© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   12/98 13. März 1998

 
 
Der 18.März 1848 in Berlin: Niederlage für die Monarchie
Der schwarze Adler sinkt herab
von Martin Otto

Schwer ist das Andenken an das Jahr 1848. Zu Anfang dieses Jahres ereignete sich wieder einmal eine berlintypische Posse um Straßennamen. Der Senat war sich einig geworden, daß man im Jahre der 150. Wiederkehr des Jahres 1848 ein würdiges Andenken schaffen müßte. Der Streit entbrannte über die Art der Würdigung: Man war sich nicht einig, ob man den Platz vor dem Brandenburger Tor oder eine namenlose Fläche im Kastanienwäldchen mit dem Sprachungetüm "Platz des 18. März 1848" versehen sollte! Der Streit scheint mittlerweile festgefahren; wahrscheinlich wird es nunmehr bei dem Üblichen belassen, nämlich einer Kranzniederlegung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses auf dem Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark Friedrichshain; wohl zu Recht hatte der mittlerweile gesamtberliner Senat diese Ost-Berliner Tradition fortgeführt. Die übrigen Erinnerungen an das wichtige Jahr 1848 drohen auch im offiziellen Berliner Gedächtniskalender der Vergessenheit anheimzufallen.

Immerhin, der 18. März scheint sich noch einer gewissen Gegenwärtigkeit im allgemeinen Bewußtsein zu erfreuen. Die Hintergründe dieses Tages, "des Tages, an dem das preußische Königtum seine schwerste Niederlage erleiden sollte" (Ernst Rudolf Huber), verdienen eine genauere Erörterung.

Mit der Pariser Februarrevolution 1848 wurde bald auch bald Deutschland von der revolutionären Bewegung erfaßt. Zunächst griff die Bewegung in angrenzende Gebiete, Baden zuallererst, über; von Südwesten her griff sie schon bald auf das gesamte Gebiet des Deutschen Bundes über. Preußisches Staatsgebiet wurde von den Unruhen bereits Anfang März 1848 in der Rheinprovinz erreicht; am 3. März veröffentlichten Mitglieder des Kölner Kommunistenbundes das "Kölner Manifest", letztlich ein sozialrevolutionäres Manifest, das auch im liberalen Rheinischen Bürgertum nicht nur Beifall erntete; wenige Tage später wurde eine bürgerlich-liberale Petition veröffentlicht, die im Wesentlichen auf Freiheitsrechte beschränkt blieb, veröffentlicht. Von diesem Kölner Beispiel angetan, erschienen in zahlreichen preußischen Provinzstädten derartige Petitionen, bis nach Ostpreußen. Nur die Provinzen Pommern und Brandenburg blieben vom revolutionären Petitionseifer zunächst unbeeindruckt.

Zumindest in Berlin dauerte diese politische Abstinenz jedoch nur wenige Tage. Erste Bürgerversammlungen kamen auf und wurden zunehmend größer. Am 7. und 9. März fanden "In den Zelten" im Berliner Tiergarten größere demokratische Volksversammlungen statt, am 13. März am selben Ort, nur unter freiem Himmel, eine noch größere Versammlung, in der erstmals auch sozialrevolutionäre Forderungen lautwurden. Feindbild der Demokraten, jeglicher Couleur wurde bald der preußische Kronprinz Wilhelm, der als "Ausgeburt" konservativer Reaktion galt, als leidenschaftlicher Soldat allerdings über Rückhalt in der Armee verfügte. Stadtkommandant von Pfuel war um einen Ausgleich bemüht, wollte es nicht zur Eskalation kommen lassen. Auch die Stadtverordnetenversammlung suchte zu verhandeln und zu schlichten, berief eine "Bürgerschutzkommission". Dennoch kam es, nicht zuletzt infolge einiger demagogisch begabter und radikaler Redner, zu ersten Unruhen. Am 16. März gab es Unter den Linden erstmals schwere Auseinandersetzungen mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Die ersten Barrikaden waren bereits am 14. März errichtet worden, als das Militär erstmals versucht hatte, eine Demonstration aufzulösen.

Zugleich drang um den 16. März die Nachricht vom Sturz Metternichs nach Berlin und wurde als ein großer politischer Erfolg der Revolution in Wien gefeiert. Der preußische Hof, in vieler Hinsicht mit Metternich verbunden, zeigte sich verunsichert. König Friedrich Wilhelm IV. sah sich nicht mehr in der Lage, geschlossen gegen die Revolution vorzugehen. Die Hoffnung höfischer Kreise, durch gemeinsames Vorgehen in der Verfassungsfrage mit Österreich den eine deutsche Verfassung fordernden Revolutionären einen Teil der Forderungen zu entziehen, wurde mit den Ereignissen von Wien hinfällig. In der Nacht vom 17. zum 18. März entschloß sich der König, den bürgerlichen Forderungen der Revolutionäre Folge zu leisten; bereits am 14. April berief der König den Vereinigten Landtag zum 27. April ein. Ein erstes sichtbares Zeichen des königlichen Entgegenkommens war das Gesetz über die Presse vom 17. März 1848, mit dem die Zensur aufgehoben und Preßvergehen den ordentlichen Gerichten zugewiesen wurden.

Am Morgen des 18. März erschienen Bürgerdeputationen im Berliner Schloß, die dem König die "Märzforderungen" überbrachten. Der Monarch billigte die Vorschläge, berief den Vereinigten Landtag bereits zum 2. April ein. Um 2 Uhr nachmittags ließ der König diesen Entschluß der um das Schloß gescharten Bürgerversammlung verkünden. Diese zeigten sich, zumal die Einberufung des Landtags auch ein Verfassungsversprechen implizierte, freudig überrascht und zogen zu einer Dankeskundgebung vor das Schloß. Vom Schloßbalkon aus konnte der König die Ovationen ds Volks entgegennehmen. Der Bürgerkrieg und die Revolution schienen noch einmal abgewendet.

Eine Forderung des Volkes blieb jedoch unerfüllt, nämlich der Abzug der Truppe aus Berlin. Hätte der König in dieser Frage nachgegeben, ein Rückzug des königlichen Heeres hätte sich nach allen Seiten als vollständige Niederlage ausgenommen. Das wußten die Revolutionäre ebenso wie der Hof. Erschwerend kam hinzu, daß Kronprinz Wilhelm die Schritte seines Bruders insoweit konterkarierte, als er noch vor der Verkündigung des Verfassungsversprechens die Ernennung des Generals von Prittwitz zum Oberbefehlshaber aller Berliner Truppen hatte durchsetzen können, eines Mannes, der anders als von Pfuel allein auf eine militärische Lösung setzen wollte. Als nach anfänglichen Ovationen die Masse vor dem Schloß auch noch die Erfüllung ihrer letzten Forderung, nämlich des Truppenabzugs, lautstark artikulierte, gab Friedrich Wilhelm IV., wohl selbst von dem Auflauf überrascht, von Prittwitz den Befehl, den Platz zu räumen. Der Offizier handelte unter Einsatz von Reiterei und Fußtruppen mit sofortigem Vollzug. Von welcher Seite die ersten Schüsse fielen, weiß niemand mehr. Schon die Räumung des Platzes forderte Tote. Die Nacht zum 19. März wurde zum Bürgerkrieg. Die Sturmglocken läuteten. Tausende von Barrikadenkämpfern – Arbeiter, Studenten, Handwerker, Bürger – konnten ihre Stellungen halten. Mittlerweile war der König erneut umgeschwenkt, nicht zuletzt unter dem Einfluß des westfälischen Abgeordneten von Vincke. Um Mitternacht befahl der König dem General von Prittwitz, von weiteren Angriffen gegen die Aufständischen abzulassen. Am Morgen des 19. März veröffentlichte der König seinen Aufruf "An meine lieben Berliner", in dem er die Ereignisse des vorigen Tages als einen "unseligen Irrtum" bezeichnete. Am selben Tag begann die erneute Verhandlung mit den Bügerdeputationen. Am Mittag erfolgte die Ehrung der Märzgefallenen auf dem Gendarmenmarkt. Der König und von Prittwitz entblößten vor den Gefallenen das Haupt, gestanden damit ihre Niederlage ein. Es war eine der letzten Handlungen der königlichen Truppen in Berlin. Im Laufe des Tages wurde auch die letzte Forderung erfüllt: die Truppen zogen ab.

Am 21. März verkündete der König: "Preußen geht fortan in Deutschland auf". Doch war der Sieg der Revolutionäre nicht endgültig. Unter den Offizieren gärte es. Um die Gemüter vorerst zu beruhigen, hielt der König am 25. März vor dem Korps in Potsdam eine wenig klare Rede. Das Heer jedenfalls stand zur Niederschlagung der Revolution bereit. Kurz nach der Ansprache des Königs erscholl im Zweiten Garderegiment nach der bekannten Melodie "Ich bin ein Preuße" ein neues Lied:

"Das waren Preußen, Schwarz und Weiß die Farben,

So schwebt’ die Fahne einmal auch voran,

Als für den König seine Treuen starben,

Für ihren König jubelnd Mann für Mann.

Wir sahen ohne Zagen

Fort die Gefallenen tragen,

Da schnitt ein Ruf ins treue Herz hinein:

‘Ihr sollt nicht Preußen mehr, sollt Deutsche sein ...’

Schwarz, Rot und Gold glüht nun im Sonnenlichte,

Der schwarze Adler sinkt herab, entweiht;

Hier enden Zollern, deines Ruhms Geschichte,

Hier fiel ein König, aber nicht im Streit."


 
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