© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/98 27. Februar 1998

 
 
Niedersachsen-Wahl ‚98: Elchtest für SPD-Kanzlerkandidaten
Die Katze im Sack
von Volker König/Thorsten Thaler

Am Sonntag wählt Niedersachsen seinen Landtag. Landespolitik fand in dem zurückliegenden Wahlkampf allerdings kaum statt. Da hinten in der Heide, wo früher Kundgebungen traditionell mit jenem Lied beendet wurden, dessen Refrain den Zusammenhalt "von der Weser bis zur Elbe" beschwört, beherrschte in den letzten Wochen die Frage nach ganz anderen Strömen die Debatte. Wieviele Wählerstimmen werden Gerhard Schröder (53) zufließen? Wie hoch wird die Woge des Erfolges sein, die ihn neuerlich in den Landtag, das Leineschloß, als Ministerpräsident schwemmen wird? Und wann kommt der Tag, an dem ihn nichts mehr an der Leine hält und es ihn nach Bonn an den alten Vater Rhein drängt?

Nach den Umfragen ist die Wahl für Schröder gelaufen

Bundesweit steht Schröder inzwischen fast gleichauf mit dem CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble an der Spitze der Beliebtheitsskala. Vertraut man den Meinungsumfragen für Niedersachsen, ist die Wahl für den eloquenten Hansdampf in allen Mediengassen gelaufen. Daran dürften auch die besten Wahlhelfer nichts mehr ändern, die der irgendwo bei 35 Prozent dümpelnde CDU-Spitzenkandidat Christian Wulff (38) hatte – jene Parteilinken innerhalb der SPD, die kurz vor der Wahl noch eine interne Kanzlerkandidatendebatte lostreten mußten. Im Lande aber wiegt mehr, daß Gerhard Schröder kurz vor der Wahl medienwirksam die Rettung der Preussag-Stahl in Szene gesetzt, also einige tausend niedersächsische Arbeitsplätze gerettet hat.

Außerdem schimpfte der Ex-Juso-Revoluzzer und heutige Landesvater auf Wahlversammlungen zuweilen ganz unstandesgemäß und burschikos über Lehrer als "faule Säcke" oder über illegale Asylanten, die sofort des Landes verwiesen werden müßten. Da kam Beifall auf, der vielleicht von der ideologisch falschen Seite stammt, aber gern gehört wird, wenn er das Stimmkreuzchen an der richtigen Stelle erbringt.

Ob es nun 45 oder 46 Prozent für die Sozialdemokraten werden (gegenüber 44,3 Prozent vor vier Jahren), ist eine zweitrangige Frage; spannender ist, ob die Zahlen bereits zur absoluten Mehrheit der Landtagssitze reichen oder ob es des grünen Koalitionspartners bedarf. Auf der Abschlußveranstaltung der Grünen waren allerdings wenig freundliche Töne in Richtung SPD zu hören. Unter der Ägide Schröders sei "der Blut- und Bodendunst der Stammtische " zurückgekehrt, murrte die grüne Spitzenkandidatin Rebecca Harms. Und der aus Hessen eingeflogene Gastredner Joschka Fischer ergänzte, Schröder würde mit der Forderung "kriminelle Ausländer raus" Schiffbruch erleiden: "Wenn die SPD glaubt, in rechten Wählerrevieren wildern zu können, kriegt sie eins auf die Nase."

Die Entscheidung über die absolute SPD-Mehrheit liegt in erster Linie bei der FDP. Bleiben die Liberalen unter der Fünf-Prozent-Hürde – was ihnen alle Umfragen prognostizieren –, dürfte einer neuerlichen SPD-Alleinregierung nichts mehr im Wege stehen. Bei der letzten Wahl vor vier Jahren verpaßte die FDP mit 4,4 Prozent den Einzug in den Landtag.

In diesem Fall aber stellt sich für die SPD die Kanzlerfrage. Sollte diese zugunsten Schröders ausgehen, sähen sich die niedersächsischen Wähler mit dem Umstand konfrontiert, einen Ministerpräsidenten im Amt bestätigt zu haben, der eben dieses Amtes bedurfte, um es schnellstmöglich wieder loszuwerden. Die allenthalben im Raum stehende, aber peinlich umgangene Nachfolgerfrage im Lande des Sachsenrosses ist eines der heikelsten Kapital des Wahlkampfes gewesen.

Hinter vorgehaltener Hand sind sich alle einig, daß der Name des Kronprinzen Gerhard Glogowski sein wird. Der 65jährige gehört dem Kabinett als Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident bereits seit Juni 1990 an. Trotzdem hat "Gerhard II." aber ein Handikap: Er ist relativ unbekannt, und wer ihn kennt, assoziiert seinen Namen mit den "Chaostagen" von 1994 und 1995 in Hannover. Damals hatten aus dem ganzen Bundesgebiet angereiste Punks und Autonome die Stadt unter den Augen der dank ministerlicher Anweisung untätigen Polizei in einen Trümmerhaufen verwandelt. Ist Glogowski also Katze im Sack, auf den Schröder seine "law and order"-Parolen gepinselt hat?

Bei konstant drei Prozent werden die Republikaner in allen Umfragen gehandelt. Immerhin verzichten die Meinungsforschungsinstitute nicht auf die regelmäßige Nachfrage nach etwaigen Rechtstendenzen der Wähler. Auch wenn die Republikaner nicht die große Unbekannte am Wahlabend in Hannover sein dürften – für eine Überraschung könnten sie allemal taugen, bedenkt man die erhebliche Unzufriedenheit und die bislang große Zahl der Unentschlossenen. Und irgendwo müssen sich auch die sechs bis neun Prozent "Sonstigen" einordnen lassen.

Rechtsaußen-Verleger Frey ruft zur Wahl der SPD auf

Als "Prominenter ohne Maske" hat sich kurz vor dem Wahltermin der Münchner Millionär und Herausgeber der National-Zeitung, Gerhard Frey, zu erkennen gegeben. In einem in hoher Auflage verbreiteten Rundbrief (siehe Dokumentation) der von ihm dirigierten Deutschen Volksunion (DVU) rief er die niedersächsischen Wähler auf, ihre Stimme der SPD zu geben und den Republikanern eine Absage zu erteilen. "Da muß man sich schon fragen, in wessen Auftrag Frey handelt", reagierte Gerhard Tempel, niedersächsisches Mitglied im Bundesvorstand der Republikaner, gegenüber dieser Zeitung auf den Vorstoß des DVU-Chefs.

Der Hintergrund ist offensichtlich: Der selbsternannte "Patriot" Frey kann es offenbar nicht verwinden, daß die Republikaner unter Rolf Schlierer einen nationalkonservativen Kurs eingeschlagen haben und nichts von der von Frey und einigen ehemaligen Republikanern propagierten Sammlung halten, die gemäßigte und extremistische Rechte unter einen Hut bringen soll. "Wir suchen die Akzeptanz im Bürgertum und nicht eine Öffnung zur äußersten Rechten", bestätigte Gerhard Tempel auf Nachfrage der jungen freiheit den Kurs seiner Partei.

Vorbereitungen auf die Bundestagswahl im Herbst

Während Gerhard Schröder sich für einen derart zweifelhaften Wahlhelfer bedanken darf, konnte die Deutsche Partei (DP) sich nicht über Beifall aus der falschen Ecke beklagen. Nachdem Niedersachsens alte Traditionspartei zuerst durch Gastredner von Bayernpartei und Unabhängigen Ökologen Unterstützung aus dem föderalistischen Spektrum bekam, wurde sie nun durch die offene Parteinahme des Generalsekretärs des Bund Freier Bürger (BFB), Heiner Kappel, aufgewertet.

Der ehemalige FDP-Politiker und jetzige fraktionslose hessische Landtagsabgeordnete sprach auf der Abschlußkundgebung der DP am vorigen Wochenende in der hannoverschen Stadthalle. Dort beschwor Kappel die Notwendigkeit einer demokratischen, bürgerlich-patriotischen "Offensive für Deutschland" – eine Devise, die auch auf den Plakaten der DP prangt.

Zurückhaltend äußerte sich der DP-Bundesvorsitzende Johannes von Campenhausen gegenüber der jungen freiheit. Bei "nüchterner Einschätzung" der Wahlaussichten werde sich die Deutsche Partei wohl mit "einigen Prozentpunkten zufrieden geben müssen". Als Ziel strebe er einen "Achtungserfolg von 2 plus X-Prozent" an, sagte Campenhausen. Der DP-Chef richtet seinen Blick lieber auf die Bundestagswahl am 27. September.

Wie Johannes von Campenhausen gegenüber dieser Zeitung bestätigte, habe der Bundesvorstand der Deutschen Partei bereits Anfang Februar beschlossen, auf eine eigene Kandidatur zu verzichten und stattdessen ein gemeinsames Vorgehen mit dem Bund Freier Bürger verabredet. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem BFB-Generalsekretär Heiner Kappel am vergangenen Freitag in Fulda sagte er, es sei vereinbart, die deutsche Partei bei den Listenaufstellungen "angemessen zu berücksichtigen".


 
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