brillanter Gelehrter der alten Sprachen und legte in Cambridge ein erstklassiges Examen ab. Das Tory-"Urgestein" sprach und schrieb Walisisch, Deutsch, Französisch, Altgriechisch und Latein, und seine Beherrschung des Englischen war phantastisch. Insgesamt über 30 seiner Bücher wurden veröffentlicht sowie einige Gedichte, und Enoch Powell verfaßte Beiträge für mehrere akademische Zeitschriften einschließlich des Bulletin of the Board of Celtic Studies und der Philologischen Wochenschrift (für die er seine Artikel gleich auf deutsch schrieb).

Zu den scheinbaren Widersprüchlichkeiten eines Mannes, dem einige angesichts seiner flammenden Opposition gegen einen europäischen Superstaat den Spitznamen "Little Englander" gegeben hatten, gehörte es, daß ausgerechnet dieser Anti-Kosmopolit fließend Französisch und Deutsch sprach und ein großer Bewunderer Nietzsches war. Einem Biographen zufolge war Powell regelrecht "vernarrt" in deutsche Kultur, während er zugleich einen strikten Antiamerikanismus vertrat. Nietzsches fundamentaler Gedanke, daß die politische Realität nicht aus der Suche nach Kompromissen besteht, sondern ein Kampf um die Macht ist – in der Tat eine zutiefst unenglische Überzeugung –, hat ihn stark geprägt.

Enoch Powell begann seine Karriere als konservativer Politiker, nachdem er aus den Streitkräften entlassen worden war und realisieren mußte, daß es für ihn keine Zukunft in einer Armee geben konnte, deren hauptsächliche Rolle nach 1945 darin bestand, die alten Dominions des britischen Weltreichs so schnell und reibungslos wie möglich aufzugeben. Im April 1968 überschritt er seinen eigenen politischen Rubikon mit einer berühmt gewordenen Rede in Birmingham, in der er die Einwanderung Farbiger auf die britische Insel heftig kritisierte. Und ziemlich bald, nachdem er ins Parlament eingezogen war, ging das Wort um, daß Enoch "anders ist als die anderen".

Zuvorderst war er nicht bereit, in bezug auf seine Überzeugungen Kompromisse einzugehen. Dies bedeutete beispielsweise, daß er als ein Anhänger der freien Marktwirtschaft vehement gegen jegliche staatliche Subventionen protestierte. Die Linke wies schon damals begierig auf die Heuchelei einer Freihandels-Rechten hin, die die Bauern subventionierte.

Zu einer Zeit, als es noch Mode war, die kommunistische Subversion an allen Ecken und Enden lautstark anzuprangern, gab Powell die erstaunliche Erklärung ab, daß die Gewerkschaften mit ihrem Drängen auf höhere Löhne "so unschuldig wie neugeborene Babies und so rein wie unberührter Schnee" seien. Ein Ministeramt nahm er erstmals 1955 an, als er stellvertretender Wohnungsbau-Minister wurde. Powell bezog klare Standpunkte bei Themen, die ihn seinerzeit in eine prekäre Lage brachten, die heute jedoch mitten ins Rampenlicht der Polit-Bühne gerückt sind: So plädierte er für eine Reform des Homosexuellen-Gesetzes, kritisierte das Rentenversicherungssystem und schlug 1962 vor, die Regierung solle eine Anti-Raucher-Kampagne initiieren.

Anfangs hatte sich Powell zum Thema Einwanderung nur vage geäußert und wurde auch nach den berüchtigten Londoner Rassenunruhen von Notting-Hill 1958 nicht deutlicher. Doch zwei Jahre später begann er damit, die Widersprüche und Unzulänglichkeiten des maßgeblichen Gesetzes von 1948 aufzuzeigen, insbesondere in bezug auf das Widerstreben der Regierung, die Frage zu beantworten, was "Nationalität" eigentlich bedeute. Im wesentlichen war Powells Argument, daß die unabhängig gewordenen Kolonien nicht das Recht hätten, für ihre Bürger die britische Staatsangehörigkeit zu beanspruchen. 1967 schrieb der Tory dann im Daily Telegraph, daß "ganze Gebiete von Wolverhampton durch den Austausch der Einheimischen gegen eine ganz oder vorwiegend farbige Bevölkerung so komplett umgewandelt wurden, wie andere Gegenden durch einen Bulldozer." – Die öffentliche Reaktion war begeistert, die der Politiker aller etablierten Parteien schwankte zwischen Verunsicherung und Horror. Die Reaktion auf diesen Bruch des liberalen Konsenses folgte postwendend: Powell wurde aus dem konservativen Schattenkabinett entfernt. Arbeiter auf dem Smithfield-Fleischmarkt im Londoner Osten riefen spontan zu einem Solidaritätsstreik auf und marschierten nach Westminster, um seine Wiedereinsetzung zu verlangen. Der von Powells Intimfeind Edward Heath erwogene Parteiausschluß war nicht mehr durchzusetzen.

Als eben jener Edward Heath als Premierminister seinen Traum vom Euro-Staat zu verwirklichen begann, konzentrierte Powell sein beachtliches politisches Talent darauf, so hart wie möglich gegenzusteuern. Von der EU sprach er stets nur herablassend als von "dem Markt". Seine Prinzipien des freien Marktes gewannen stetig an Boden, aber er wußte, daß die "Neue Rechte" in der Tory-Partei eine Wahlniederlage benötigte, um Heath ausschalten zu können. Dieser führte entgegen seinen Versprechungen Großbritannien in die Europäische Union, ohne das Volk befragt zu haben.

Powells Reaktion anläßlich der Wahl von 1970 war, daß er als Konservativer einen Werbefeldzug für Labour führte, da die Linke ein Referendum über den gemeinsamen Markt zugesagt hatte. So erreichte der Querdenker, der 1974 zu den Ulster Unionists überwechselte, die Niederlage des Internationalisten Heath und sicherte den Aufstieg Margaret Thatchers.

Ohne Enoch Powell wären die europäischen Staaten heute auf dem Weg zum Euro-Einheitsstaat zweifellos schon ein ganzes Stück weiter. Vieles von dem, woran er glaubte, ist infolge der uferlosen Arroganz heutiger EU-Politiker nur mehr ein Scherbenhaufen. Aber Powell selbst war nicht der Mann, den Kopf hängen zu lassen, und sein Lebenswerk mag nicht wenigen Briten als Wegweiser dienen


 
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