© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/98 27. März 1998

 
 
Pulverfaß Kosovo: Westliche Politiker suchen einfache Antworten auf eine komplexe Krise
Wie Elefanten im Porzellanladen
Von Alexander Beermann

Noch erschreckender als die Tatsache, daß im Kosovo eine für ganz Europa äußerst brisante ethnische Zeitbombe tickt, ist es, daß nicht wenige westliche Politiker offenbar in ihrer Lernfähigkeit beschränkt sind. Denn noch immer verwechseln sie Ursachen mit Symptomen, wenn es sich um ethnische Konflikte handelt. Sprich: Im Kosovo machen sie es sich zu leicht, wenn sie die Verantwortung für die aktuellen Auseinandersetzungen nur in der verfehlten Politik Milosevics in der serbischen Provinz sehen und sich Wunderdinge von der Rückkehr zum Status quo der Autonomie von vor 1989 versprechen.

Eine undurchdachte internationale Politik könnte im Kosovo leicht eine rapide Eskalation und Ausbreitung des Krisenherdes auf das benachbarte Mazedonien, das kleine Montenegro (wohin bereits über 5.000 Kosovo-Albaner geflüchtet sein sollen) sowie auf den ohnehin labilen Staat Albanien zur Folge haben bzw. eine Lunte an das Pulverfaß der griechisch-türkischen Beziehungen legen.

Etwa die Hälfte aller Albaner lebt heute außerhalb des albanischen Staates, davon 1,7 Millionen im Kosovo. In Mazedonien, wo der Anteil dieser Minderheit nach offiziellen Angaben bei 23 Prozent liegt, hat es in Skopje und vor allem in Tetovo bereits mehrere Solidaritätsdemonstrationen gegeben, bei denen Tausende Einheimischer albanische Nationalflaggen schwenkten und die Hymne Albaniens sangen. Der Generalsekretär der Albanischen Demokratischen Partei (PDSH), Ibrahimi, erklärte nach Angaben des mazedonischen Rundfunks am 13. März in Tetovo: "Wir befürworten ein unabhängiges Kosovo und wünschen, daß dies durch einen Dialog erreicht wird. Sollte es zu größeren Zusammenstößen kommen, haben wir Albaner keine Angst vor den serbischen Streitkräften." Gegebenenfalls, so Ibrahimi weiter, würden alle Albaner in Mazedonien, Montenegro und Albanien "als ein Volk auftreten".

Dimitar Dimitrow, ein Führungsmitglied der mazedonischen Nationalkonservativen (VMRO-DPMNE), sprach daraufhin vielen seiner Landsleute aus dem Herzen, als er vor der Bedrohung ganz Europas durch das "geometrische Bevölkerungswachstum" der Albaner warnte. Sehr virulent ist in Mazedonien auch die Angst, eine Loslösung des Amselfeldes von Serbien würde zugleich eine Abspaltung der sogenannten "Tetovo-Albaner" und deren Anschluß an die "Republik Kosova" bedeuten.

Grenzübergreifende Ängste vor Demographie-"Waffe"

Nicht zuletzt besteht die Gefahr, daß die USA mit ihren offensichtlichen Versuchen, die diplomatische Schlappe am Golf zu kompensieren, eine ganz große Auseinandersetzung mit Rußland heraufbeschwören könnten. Zwar befinden sich die amerikanischen Streitkräfte noch in erhöhter Bereitschaft, und es ließen sich relativ problemlos größere Truppenteile in den Kosovo verlegen, aber welche Reaktionen ein solches Unternehmen in Rußland hervorrufen könnte, ist kaum absehbar. Die gefühlsmäßigen Bindungen an die Serben sind jedenfalls nicht weniger tief verankert wie die Demütigung, nach 1989 den Rang einer Supermacht verloren zu haben. Der jüngste diplomatische Erfolg in der Irak-Krise war da Balsam auf die Wunden, und es mag sein, daß die führenden Politiker jetzt erst recht auf diese Medizin schwören.

Ob sich die amerikanische Außenministerin Madelaine Albright all dieser Empfindlichkeiten voll bewußt ist, darf bezweifelt werden. Ihr Auftreten auf der internationalen Bühne gleicht bisher vielmehr dem sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen, so daß den maßgeblichen europäischen Ländern in Sachen Kosovo sicherlich ein gehöriges Mißtrauen gegenüber der Krisenbewältigungs-Kompetenz der USA zu empfehlen ist.

Zunächst gilt es zu bedenken, daß in dieser Ecke des Balkans, in der der orthodoxe Kulturkreis der südslawischen Serben auf den Islam der Albaner prallt, vorhandene Staatsstrukturen – sprich die rigide Verwaltung der serbisch dominierten Bundesrepublik Jugoslawien – schnell jegliche Bedeutung verlieren könnten. Mit anderen Worten: Selbst wenn es den US-Diplomaten und einigen europäischen Regierungen gelänge, dem serbischen Präsidenten Milosevic das Zugeständnis einer weitgehenden Autonomie des Kosovo abzuringen, so wäre der Konflikt damit längst nicht aus der Welt. Die Atmosphäre unter den Albanern hat sich inzwischen derart radikalisiert, daß alles andere als eine volle Unabhängigkeit oder der Zusammenschluß mit dem albanischen Staat politisch kaum umzusetzen wäre. Politiker, die in Verhandlungen von dieser Maximalforderung abrückten, würden zugleich ihre Karriere aufs Spiel setzen. Andererseits ist auch fraglich, ob Slobodan Milosevic einen nennenswerten Verhandlungsspielraum besitzt. Der Druck auf die auf dem "Amselfeld" beheimateten Serben und Montenegriner durch die albanische Bevölkerung, die im demographischen Wettlauf schon längst einen klaren Sieg davongetragen hat, ist so stark, daß Kompromisse als Anfang vom Ende serbisch-orthodoxer Kultur im Kosovo bewertet werden.

Milosevics Verhandlungsspielraum ist eng begrenzt

Tatsächlich sind die Befürchtungen berechtigt, daß sich die Albaner nicht mit dem kleinen Finger begnügen würden. Für den Fall der Fälle stehen bosnienerprobte Milizen wie die "Tiger" des Kommandanten Arkan schon jetzt Gewehr bei Fuß, um den ethnischen Machtkampf auf substaatlicher Ebene fortzuführen.

Wo also ansetzen, wenn Sanktionen gegen Milosevic wahrscheinlich nur wenig Wirkung zeigen und man sich endlich eingesteht, daß ethnische Konflikte in der Regel eben nicht von Regierungen gesteuert und manipuliert werden, sondern viel öfter gewalttätige Eruptionen mit einer kaum berechenbaren Dynamik darstellen, deren komplexe Ursprünge tief in der Geschichte wurzeln? – Einfache Antworten und Schwarz-Weiß-Szenarien, wie sie die amerikanische Öffentlichkeit (und zunehmend auch die deutsche) so sehr verlangt, sind im Kosovo besonders fehl am Platze. So wie es in keinem ethnischen Konflikt nur "Gute" auf der einen Seite und "Schlechte" auf der anderen gibt, so sind auf dem Amselfeld die Albaner nicht nur die Lichtgestalten und die Serben nur die Brandstifter. Einige der Aktionen der "Kosovo-Befreiungsarmee" (UCK) waren blanker Terror, dem auch unschuldige serbische Zivilisten zum Opfer gefallen sind, was sich allerdings in der hiesigen Medienberichterstattung so gut wie gar nicht niedergeschlagen hat. Daß die UCK nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, das schon seit Jahren unruhige Kosovo gerade jetzt in die internationalen Schlagzeilen zu bringen, kommt einer Ermutigung für all jene Untergrundgruppen gleich, die ihre politischen Ziele mit Waffengewalt durchzusetzen versuchen.

Eine Lösung, die die Interessen aller ethnischen Gruppen der Krisenregion gleichermaßen widerspiegelt, kann es im Kosovo nicht geben. Ein militärischer Eingriff der UNO oder der NATO würde, wie die Praxis des Dayton-Abkommens gezeigt hat, den Frieden nur solange sichern, wie die Truppen sich vor Ort befänden. Im NATO-Hauptquartier in Brüssel will man sich bisher nicht über eine mögliche militärische Intervention auslassen. Zunächst sind ja auch die Politiker gefragt, denn vor einer ausländischen Intervention stehen das internationale Recht und das Prinzip der staatlichen Souveränität. Serbien hat den Kosovo nicht angegriffen, sondern der Kosovo befindet sich im Aufstand gegen die serbische Regierung in Belgrad. Beweise einer Unterdrückung der Albaner können rein formal-rechtlich gesehen nicht als Carte blanche für einen Einmarsch herhalten. Wäre dies der Fall, so hätten internationale Verbände schon längst an vielen Orten der Erde in Marsch gesetzt werden müssen, beispielsweise in den kurdischen Gebieten des Irak oder der Türkei.

Was kurzfristig möglich erscheint, ist die Schaffung einer streng überwachten "Flugverbots-Zone", die die Militärmacht Serbiens sofort erheblich eindämmen könnte, zumal im Hochland des Kosovo für Armeeoperationen eine starke Abhängigkeit von Hubschraubern besteht. Alles Weitergehende trüge gefährliche Unwägbarkeiten in sich, so daß die Militärs in Brüssel und Washington eindeutig zu einer politischen Lösung raten und Bodentruppen höchstens als Friedensverbände unter Einwilligung der Kriegsparteien in Betracht ziehen.

Grundbedingung einer politischen Lösung müßte die freiwillige – das heißt nicht durch ökonomische Pressionen erzwungene – Akzeptanz Rußlands sein, das dann unter größtmöglicher Zurückhaltung der USA zusammen mit Großbritannien, Deutschland und Frankreich für eine dauerhafte Durchsetzung zu sorgen hätte. Mehr als eine weitgehende Autonomie des Kosovo kann bei dieser Konstellation sicherlich nicht herausspringen, bei aller Wertschätzung für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und den Unabhängigkeitswunsch der Kosovo-Albaner, den diese bereits 1992 eindeutig bekundet haben. Der russische Außenminister Primakow hat dies bei seinem jüngsten Besuch in Belgrad mit seiner Unterstreichung der "territorialen Integrität Serbiens" unmißverständlich deutlich gemacht.

Alle anderen Szenarien sind nur etwas für politische Hasardeure. Riesige Flüchtlingsströme wären vorprogrammiert, und Deutschland hätte dann zweifellos die Hauptlast zu tragen.


 
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