© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/98 20. Februar 1998

 
 
Maastricht - Verlierer ist der Mittelstand
von Bernd-Thomas Ramb

Allen plumpen Werbemaßnahmen von Regierung, EU-Kommission und anderen Interessenvertretern zum Trotz ist und bleibt wissenschaftlich unumstritten, daß der Euro wirtschaftlich schädlich ist. Selbst von glühenden Befürwortern der für 1999 geplanten Europäischen Währungsunion wird kaum noch bestritten, daß der Euro zur definitven Weichwährung degradiert wurde.

Die kommenden höheren Inflationsraten werden vor allem den deutschen Sparern Verluste in einer jährlichen Höhe von einhundert Milliarden D-Mark bescheren. Zu betonen ist, daß der durch die Einführung des Euro verursachte Verlust eine zusätzliche Vermögensvernichtung darstellt. Die ohnehin schon bestehende inflationäre Aufzehrung des Sparvermögens wird also nochmals erhöht.

Dabei stellen die horrenden Euro-Inflationskosten selbst wiederum nur einen Bruchteil der Gesamtkosten der Europäischen Währungsunion dar. So sind noch nicht die reinen Umstellungskosten berücksichtigt, die zwar nur einmal entstehen, in ihrer Gesamtsumme aber immense Beträge erreichen. Sollten die Schätzungen der Experten annähernd stimmen, nach denen die Gesamtkosten der Euro-Einführung allein in Deutschland bis zu 150 Milliarden D-Mark betragen, steht damit fest, daß schon die Umstellungskosten samt ihrer Zinskosten den zu erwartenden Gewinn aus der Währungsunion für einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren neutralisieren.

Fast schwerwiegender ist die Erkenntnis, daß mit der Einführung des Euro und der damit erzwungenen Vollendung des Maastricht-Vertrags gleichzeitig gravierende Deformationen unserer freiheitlichen und sozialen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verbunden sind. Ein erster ordnungszerstörender Faktor ist die Tatsache, daß die europäische Währungsunion für Großbetriebe durchaus vorteilhaft sein kann, während sie für kleinere Unternehmen zu einem existenzbedrohenden Schaden führt. Das läßt sich schon daran demonstrieren, daß die Währungsumstellung je Unternehmen hohe betriebsgrößenunabhängige Fixkosten verursacht. Das heißt, diese Kosten fallen in jedem Unternehmen in gleicher Höhe an, unabhängig ob dieser Betrieb hohe oder niedrige Umsätze, weite oder enge Gewinnspannen vorweisen kann.

Diese einheitliche Kostenbelastung wird dazu führen, daß eine Vielzahl kleinerer Betriebe durch den Kostendruck zur Aufgabe gezwungen wird. Dies erklärt auch, warum Großunternehmen und Großbanken eher für die Einführung des Euro sind als die mittelständischen Betriebe. Die Großbetriebe können auf diese Weise einen Teil der unliebsamen Konkurrenz los werden, die ihnen insbesondere durch die flexiblen mittelständischen Unternehmen mit kostengünstiger Produktion entstanden ist.

Das deutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit basierte nicht zuletzt auf der Tatsache, daß mit der Entscheidung für eine freie soziale Marktwirtschaft auch die Entscheidung für eine Konkurrenzwirtschaft getroffen wurde. Gerade der Wettbewerb zwischen mittelständischen und großen Unternehmen hat dazu geführt, daß flexibel und kostengünstig produziert, monopolistische Preiserhöhungen mit marktwirtschaftlichen Instrumenten in ihre Schranken verwiesen und mit dem Anstieg des Wohlstands auch ein hohes Maß an Beschäftigung erreicht wurde.

Mit der Einführung des Euro und der dadurch hervorgerufenen Konzentrationsprozesse und Firmenaufgaben entfällt dieser Vorteil. Die Folge sind einige wenige monopolistisch agierende Großbetriebe oder kartellmäßig zusammengefaßte Unternehmenskonzerne, die ihre Marktmacht voll ausschöpfen können. Für einige europäische Staaten, wie Frankreich, ist dies weniger ein Problem, weil sie nie so marktwirtschaftlich ausgerichtet waren wie Deutschland – aber auch unter anderem aus diesem Grunde nie den gleichen wirtschaftlichen Erfolg vorweisen konnten.

Der zweite systemdeformierende Aspekt der Europäischen Währungsunion ist der programmierte Einstieg in die europäische Sozialunion. Damit werden die sozialistischen Tendenzen der EU sprunghaft verstärkt. Wir werden damit eine Abkehr von einer stabilitätsorientierten eigenverantwortlichen Wirtschaftspolitik und eine Hinwendung zu einer umverteilungsorientierten staatlichen Beschäftigungspolitik bekommen. Wobei die Bezeichnung Beschäftigungspolitik mit einem Fragezeichen zu versehen ist, da diese Form der "Beschäftigung" überwiegend aus unproduktiven Geschäftstätigkeiten besteht.

Staatliche Beschäftigungsprogramme sind ineffizient und kosten viel Geld, genauer das Einkommen des produktiv arbeitenden Teils der Bevölkerung. Die zusätzliche Aufstockung der Transferleistungen, die über die Europäische Union abgewickelt werden, ist damit zwangsläufig. Mit der hochgelobten Transparenz, die durch die europäische Einheitswährung erzeugt werden soll, geraten nicht nur die Preise der Produkte, sondern auch die Löhne in das Scheinwerferlicht des direkten Vergleichs. Das deutsche Lohnniveau ist vergleichsweise hoch und eine Anpassung der portugiesischen, spanischen oder italienischen Löhne auf diese Höhe wirtschaftlich unmöglich. Selbst eine in der künftigen EU nicht unmögliche europastaatliche Lohnverordnung dürfte in der deutschen Größenklasse schnell an die Grenzen der europäischen Umverteilungsmöglichkeiten stoßen. Im Ausgleich der europäischen Arbeitsmärkte wird daher ein mittleres Lohnniveau die Folge sein. Der deutsche Beschäftigte wird also Lohneinbußen erdulden müssen.

Mit der zunehmenden Organisation der Beschäftigung auf europastaatlicher Ebene wird außerdem ein qualitativer Abstieg der Beschäftigung einhergehen. Wir verfügen in Deutschland auch über ein hohes Niveau der Arbeitssicherung im administrativen Bereich, beispielsweise durch die Verordnung von Arbeitsschutzbestimmungen, von betrieblichen Sozialleistungen und anderen nicht im Lohnzettel ausgewiesenen Zuwendungen. Im Zuge der europäischen Angleichung dürfte das hohe deutsche Niveau kaum zur europäischen Norm umgewandelt werden. Auch dies würde endgültig die Grenzen der Finanzierbarkeit der Beschäftigung sprengen. Europäische "Harmonisierung" wird also auf einem mittleren Niveau stattfinden.

Die insbesondere von Frankreich initiierte Bestrebung, dem Stabilitätspakt zur Europäischen Währungsunion ein Beschäftigungskapitel im Maastricht-Vertrag entgegenzustellen, signalisiert die künftige Umorientierung der zunehmend europäisch dominierten deutschen Wirtschaftspolitik. Nicht die Stabilität des Geldsystems genießt künftig die höhere Priorität, sondern die staatliche Organisation der Beschäftigung. Zwar kann man versuchen, durch geeignete wirtschaftspolitische Maßnahmen sowohl Preisstabilität des Geldwesens zu wahren als auch gleichzeitig die Vollbeschäftigung einer Volkswirtschaft anzustreben. Über die dazu erforderlichen Maßnahmen bestehen jedoch kontroverse Ansichten.

Noch problematischer ist allerdings die Annahme, daß bei der wirtschaftspolitischen Verfolgung der beiden Ziele Preisstabilität und Vollbeschäftigung ein Zielkonflikt vorläge, daß also nur eines der beiden Ziele unter Aufgabe des anderen erreicht werden könnte. Mit dieser Denkweise wurde in Deutschland in den siebziger Jahren bereits in der wirtschaftspolitischen Praxis experimentiert. Nach kurzer Zeit herrschten nicht nur hohe Inflation, sondern auch ein starker Beschäftigungsrückgang. Mehr als fünf Prozent Inflation bei gleichzeitig mehr als fünf Prozent Arbeitslosigkeit waren das Ergebnis, das nicht zuletzt zum Sturz der sozialliberalen Regierung beitragen hat. In Europa und offensichtlich auch in Deutschland scheint man diese Lektion verlernt zu haben. Es ist somit absehbar, daß man in den kommenden Jahren auch auf der europäischen Ebene argumentieren wird: Fünf Prozent Inflation beim Euro sind uns Eurokraten lieber als europaweit fünf Prozent Arbeitslosigkeit. Die Folgen dieser eurostaatlichen Beschäftigungspolitik werden aber die gleichen sein wie zuvor, man wird beide Ziele im negativen Sinne erreichen: Zehn Prozent Euro-Inflation und zehn Prozent Arbeitslosigkeit in der EU.

Die Umorientierung der europäischen Wirtschaftspolitik mit einer Verabschiedung von der stabilitätsorientierten Anti-Inflationspolitik zeigt sich in ersten Ansätzen in den Querelen um die personelle Besetzung der künftigen Europäischen Zentralbank (EZB). Die Bestrebungen Frankreichs, an die Spitze der EZB einen französischen Präsidenten zu setzen – unter anderem im Ausgleich für die Entscheidung, den Sitz der EZB nach Frankfurt zu verlegen – kennzeichnen das französische Mißtrauen in eine möglicherweise zu sehr an dem Verhalten der Bundesbank orientierten EZB-Politik. In die gleiche Richtung zielt auch die Forderung Frankreichs nach der Etablierung eines "Stabilitätsrates", der als wirtschaftspolitische Kontrollinstanz der EZB zur Seite gestellt werden soll.

Die Bezeichnung "Stabilitätsrat" folgt der mittlerweile in der EU üblich gewordenen Methode, Institutionen oder Verfahren genau die gegenteilige Bedeutung zuzuweisen. Wie die ständige Forderung nach "Harmonisierung" im Kern nichts anderes darstellt als die Unterdrückung möglicher Begehren nach individuellen Sonderwegen durch den Zwang zur egalisierenden Gleichmacherei, so soll der Stabilitätsrat im Prinzip dafür sorgen, daß die Europäische Zentralbank ihr Streben nach Geldwertstabilität nicht übertreibt. De facto fungiert der Stabilitätsrat somit als Instabilitätsrat, der Stabilisierungsmaßnahmen der EZB aufweichen soll. Daß der Stabilitätsrat nach den Vorstellungen der Initiatoren keine Entscheidungsbefugnisse erhalten, sondern nur "beratend" tätig werden soll, ist ebenso unglaubwürdig wie bedeutungslos. Allein die Existenz des Stabilitätsrates verleiht ihm Gewicht, und ist er erst einmal instituiert, wird die Kompetenz umso leichter nachzureichen sein.

Die aktuellen Probleme der deutschen Wirtschaft, fehlendes Wachstum und hohe Arbeitslosigkeit, sind nicht durch den fehlenden Euro begründet oder den mangelhaften Fortschritten der Europäischen Union zuzuschreiben. Auch die Anstrengungen der EU-Staaten zur Erfüllung der Konvergenzkriterien zur Teilnahme an der europäischen Währungsunion können nicht zur Erklärung oder Entschuldigung der wirtschaftlichen Talfahrt in Deutschland herangezogen werden. Die eigentlichen Ursachen liegen in dem fehlenden Mut der Wirtschaftsführer und der politischen Lähmung durch die bloße Machtorientierung der Parteien. Die durch die weltwirtschaftliche Entwicklung und die internationale Verflechtung der Volkswirtschaften notwendig gewordene Strukturreform der deutschen Wirtschaft bleibt dadurch aus. In zahlreichen Branchen wie Kohle, Stahl, Schiffbau und Textilindustrie zeigt sich mehr und mehr, daß der Standort Deutschland als Produktionsstätte weltweit nicht mehr konkurrenzfähig ist. Staatliche Subventionen zementieren jedoch diese veralteten Strukturen, Verlustunternehmen dürfen auf Produktions- oder Produktumstellungen und Unternehmensreformen verzichten. Notwendige Neuorientierungen und die Erschließung alternativer Produktions- und Dienstleistungszweige bleiben aus.

Die Behinderung des Strukturwandels erfolgt nicht nur in Form dauerhafter Subventionszahlungen an die veralteten Wirtschaftszweige, sondern auch durch die Unfähigkeit einer allgemeinen staatlichen Deregulierung, insbesondere aber durch die politische Feigheit, die zahlreichen staatlichen Verordnungen und Gesetze, die einer dynamischen Entwicklung der Wirtschaft zunehmend entgegenstehen, konsequent zu durchforsten und auszumisten. Insofern ist ein Systemwandel der deutschen Wirtschaftsordnung schon seit längerer Zeit auf eigenes Verschulden zurückzuführen. Der Euro ist keinesfalls geeignet, neue Arbeitsplätze zu schaffen oder innovative Unternehmen zu fördern. Im Gegenteil werden die systemverändernden Tendenzen des Maastricht-Vertrags zu einer zusätzliche Verkrustung der veralteten Wirtschaftsstrukturen führen.

Der Glaube, eine wirtschaftliche Festung Europa böte Schutz vor den marktwirtschaftlichen Reformzwängen, die sich aus einer globalisierten Wirtschaft ergeben, führt in die Irre. Die Globalisierung läßt sich nicht aufhalten, dagegen sprechen schon die technisch-revolutionären Möglichkeiten einer weltweiten wirtschaftlichen Kooperation. Nur wer sich diesen Herausforderungen offensiv stellt, kann den wohlstandsvermehrenden Nutzen daraus ziehen. Das Deutschland der Nachkriegsjahre ist einer ähnlichen Herausforderung dank seines marktwirtschaftlichen Bekenntnisses hervorragend begegnet. Diese Stärke, die in den letzten Jahren ohnehin stark abgeschwächt wurde, droht durch die zentralverwaltete Wirtschaftsordnung des Maastricht-Vertrags vollends zu schwinden.


 
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