© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/98 20. Februar 1998

 
 
Parteien: Der Berliner Innensenator Schönbohm (CDU) wird wegen einer Buchvorstellung kritisiert
"Unsere Demokratie hält viel aus"
von Thorsten Thaler

Er gilt als geradlinig, ehrgeizig und selbstbewußt. Als sich die Grünen im Januar 1996 bei der Vereidigung von Jörg Schönbohm als neuen Innensenator der Hauptstadt im Berliner Abgeordnetenhaus Stahlhelme aufsetzten, brachte das den ehemaligen Drei-Sterne-General der Bundeswehr nicht aus der Fassung. "Jeder kann sich blamieren, wie er will", bewertete er die Politclownerie kurz darauf in einem Interview mit der taz. "Unsere Demokratie hält viel aus und ich schon lange."

Diese ruhige und besonnene Art hat den 60jährigen Schönbohm bis heute davor bewahrt, sich von den Aufgeregtheiten der Berliner Politik anstecken zu lassen. Zugleich bescherte ihm seine konservative Grundhaltung eine beträchtliche Gefolgschaft unter Berlins Christdemokraten, auf die er sich am kommenden Wochenende bei seiner Kandidatur für einen der sieben Stellvertreterposten von CDU-Landeschef Eberhard Diepgen stützen kann.

Aus konservativer Haltung nie ein Hehl gemacht

Von innerparteilichen Diepgen-Kritikern, die sich im Arbeitskreis "Union 2000" sammeln (siehe Info-Kasten), wird Schönbohm zuweilen schon als Nachfolger des Parteivorsitzenden und Regierenden Bürgermeisters ins Gespräch gebracht – eine Spekulation, die der loyale Innensenator bislang stets zurückgewiesen hat. Er werde nie gegen Diepgen antreten, versicherte Schönbohm erst vor wenigen Tagen erneut. Allerdings sei er zur Kandidatur für das Spitzenamt bereit, falls Diepgen nicht mehr zur Verfügung stehen sollte. "Es ist klar, daß ich dann den Hut in den Ring werfen würde", sagte Schönbohm.

Aus seinem konservativen Naturell hat Jörg Schönbohm nie ein Hehl gemacht. "Wenn es schon als konservativ gilt, sich für Recht und Gesetz – sozusagen der Humus unserer Demokratie – einzusetzen, dann bin ich gern konservativ", erklärte der Innensenator zwei Wochen nach seiner Amtsübernahme in einem Gespräch mit dem Berliner Tagesspiegel fest.

Auch auf anderen Politikfeldern kommt Schönbohms nationales Bewußtsein zum Ausdruck. So schrieb er noch vor Jahresfrist in einem Gastbeitrag für die Berliner Morgenpost zur Ausländerpolitik, jedes Modell einer multikulturellen Gesellschaft vernachlässige den von" den freiwillig Zugewanderten einzufordernden Integrationsbeitrag" und sei geeignet, "Überfremdungsängste" der einheimischen Bevölkerung zu forcieren. Bei aller Respektierung der kulturellen Identität der ausländischen Mitbürger könne es keinen "gleichberechtigten Wettbewerb der Kulturen" in Deutschland geben. Schönbohm: "Es muß klargestellt bleiben, daß die deutsche Lebenswelt und Kultur Vorrang haben." Neue Einflüsse aus anderen Kulturkreisen könnten zwar aufgenommen werden. "Doch die Identität der Bundesrepublik als Nationalstaat der Deutschen darf nicht zur Disposition stehen", so Schönbohm.

Daß der Begriff "Nation" für Schönbohm nicht nur eine leere Worthülse ist, machte er in einer Rede zum Tag der Deutschen Einheit in der Frankfurter Paulskirche deutlich. Mit Blick auf die deutsche Hauptstadt sagte Schönbohm, Berlin müsse "zum Herausbilden und Reifen unserer Nation beitragen". Zuvor müsse die Stadt jedoch mit dem Trauma der Mauer, der Trennung, der Zerstörung und Verwüstung in den Köpfen und auf den Straßen und Plätzen fertig werden. Noch habe Deutschland kein Zentrum. Erst wenn Berlin seine eigene Mitte auch in geistiger Hinsicht wiedergewonnen habe, könne die Stadt dem Prozeß der nationalen Besinnung Halt und Richtung geben.

Plädoyer für eine nationale Erneuerung der Republik

Solche Bekenntnisse stoßen bei den Medien und dem politischen Gegner auf Widerspruch. Seit Wochen suchen einschlägige Medien und die politische Opposition in Berlin den Innensenator zu diskreditieren und in die rechte Ecke zu drängen. Zum Auftakt der Kampagne sendete das Politmagazin "Kontraste" Anfang Februar einen Beitrag unter dem Motto "Rechts macht mobil". Anlaß war eine bereits drei Monate zurückliegende Buchvorstellung, bei der Schönbohm im Deutschen Dom den neuen Sammelband "Für eine Berliner Republik" der beiden rechtsintellektuellen Publizisten Heimo Schwilk und Ulrich Schacht einer illustren Gästeschar präsentiert hatte. Anwesend waren neben anderen der Standortkommandant der Bundeswehr in Berlin, General Helmut Speidel, der Berliner Historiker Ernst Nolte, Ex-Bauminister Oscar Schneider, der langjährige Schulungs- und Bildungsreferent beim Bonner SPD-Parteivorstand, Tilman Fichter, sowie der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und Ex-Fraktionschef von Bündnis 90 im Potsdamer Landtag, Günter Nooke.

In ihrem Buch plädieren Schwilk und Schacht für eine von Berlin ausgehende nationale Wiederbelebung einer souveränen, selbstbewußten, freiheitlich verfaßten Republik und "die Wiedereinsetzung des antitotalitären Geistes der Verfassung von 1949". Sie sprechen sich gegen die Einführung des Euro aus und für eine Entpolitiserung der Justiz, fordern ein Aufbrechen zementierter Tabus, wie sie im Windkanal der 68er Generation errichtet worden sind, und mahnen die Überwindung jenes Tugendterrors pädagogisierender Moral- und Meinungshüter an, die das öffentliche Klima hierzulande prägen.

Schönbohm habe eine "Laudatio für die rechten Schreiber" (taz) gehalten, echauffierten sich seine Kritiker. Die Fraktionssprecherin der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, Renate Künast, warf dem Innensenator vor, er bewege sich in einer "ideologischen Grauzone" zwischen Konservativen und Vertretern einer als "Neue Rechte" etikettierten Strömung. Und für den Sprecher der SPD-Fraktion, Peter Stadtmüller, war Schönbohm "außerordentlich schlecht beraten", als er mit seinem Auftritt während der Buchvorstellung die Autoren Schwilk und Schacht hofiert habe.

Dem Berliner PDS-Abgeordneten und Ex-Hausbesetzer Frederik Over ("Ich mag dieses System überhaupt nicht") blieb es schließlich vorbehalten, die Denunziation ins Parlament zu tragen. Wie der Regierende Bürgermeister den Auftritt Schönbohms bewerte, wollte Over in der Fragestunde des Abgeordnetenhauses von Diepgen wissen. "Ich gehe davon aus, daß sich der Innensenator genau angesehen hat, was für ein Buch er vorstellt", antwortete der Regierungschef. Trotzdem attestierte der PDS-Abgeordnete dem Innensenator "fehlende Distanz zu Rechten".

Schönbohm reagiert auf die Vorwürfe gelassen

Daß ausgerechnet Over jetzt so auf den Putz haut, entbehrt nicht einer gewissen pikanten Note, hatte er doch im Februar 1996 eben diesem "Rechten" Heimo Schwilk für die Welt am Sonntag ein Interview gegeben. Darin erklärte der PDS-Abgeordnete mit Blick auf den Verfassungsschutz, er sei "dagegen, daß die Neue Rechte beobachtet wird". Man könne den Verfassungsschutz nicht demokratisieren. Das sei "Unfug, weil ein Geheimdienst immer undemokratisch ist", sagte Over.

Innensenator Schönbohm begegnet den Vorwürfen gelassen. Er sei zwar beileibe nicht in allen Fragen einer Meinung mit dem Autoren-Duo Schwilk/Schacht. Einen Grund zur Distanzierung sieht er dennoch nicht. "Sie (die Autoren) wollen Diskussionen erzwingen, und Diskussion erzwingt man nur durch griffige, vielleicht auch etwas plakative Formulierungen", sagte Schönbohm bei der Buchvorstellung.

Seinem Ansehen in der Berliner Bevölkerung hat Schönbohms konservativ-freiheitliches Politikverständnis nicht geschadet. Im Gegenteil. Wie das Meinungsforschungsinstitut Forsa für sein monatliches "Berlin-Barometer" im Januar ermittelte, ist Schönbohm der einzige CDU-Politiker außer Diepgen, der noch eine positive Note erhält. Ein gutes Ergebnis bei der Wahl zum Vizechef der Partei am kommenden Sonnabend wird dem Hoffnungsträger der Unionsrechten weiter den Rücken stärken.


 
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