© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/98 27. Februar 1998

 
 
Parteien I: Berliner CDU-Chef Diepgen von Gegnern umzingelt
"Ein passables Ergebnis"
von Thorsten Thaler

Ich bin mal gespannt, wie viele mutige Leute es gibt, die mit Nein stimmen", brachte eine Delegierte die Stimmung auf dem Landesparteitag der Berliner CDU am vergangenen Sonnabend auf den Punkt. Kurz darauf stand das Ergebnis des mit Spannung erwarteten Wahlgangs zum Landesvorsitzenden fest. Mit nur 231 von 379 abgegebenen Stimmen erzielte Eberhard Diepgen das schlechteste Ergebnis seiner 14jährigen Amtszeit. 138 Delegierte hatten den "Mut" aufgebracht, mit Nein zu stimmen, neun weitere enthielten sich. Diepgen nahm sein Wahlergebnis als "Herausforderung zur richtigen innerparteilichen Klärung" an.

"Ein ganz passables Ergebnis" habe Diepgen erhalten, spottete Uwe Lehmann-Brauns, Kreisvorsitzender in dem mit rund 2.400 Mitgliedern stärksten Berliner Bezirk Zehlendorf und seit mehr als 20 Jahren Diepgens Intimfeind. Lehmann-Brauns gehört zu den Wortführern von "Union 2000", einer Gruppe von innerparteilichen Diepgen-Kritikern, die dem CDU-Vorsitzenden seit Monaten das Leben schwer machen (die JF 9/98 berichtete).

Die schleichende Demontage des Parteivorsitzenden zeigte sich an diesem Samstag schon bei der Rede von Innensenator Jörg Schönbohm. Der 60jährige ehemalige Drei-Sterne-General der Bundeswehr wird in der Berliner CDU mittlerweile offen als Nachfolger Diepgens gehandelt. Trotz seiner rhetorisch eher zurückhaltend vorgetragenen Rede zollten ihm die Delegierten demonstrativ minutenlangen, rhythmischen Beifall. Unterdessen saßen Diepgen und sein Weggefährte aus gemeinsamen Studientagen, CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky, mit versteinerten Mienen auf dem Podium.

Schönbohm empfahl seiner Partei, sich stärker mit den gesellschaftlichen Realitäten auseinanderzusetzen. Wirklichkeit sei keine Ideologie und kein Dogma, sie sei nicht links und nicht rechts. Den Vorstellungen selbsternannter Tugendwächter widerspreche es, die Wirklichkeit unverfälscht aufzunehmen und zu analysieren. Sie blendeten Sachverhalte aus, die von Interessengruppen tabuisiert würden. "Die Wirklichkeit ist aber eine Sense für manche Ideale", sagte Schönbohm. Nach Auffassung dieser Tugendwächter erscheine es politisch unkorrekt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, "ob wir uns zum Beispiel einen ungehinderten Zuzug von Ausländern leisten können". Unangemessen, so Schönbohm weiter, erscheine auch die Frage, ob die Integration der stark angewachsenden Zahl von Ausländern heute noch genauso gut gelingen könne wie vor zwanzig, dreißig Jahren. "Und schon gar nicht sollte gesagt werden, daß es unter den Arbeitslosen Schwarzarbeiter gibt und daß nicht nur die wirklich betroffenen, sondern auch die Windigen und Cleveren staatlich unterstützt werden". Es drohe Beifall von der falschen Seite, erklärte Schönbohm, "also schweigt man". Dies gelte auch für Fragen der Inneren Sicherheit, etwa bei der Kriminalitätsbekämpfung.

Eine Volkspartei müsse sich den Themen stellen, "die uns die Wirklichkeit auferlegt und Fragen beantworten, die der Bürger stellt", sagte der Innensenator. "Wenn wir in diesem Sinne nicht mit der Zeit gehen, müssen wir nach einiger Zeit gehen", rief er unter dem Beifall seiner Anhänger aus.

Bei der Wahl der sieben Stellvertreter von Parteichef Diepgen erzielte Schönbohm mit 287 Ja-Stimmen – 72 Delegierte votierten gegen ihn, zehn enthielten sich – das zweitbeste Ergebnis nach Rupert Scholz. Der Vize-Vorsitzende der Bonner CDU/CSU-Fraktion kam auf 332 von 384 abgegebenen Stimmen. 59 Delegierte votierten gegen Scholz. Ebenfalls in den Vorstand gewählt wurden die Abgeordnete Ursula Birghan, der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Joachim Zeller, der Zehlendorfer Stadtrat Stefan Schlede, der Bundestagsabgeordnete Diethard Schütze und Verkehrsstaatsekretär Ingo Schmitt. Mit Ausnahme von Zeller zählen alle zum "Union 2000"-Kreis.


 
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