© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/98 20. März 1998

 
 
Musterdemokraten
von Hans B. von Sothen

Gaullistenchef Philippe Séguin packt die Wut, wenn er an die vorzeitige Parlamentsauflösung durch seinen Parteifreund, den französischen Präsidenten, Jacques Chirac, denkt. Auch die Niederlage des liberal-gaullistischen Blocks bei den französischen Regionalwahlen am vergangenen Wochenende ist für ihn auf Chiracs fatale Fehlentscheidung von 1997 zurückzuführen. Die Linke dagegen frohlockt. Von einem "großen Erfolg" ist die Rede, gar von einem "haushohen Sieg". Der sozialistische Präsident der Republik, Lionel Jospin, spricht immerhin von einem "eher ermutigenden" Ergebnis, das seine Regierungspolitik bestätige.

Den unbeteiligten Beobachter aber machen die Ergebnisse zunächst ratlos. Da gibt es ein Linksbündnis, bestehend aus drei Parteien, Sozialisten, Kommunisten und Grünen, das gerade einmal auf 36,5 Prozent der Stimmen kommt. Auf der rechten Seite sieht die Sache schon etwas unübersichtlicher aus: RPR (Gaullisten) und UDF (Liberale) haben zwar ein Wahlbündnis abgeschlossen, liegen aber mit 28,1 Prozent hoffnungslos gegenüber dem Linksbündnis zurück. Und da gibt es Le Pens Front National (FN), der sein bisher bestes Ergebnis vorweisen kann: 15,2 Prozent. Unabhängige Rechte folgen mit 7,5 Pozent. Da bei den Regionalwahlen nur eine 5-Prozent-Klausel gilt, heißt das, daß die französische Rechte, die soeben mit Pauken und Trompeten die Wahlen verloren hat, eigentlich eine Mehrheit von 50,8 Prozent hätte. Hätte. Denn was die Sozialisten mit den Kommunisten dürfen, nämlich ein Wahlbündnis miteinander eingehen, das dürfen die französischen bürgerlichen Parteien mit der Rechten noch lange nicht. Feierlich läßt man UDF und RPR schwören, daß sie nach rechts standhaft bleiben. Ähnliche Schwüre gegenüber den sich vormals als besonders linientreu gebenden Kommunisten verlangt niemand. Im Gegenteil: KPF-Chef Robert Hue mag sich weigern, an einer Fernsehdiskussion mit dem Historiker Stéphane Courtois teilzunehmen, bei den Sozialisten gilt er weiterhin als pluralistischer Musterdemokrat.

Der frühere Premierminister Édouard Balladur hat einen Zusammenschluß der bürgerlichen Parteien angeregt. Das wird ihnen aber nach Lage der Dinge überhaupt nichts nützen. Denn der FN wird solange keine Stimmen verlieren, wie die Ursachen seines Erfolges nicht abgestellt werden: hohe Arbeitslosigkeit, Kriminalität und ethnische Ghettobildung in den Vorstädten. Solange aber die bürgerlichen Parteien sich zu keiner Zusammenarbeit mit dem FN entschließen können, die Sozialisten jedoch weiterhin mit den Kommunisten paktieren, wird es weiterhin heißen: Stimmenmehrheit gewonnen – Wahlen verloren.


 
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