© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/98 20. März 1998

 
 
Bürgerrechte: Wilhelm Brauneder über die Aktualität der 1848er Revolution für Österreich
"Die Revolution gehört allen"
von Jürgen Hatzenbichler

 

Herr Präsident, wie aktuell ist die Revolution von 1848 für das heutige Österreich?

BRAUNEDER: Sie ist aktuell aus einem simplen rechtstechnischen Grund. Wir haben Verfassungstexte, die aus dem Jahr 1848/49 stammen, vor allem unseren Grundrechtskatalog. Für deren Interpretation ist das Wissen um die damalige Situation juristisch notwendig. Schließlich sind die Revolutionäre von 1848 für bestimmte Ideale eingetreten, die unter anderem verfassungsrechtlich umzusetzen waren und sozusagen an Aktualität nichts eingebüßt haben. Ein Beispiel dafür ist die Meinungsfreiheit.

Alle politischen Strömungen berufen sich heute auf die Revolution von 1848. Wem gehört die Revolution?

BRAUNEDER: Die Revolution gehört natürlich allen. Sie gehört auch den Konservativen, weil sie die Revolution vereitelt haben. Man muß jedoch sehen: Wer stand auf welcher Seite der Revolution? Wenn man die revolutionäre Seite betrachtet, dann kann man für 1848 klar sagen: Hier standen die Demokraten und die Liberalen, vielleicht ein paar Konservative.

Die FPÖ hat sich als nationalliberale Partei immer besonders stark auf 1848 bezogen. Wie sehen Sie die inhaltliche Entwicklung der FPÖ?

BRAUNEDER: Das Spektrum der Liberalen 1848 war ein sehr breites. Es gab sogar Liberale, die das Parlament nicht wollten. Dies sind jene Liberale, die auch nach der Revolution in Regierungspositionen waren wie beispielsweise der Minister Bach und auch viele andere. D.h. es kommt darauf an, wo man sich heute positioniert, um auf 1848 zurückgreifen zu können. Die Charakteristik der Freiheitlichen heute ist durchaus so, daß die Tradition von 1848 angerufen werden kann. Das betrifft einmal das Verhältnis zu den Kirchen. Ich erinnere, daß die Märzgefallenen begraben worden sind in einem sozusagen superökumenischen Begräbnis unter Teilnahme von katholischem Pfarrer, evangelischem Pastor und Rabbiner. Dies ist also auch 1848er Tradition. Aber auch die strikte Trennung von Kirche und Staat. Wie die Bevormundung durch den Staat, so wurde auch die Bevormundung durch die Kirche abgelehnt. 1848er Tradition ist vor allem Parlamentarismus, 1848er Tradition ist in einem gewissen Sinne direkte Demokratie, 1848er Tradition sind die Grundrechte, und zwar auch als dem Einzelnen zustehende Rechtspositionen, was 1848 nicht ganz selbstverständlich war. 1848er Tradition ist auch das Eingebundensein des österreichischen Staates in größere Zusammenhänge, das Verhältnis zu Ungarn und zum reformierten Deutschen Bund. Dies alles sind Positionen, die heute freiheitliche Positionen sind.

Wie steht es heute um die Grundrechte?

BRAUNEDER: Man muß einmal in der historischen Perspektive sagen, daß Österreich in der Verwirklichung der Grundrechte im 19. Jahrhundert europaweit, wenn nicht weltweit eine massive Vorreiterrolle spielte, was punktuell auf Frankfurt zurückgeht, denn dort ist die Idee ganz stark forciert worden, daß der Einzelne Grundrechte auch einklagen kann. Der damalige Standard war der, daß die Grundrechte nur Staatszielbestimmungen sind, also Richtlinien für den Gesetzgeber. Man müßte heutzutage im Bereich der Grundrechte – in Ergänzung zu jenen von 1848 – gewisse Prinzipien ansiedeln, die den Gesetzgeber zügeln: etwa das Prinzip der Vorhersehbarkeit der Gesetzgebung, d. h. daß nicht im Steuerrecht eine Novelle die andere im Wettlauf überholt. Stärker könnte auch der Schutz der Umwelt verankert werden, und man könnte sich auch vorstellen, daß man mehr kulturelle Grundrechte schafft, weil es gerade hier sicherlich ein Defizit gegenüber der Europäischen Union gibt.

Gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen der Abgabe von Souveränität an die EU und einer zu führenden österreichischen staatlichen Grundrechtsdiskussion?

BRAUNEDER: Da kann man wieder den Kontex zu 1848 herstellen. Man hat sich in der Frankfurter Nationalversammlung den Kopf zerbrochen, wie der Deutsche Bund künftig als Staat auszusehen habe, daß er mit mehr Rechten als bisher auszustatten sei, und sich die Frage gestellt, was den Einzelstaaten verbleibe. Es ging darum, die Individualität der Einzelstaaten trotz des Bundesstaates nicht anzutasten. Dies ging so weit, daß es für Österreich eine Art Bestandsgarantie für die einzelnen österreichischen Länder, also eine dritte föderalistische Ebene gegeben hätte – dies ist auch heute ein Problem der EU. Das Kernproblem liegt einfach darin, daß die EU wie ein Staat handelnd auftritt, aber nicht die Struktur eines Staates hat, weil zum Beispiel das Parlament nicht der Gesetzgeber ist, weil Staaten die EU bilden, die Stimme der Staaten aber kein Gewicht hat, und weil es im Gegensatz zu einem Bundesstaat keine Länderkammer gibt. Und da es eine Länderkammer nicht gibt, sind diese auch nicht vertreten, d.h. die Landesinteressen in der EU kommen massiv zu kurz. Denn wenn unsere Staaten überhaupt einen Sinn haben und nicht einfach Rechtecke auf der Landkarte sein sollen, dann ist eben die Bewahrung einer spezifischen Identität geboten, die natürlich innerhalb des Staates sehr vielfältig ist und die sich nicht unbedingt nach außen abgrenzt. Daher ist der Staat, vielleicht mit verminderten Kompetenzen, ein Baustein auch des politischen Europa, den man nicht aufgeben kann.

Müßten in einer Demokratie nicht die Parteien etwas mehr zurücktreten?

BRAUNEDER: Ich würde nicht nur sagen, daß die Interessen der Parteien zurückzutreten haben, sondern auch die Interessen der Kammern und anderer Verbände. Dies ist ganz sicher richtig, d.h. zuerst einmal aus der Sicht des Parlamentariers: Es dürfte kein flächendeckendes Koalitionsübereinkommen, es müßte vielmehr wesentlich mehr koalitionsfreien Raum geben. Auf der einen Seite ist es durchaus verständlich, daß zwei oder mehr Parteien eine Regierungskoalition bilden, eben um regieren zu können, aber dies sollte nicht unbedingt heißen, daß diese Regierungskoalition sich im Parlament fortsetzt. Da müßte man also massiv umdenken, wobei es hinsichtlich der Altparteien klar ist, daß die sich an ihre Besitzstände klammern, und daher ein Umdenken von ihnen allein wohl kaum zu erwarten ist. Weiterhin ist notwendig: die Stärkung der direkten Demokratie, die Stärkung des Föderalismus als weitere Form der Gewaltentrennung, die Übertragung von echten Kompetenzen an die Länder, nicht nur von Kompetenzsplittern, und schließlich die Aufwertung der Landtage. Die Landtagsabgeordneten werden ja nicht schlecht bezahlt im Verhältnis zu den Bundesabgeordneten, man kann ihnen ruhig Arbeit anvertrauen. Die Länder sollten sich überlegen, ob sie nicht gemeinsame Organe schaffen sollten zu einer gewissen Entlastung. Wir haben neun Bundesländer, die zusammen eine Fläche beherrschen, die nicht ganz der Größe von Bayern entspricht. Bayern ist aber nur ein Bundesland der Bundesrepublik, d.h. es wäre da ein gewisses Koordinations- und Einsparungspotential vorhanden. Ich will damit natürlich nicht sagen, daß man die Länder abschaffen soll, aber man könnte an mehr Kooperation und Gemeinsamkeiten bestimmter Länder denken, was übrigens historische Wurzeln hätte, denn es gab auch großflächigere föderalistische Gliederungen in Österreich, die sogenannten Gouvernementsbezirke. Vom rechtsstaatlichen Prinzip her muß die Verwaltungsgerichtsbarkeit reformiert werden, so zum Beispiel in Form einer Aufteilung in Verwaltungsgerichte Erster und Zweiter Instanz. Obwohl ich Föderalist bin, halte ich es für sehr schön, daß Österreich eine einheitliche Bundesgerichtsbarkeit hat.

Gibt es noch immer dieses Manko, daß das Parlament unterbewertet ist?

BRAUNEDER: Beim Parlament muß man zweierlei unterscheiden: Parlament als Kontrollinstanz und Parlament als Gesetzgebungsinstanz. Das Parlament als Kontrollinstanz funktioniert relativ gut, auch wenn wir nicht alle Mittel in der Hand haben, um eine Kontrolle effektiv auszuüben. Beispielsweise ist das Recht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen, leider ein Mehrheitsrecht geblieben. Auf der anderen Seite liegt das große Manko beim Parlament als Gesetzgebungsinstanz, weil wir praktisch nur der Radiergummi in der Gesetzgebung sind. Hier wird also das, was die Regierung, sprich die Exekutive, will, fast eins zu eins umgesetzt. Dies ist schlecht: Die Regierung macht sich die Gesetze, die sie braucht, selbst – das war 1848 durchaus nicht so gedacht! Die heutige – fehlerhafte – Situation liegt in der bekannten Tatsache, daß die Koalition in Regierung und im Parlament eben dieselbe ist. Das muß nicht sein.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen