© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   12/98 13. März 1998

 
 
Festhalten am Irak-Embargo: Nibelungentreue in Bonn und Schadenfreude in Paris
Zittern vor dem Großen Bruder
von Rudolf Hilf

Am Ende der verdienstvollen Mission des UNO-Generalsekretärs Kofi Annan in der Irak-Krise standen eine Vereinbarung mit Bagdad und eine Entschließung der Völkergemeinschaft: In ihr haben die Amerikaner und die vorgeschobenen Briten die "schwersten Konsequenzen" – also Krieg – für den Fall angedroht, daß das arabische Land nicht alle Resolutionen der Vereinten Nationen erfülle. Gleichzeitig betonten Frankreich, Rußland, die Volksrepublik China und zuletzt auch Kofi Annan selbst, daß diese Formel keinen "Angriffsautomatismus" bedeute, wie es Clinton, Albright und der US-Kongreß gedeutet wissen wollen.

Es scheint, als wolle Washington diesen Krieg unbedingt doch noch haben. Die Rechtfertigung wird schon seit einem halben Jahr aufgebaut, indem man Saddam Hussein zu einer "Weltgefahr" hochstilisiert, der mit geheimgehaltenen Massenvernichtungswaffen nicht nur die gesamte Region, sondern angeblich gleich die ganze Menschheit bedroht. Doch nicht nur fühlt sich die gesamte arabische Region keinesfalls vom Irak bedroht und lehnt einen amerikanischen Militärschlag ab, auch Israel, das zunächst in die ganze Hysterie eingestimmt hatte, gibt zu, daß es nicht mit einem irakischen Angriff rechnet. Ein solcher wäre ja auch völlig absurd, denn im Gegensatz zum Irak, bei dem das noch nicht feststeht, verfügt Israel wirklich über die ganze Skala der Massenvernichtungsmittel.

Warum also Krieg? Der frühere stellvertretende US-Außenminister Robert Pelletreau legte im April vergangenen Jahres bei einem internationalen Symposium in Nikosia über diese Frage die Gründe bloß: "Die Basis der US-Politik gegenüber dem Irak ist die Annahme, daß die Regierung in Bagdad nicht das Ziel aufgegeben hat, die dominierende Macht am Golf zu sein, und daß ohne (militärische) Strafaktionen sich das nicht verhindern ließe." Madelaine Al-bright fügte hinzu, daß die "multilateralen Sanktionen bleiben, solange Saddam Hussein an der Macht ist."

Darum also geht es und nicht um eventuell gar nicht vorhandene B- und C-Waffen. Ein zweiter Grund sind die Ölpreise. Die Sanktionen haben zu den stabilen und hohen Preisen seit 1996 beigetragen und den Öl-Markt im amerikanischen Interesse manipuliert. Diese hohen Preise, die auch Europa bezahlen muß, haben u. a. den Kauf großer Mengen amerikanischer Rüstungsgüter durch andere Golfstaaten und damit die Unterstützung der US-Rüstungsindustrie zur Folge, die durch das Ende des Kalten Krieges in erhebliche Schwierigkeiten gekommen ist. Demokratisch verkaufen lassen sich diese Gründe nicht, ergo braucht man das Gespenst der Massenvernichtungswaffen.

Daß ein ganzes Volk durch die bisher sieben Jahre währenden Sanktionen ins vorindustrielle Zeitalter zurückgeworfen wird, was vor allem zum Tod der Schwachen, der Kinder und Alten führt, kümmert die für diese Politik Verantwortlichen offenbar nicht. Gewiß, Saddam Hussein hat große Fehler begangen und sein größter war der Krieg gegen den Iran, der acht Jahre dauerte und in dem u. a. vom Westen geliefertes Giftgas eingesetzt wurde (auch einmal gegen die kurdische Bevölkerung im Land). Dieser Kampf war vom gesamten Westen, besonders von den US-Amerikanern, nicht nur sehr gerne gesehen, sondern aktiv gefördert worden. Das erhoffte Ziel – und Kissinger hat das einmal offen ausgesprochen – wäre es aus der Sicht Washingtons gewesen, daß die Iraner und Iraker einander total geschwächt hätten. Doch auch wenn es keinen wirklichen Sieger gab, die Iraker kamen etwas besser aus diesem Krieg heraus als die Iraner, und vor allem verfügten sie an seinem Ende über eine kriegsgeübte und mit modernen westlichen Waffen versorgte Armee.

Was tun, sprachen die amerikanischen Politiker und ergriffen nur allzu gern die Chance, die sich in Kuwait bot. Die dortige Militär-Aggression war zweifellos der zweite große Fehler der irakischen Führung. Anlaß war der Teil eines Ölfeldes an der Grenze beider Länder, den Bagdad als eine "Entschädigung" für die irakischen Verluste von Hunderttausenden von Toten in einem Krieg beanspruchte, der nicht nur aus purer Eroberungslust geführt worden war, sondern auch darum, die arabischen Ölstaaten am Golf vor Khomeini und seiner Revolution zu schützen. Durch die Vermittlung der Saudis stand die Einigung mit Kuwait bereits kurz vor dem Abschluß, als das Scheichtum seine Zusage – auf wessen Wunsch wohl? – plötzlich zurückzog und der getäuschte Hussein den Marschbefehl erteilte. Die Rolle der persönlich an dieser Täuschung sicher unschuldigen amerikanischen Botschafterin in Bagdad, Glaspie, führte sogar zu einer Kongreßuntersuchung. Aber dann kamen der "Wüstensturm", der nichts löste, und sieben Jahre Sanktionen, die außer der totalen Verarmung des irakischen Volkes gleichfalls nichts bewirkten.

Wer all dies nur dem irakischen Präsidenten anlastet, vergißt, daß in diesen sieben Jahren die Amerikaner gegen die Aufhebung der Sanktionen immer neue Einwände erfanden und Bagdad nie eine Chance bekam, das "Licht am Ende des Tunnels" zu erblicken. Hätten die Iraker es sehen können, wären alle gegenwärtigen Probleme wahrscheinlich schon lange gelöst. Statt dessen gibt es jetzt folgende Alternativen: Entweder die Vereinigten Staaten lassen sich von den mehrtägigen oder gar mehrwöchigen Bombardierungen ("Wüstendonner") nicht abhalten, dann würden alle Araber erstmals nach Jahrhunderten zu einer haßerfüllten Nation zusammenwachsen, gleich, was ihre Regierungen täten. Der Einfluß Rußlands in der Region würde gewaltig wachsen, während im Irak das völlige Chaos hereinbräche und der palästinensisch-israelische Friedensprozeß endgültig begraben werden müßte. Oder man gibt Saddam Hussein die Chance, nach Erfüllung der UN-Resolutionen das Ende der Sanktionen absehen zu können. Letzteres ist es, was Kofi Annan will, und es ist auch jene Lösung, die die Regierungen Frankreichs, Chinas und Rußlands sowie die Mehrheit der UN-Mitglieder anstreben und die auch Deutschland wollen sollte.

Aus deutscher Sicht sei nicht zuletzt daran erinnert, was eine irakische Delegation in Bonn am 16. Februar 1993 für den Fall einer Aufhebung der Sanktionen angeboten hatte:

a) die langfristige und unkündbare Versorgung der deutschen Wirtschaft mit Erdöl zu Sonderpreisen,

b) die vorzugsweise Erschließung neuer Ölfelder durch gemeinsame Investitionen (der Irak besitzt die zweitgrößten Erdölreserven der Welt),

c) eine Priorität Deutschlands bei der Rückzahlung der irakischen Schulden nach dem Embargo-Ende,

d) eine Bevorzugung der deutschen Wirtschaft bei der Lieferung von Entwicklungsgütern aller Art zum Wiederaufbau des Landes.

In Bonn ist man vor lauter Zittern vor einer möglichen Verärgerung des Großen Bruders in Washington mit keinem Wort auf dieses Angebot eingegangen. Nicht einmal der Besuch einer Bundestagsgruppe kam zustande. Dafür haben Kanzler und Außenminister im vorauseilenden Gehorsam den Amerikanern bei der jüngsten Wehrkundetagung in München die "hundertprozentige Solidarität" versprochen.

Die Vorverträge mit dem Irak konnten inzwischen Frankreich und Rußland abschließen, deren Freude über die jüngste diplomatische Schlappe der USA am Golf unübersehbar ist. Die Deutschen, deren Regierung sich angeblich immer um die deutsche Wirtschaft bemüht und die Arbeitslosenzahlen "halbieren" will, werden künftig in Bagdad nicht einmal mehr anstehen dürfen. Die Enttäuschung der Iraker über die allen Gepflogenheiten diplomatischer Höflichkeit widersprechende Abservierung durch Bonn sitzt tief.


 
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