© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   12/98 13. März 1998

 
 
Bodenreform: Aufregung nach Gorbatschow-Rede und Scholz-Papier
Unumkehrbar festgelegt
von Konrad Kranz

Das umstrittene Bodenreformpapier einer CDU-Arbeitsgruppe um den Rechtsexperten Rupert Scholz wird "nachgebessert". Der Zwischenbericht enthalte "einige Formulierungen, die den Eindruck erwecken", daß einseitige Begünstigung für die Alteigentümer vorgesehen sei, sagte der Sprecher der mitteldeutschen Unionsabgeordneten, Paul Krüger, nach einer Klausurtagung Anfang der Woche in Halle. Die Ergebnisse der Bodenreform dürften nicht in Frage gestellt werden.

Sowohl das Scholz-Papier – in dem Vorschläge unterbreitet werden, wie der Kauf der zwischen 1945 und 1949 enteigneten Argarflächen durch Alteigentümer zu erleichern sei – als auch die Äußerungen Michail Gorbatschows vom 1. März in Berlin (siehe Dokumentation Seite 8) hatten für Aufregung gesorgt: CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble leitete am Wochenende den Rückzug ein, sprach von "offensichtlichen Mißverständnissen" und schloß eine Gesetzesänderung aus. Die Arbeitsgruppe um Scholz verfolge nur das Ziel, bürokratische Beschwernisse beim Flächenerwerb zu mindern.

Das Scholz-Papier war von der Opposition scharf angegriffen worden. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) kritisierte die Alteigentümer, sie ließen keine Chance ungenutzt, die von der letzten DDR-Volkskammer beschlossenen Gesetze auszuhebeln. Die Grünen in Sachsen-Anhalt, wo am 26. April gewählt wird und der Streit um die Bodenreform Wahlkampfthema geworden ist, sahen in der Debatte eine "Rote-Socken-Kampagne" mit anderen Mitteln. Der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände, Albrecht von dem Borne, erklärte dagegen, den Alteigentümern gehe es keinesfalls um eine Korrektur der Bodenreform.

Scharfe Widerrede riefen die Äußerungen Michail Gorbatschows hervor, wonach sich die sowjetische Führung nicht mit dem Thema befaßt hätte. Lothar de Maizière (CDU), letzter Ministerpräsident der DDR, sagte, die Bodenreform sei nicht nur im Einigungsvertrag festgeschrieben, sondern auch das Bundesverfassungsgericht hätte zweimal entsprechend geurteilt. Er selbst, so de Maizière, hätte in Moskau über die Sache verhandelt, dafür gebe es Zeugen, außerdem existiere ein sowjetisches Aide mémoire in dieser Sache. Es sei völlig undenkbar, daß Gorbatschow davon nichts gewußt hätte. Peter-Michael Diestel (CDU), letzter Innenminister der DDR, erklärte: "Herr Gorbatschow tingelt durch die Lande, sonnt sich in seiner Popularität und hat sicherlich – das ist eben so, wenn man im grellen Licht steht – nicht mehr ganz so den scharfen Blick." Seine "unausgegorenen, unüberlegten und vor allem unhistorischen Äußerungen" säten nichts als Zwietracht. Hans Modrow (PDS) warf dem einstigen "teuren Genossen" Gorbatschow "bewußte Entstellung der historischen Fakten" vor: Mit der Unterzeichnung des 2+4-Vertrages sei die Bodenreform völkerrechtlich verankert worden.

Die Bundesregierung hatte auf Gorbatschows Rede vor dem Göttinger Kreis prompt reagiert und sie als nicht nachvollziehbar bezeichnet. Aus den vorliegenden Dokumenten, so Kanzleramtsminister Friedrich Bohl, gehe zweifelsfrei hervor, daß die Sowjetunion die Unterzeichnung des 2+4-Vertrages von der Überreichung eines Briefes abhängig gemacht hätte, der ausdrücklich Bezug auf die deutsch-deutsche Erklärung vom 15. Juni 1990 nehme. Diese Behauptung wird durch die russische Regierung gestützt, die bekräftigt hat, daß die Unumkehrbarkeit der Bodenreform ein wichtiger Bestandteil der internationalen Vereinbarungen zur deutschen Wiedervereinigung gewesen sei. Außenamtsprecher Gennadi Tarrassow sagte vor Journalisten in Moskau, die Unumkehrbarkeit der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) sei "ein Eckstein bei der Regelung der äußeren Aspekte der deutschen Einheit gewesen". Dies sei in offiziellen Dokumenten rechtlich verankert worden. Tarassow sagte, das Prinzip der Unumkehrbarkeit sei in Briefen der Außenminister der vier Siegermächte festgehalten worden. "Diese Briefe sind ein Bestandteil des Vertrages vom 12. September 1990 über die abschließenden Regelungen im Bezug auf Deutschland."

Unterdessen hat der stellvertretende Vorsitzende des Bund Freier Bürger (BFB), Markus Roscher, Strafanzeige beim Landgericht Berlin gegen Bundeskanzler Helmut Kohl, Kanzleramtsminister Friedrich Bohl, Außenminister Klaus Kinkel, Staatssekretär Dieter Kastrup, Wolfgang Schäuble und Lothar de Maizière wegen falscher uneidlicher Aussage sowie Verleitung zur Falschaussage erstattet (Az.: 74 Js 15/98).

In der Begründung heißt es, Kinkel, de Maizière und Kastrup hätten in drei Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 1990/91 und 1994 "sehr wahrscheinlich die Unwahrheit gesagt". Bundeskanzler Kohl, der damalige Kanzleramtsminister Schäuble und sein Nachfolger Bohl hätten sie durch öffentliche Äußerungen dazu "verleitet". In den Anhörungen vor den Karlsruher Richtern ging es um die Frage, ob die sowjetische Regierung ihre Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung von der Unumkehrbarkeit der Enteignungen im Zuge der Bodenreform von 1945 bis 1949 abhängig gemacht habe. Wie Roscher gegenüber der jungen freiheit sagte, rechne er damit, daß die Staatsanwaltschaft jetzt "zügig ermittelt".


 
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