© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/98 27. Februar 1998

 
 
Meinungsfreiheit. Disziplinarverfahren gegen Beamten eingestellt
Gewollte Diskreditierung
von Sven Fuchs

Die Veröffentlichung von Beiträgen in der konservativen Vierteljahreszeitschrift Criticón und in der jungen freiheit stellt kein Dienstvergehen im Sinne des Beamtenrechts dar. So lautet die Feststellung eines zum Bundesministerium der Justiz abgeordneten Verwaltungsrichters.

Dieser Richter war in einem disziplinarrechtlichen Vorermittlungsverfahren gegen den in einer anderen Bundesbehörde tätigen Regierungsdirektor Josef Schüßlburner, der gelegentlich Beiträge auch für diese Zeitung veröffentlicht hat, zum Vorermittlungsführer bestellt worden. Dieses Vorermittlungsverfahren ging formal auf eine Mitteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz an das Bundesinnenministerium zurück, welches an die Dienststelle von Regierungsdirektor Schüßlburner weitergereicht wurde. Seinen tatsächlichen Ausgangspunkt dürfte das Verfahren jedoch beim nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz in Düsseldorf genommen haben.

Verfassungsschutz stützt sich auf eine Rezension

In der Mitteilung des Bundesamtes wurde die JF als Organ bezeichnet, welches zu einer bedenklichen "Erosion der Abgrenzung zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus" beitrüge, indem es auch "Rechtsextremisten" ein Forum biete und damit der Verbreitung und Legitimierung verfassungsfeindlicher Positionen Vorschub leiste. Das Bundesamt wies daraufhin hin, daß die JF seit 1994 "Beobachtungsobjekt" der Verfassungsschutzbehörde Nordrhein-Westfalen sei.

Dem Regeirungsdirektor machte das Bundesinnenministerium dabei auch Auffassungen zum Vorwurf, welche Anhaltspunkte für die Unterstützung rechtsextremistischer Bestrebungen böten, wie etwa seine Kritik an der Neufassung des Volksverhetzungsparagraphen. Dabei stützte sich das Bundesamt auf eine Rezension seines Artikels, die nach Ansicht Schüßlburners seine Auffassung etwas verkürzt wiedergibt. Neben Beiträgen für andere, in Verfassungsschutzberichten genannten Magazinen, verwies das Bundesamt auf mehrere 1995 und 1996 in der JF veröffentlichte Artikel: "Democracy und Pazifischer Krieg" vom 28. Juli 1995; "Doktrin der Manifest Destiny" vom 12. Januar 1996; "Mecklenburg und die deutsche Verfassungsentwicklung" vom 25. August 1995.

Worin bei diesen Artikeln eine "rechtsextreme Einstellung" liegen soll, ist kaum nachvollziehbar. Legt man die Kriterien zugrunde, die sich aufgrund von privaten, aber mit Angabe der Dienststelle erfolgten Ausführungen des wissenschaftlichen Mitarbeiters der Innenminister Kanther unterstehenden Beobachtungsbehörde, Armin Pfahl-Traughber, über den sogenannten Rechtsextremismus erschließen lassen, dann scheint eine kritisch-verurteilende Darstellung etwa des amerikanischen Rassismus, wie sie in den beiden erst genannten Beiträgen erfolgt ist, von antiwestlicher Einstellung zu zeugen, welche wiederum gegen die Menschenrechte gerichtet sein soll. Beim Aufsatz über Mecklenburg hat möglicherweise, neben einer zu positiv beurteilten Einschätzung der Bismarckschen Reichsverfassung und einen Hinweis auf das in Artikel 28 Grundgesetz enthaltene Prinzip der demokratischen Verfassungshomogenität, eine beiläufige Kritik an dem Theoretiker der 68er, Jürgen Habermas, wegen dessen Ablehnung des demokratischen Selbstbestimmungsrechts der Völker eine Rolle gespielt. Pfahl-Traughber sieht bei seinen Lieblingen, der "Neuen Rechten" ja in der Tat eine verfassungsfeindliche "Überbetonung" dieses Völkerrechtsprinzips. Deshalb ist es insgesamt wahrscheinlich, daß Schüßlburner eine skeptische Einstellung gegenüber der Ideologie des Multikulturalismus als verfassungsfeindlich vorgeworfen werden sollte, da Multikulturalismus von den Verfassungsschützern als höhere Form des Pluralismus angesehen wird. Demgegenüber hat der Regierungsdirektor in mehreren Aufsätzen dargelegt, daß die demokratischen Strukturen in Vielvölkerstaaten etwa durch von Volksgruppenparteien eher gegen den politisch-weltanschaulichen Pluralismus wirken und bei diesem Gesellschaftstypus das demokratische Mehrheitsprinzip zur multikulturellen Konfliktlösung erheblich relativiert werden muß.

Die Aufwertung des Multikulturalismus zu einem bundesdeutschen, unter Umständen disziplinarrechtlich zu würdigenden Verfassungswert erscheint deshalb eigenartig, da einerseits Innenminister Kanther seinen Wählern erklärt, daß die Bundesrepublik kein Einwanderungsland sei. Andererseits läßt er durch seine nachgeordnete Behörde im parteitaktischen Interesse Personen als "Verfassungsfeinde" kennzeichnen, die durchaus seiner Ansicht sind, und diese durch Veröffentlichungen in "falschen" Zeitschriften untermauern.

Armin Pfahl-Traughber scheint nach der von Schüßlburner geäußerten Vermutung deshalb eine Rolle gespielt zu haben, weil dieser in seinen sogenannten privaten Äußerungen schon des längeren auch die Zeitschrift Criticón im Visier hat. Tatsächlich wurde Schüßlburner auch ein Beitrag für diese konservative Vierteljahreszeitschrift über die politische Mentalität der Deutschen als den "Rechtsextremismus" fördernd zum Vorwurf gemacht.

In dem Schreiben der Abteilung Rechtsextremismus des Bundesamtes für Verfassungsschutz wurde Criticón mit der JF in eine Reihe gestellt und ebenfalls als Zeitschrift genannt, "die derzeit auf tatsächliche Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen geprüft" werde. Deshalb dürfte die Vermutung von Schüßlburner plausibel sein, daß letztlich eine von Pfahl-Traughber gewollte Diskreditierung der konservativen Zeitschrift Criticón durch ein Verfahren gegen ihn beabsichtigt gewesen sei.

Schüßlburners Dienststelle schien von einer inhaltlichen Auseinandersetzung weitgehend absehen zu wollen. Sie legte dem Beamten lediglich nahe, nicht mehr in als "rechtsextrem" eingestuften Zeitschriften zu veröffentlichen. Der Beamte ging auf diesen unter der Drohung des Vorermittlungsverfahren stehenden "Wunsch" seiner Dienststelle, den er als Verletzung des verfassungsrechtlichen Verbots der Vorzensur ansah, insofern ein, als er zusagte, Veröffentlichungen in bestimmten Magazinen vermeiden zu wollen, um es den Feinden des politischen Pluralismus nicht zu leicht zu machen, durch geheimdienstliche Konstruktion einer "Vernetzung" als Beleg einer "Brücke" zu dienen, mit der dann weitere Zeitschriften obrigkeitsstaatlich diskreditiert werden könnten. Da Schüßlburner sich aufgrund des seiner Ansicht nach äußerst beschränkten Pluralismus der Bundesrepublik jedoch vorbehalten wollte, unter Umständen doch auf geheimdienstlich observierte Zeitschriften auszuweichen, ordnete seine Dienststelle ein disziplinarrechtliches Vorermittlungsverfahren an. Konkret wurde ihm zum Vorwurf gemacht, daß Dritte Veröffentlichungen in "rechtsextremen" Zeitschriften als Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen ansehen könnten.

Der zum Vorermittlungsführer bestellte Verwaltungsrichter hielt die Ausführung des Bundesamtes, wonach Zeitschriften wie JF und Criticón "zur Erorsion der Abgrenzung zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus beitragen", für eine Frage der politischen, nicht aber der (disziplinar-)rechtlichen Wertung.

Hinsichtlich anderer Periodika folgte der Vorermittlungsführer im wesentlichen der Argumentation Schüßlburners. Hervorzuheben ist dabei vor allem, daß der Verwaltungsrichter im Ergebnis dem Erst-recht-Schluß des Beamten folgte, welcher aus der Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes über den sogenannten Radikalenerlaß schloß, daß erst recht kein quasi-organisatorischer Vorwurf allein aus der Tatsache der Veröffentlichung in einem bestimmten Periodikum gemacht werden könne, wenn sich schon eine dienstrechtliche Sanktion wegen aktiver Mitgliedschaft in einer als "verfassungsfeindlich" angesehenen Partei als Menschenrechtsverstoß darstellt.

Auf der Grundlage dieser Bewertung konnte es der Ermittlungsführer vermeiden, sich mit den weiteren Gesichtspunkten des Beamten auseinandersetzen zu müssen: daß der Begriff des "Extremismus", mag er auch politologisch seine legitime Bedeutung haben, insbesondere aber der des "Rechtsextremismus" als ideologische Kategorie im Rechtsstaat rechtlich irrelevant sei, zumal derartige Bewertungen ohne Anhörung von Betroffenen vorgenommen würden und somit keine Bindungswirkung entfalten könnten, weil die amtliche Bekanntgabe derartiger Bewertungen bei Annahme einer rechtlichen Wirkung gegen das Prinzip der Menschenwürde nach der Objektformel des Bundesverfassungsgerichts verstoßen könnte. Damit mußte auch die Frage dahingestellt bleiben, ob die Einschätzungen des Verfassungsschutzes wirklich vertretbar sind und ob es zu seinen verfassungsmäßigen Aufgaben gehört, allgemein zugängliche Zeitschriften zu beobachten. Schüßlburners Dienststelle zog aus dem Ergebnis der Vorermittlungen die Konsequenzen und stellte das Verfahren ein.


 
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