© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/98 27. März 1998

 
 
Eltern strafen ihre Kinder lebenslang: Immer mehr Neugeborene heißen Marvin, Keanu und Kofi
Namen wie Mühlsteine
von Ellen Kositza

D

as ist ein Phantasiename", antwortete kürzlich die Heimfriseurin einer Freundin nicht ohne Stolz auf die Frage, welchen Ursprungs denn der Name ihrer Tochter – "Thalisa" – sei. Ausgangspunkt der Kopfgeburt sei dabei "Thalia" gewesen, freilich nicht die gleichnamige Muse, nein; "die Thalia aus ‘Rocky’", anschließend habe ein dazugemogeltes "s" sich als noch klangvoller erwiesen. Ein Nachweis über die

Existenz des gewählten Namens habe man dem Standesbeamten nicht vorzulegen brauchen, und es sei auch bekannt, daß dies jedenfalls in Offenbach und Hanau, immerhin nicht in Frankfurt derart leger gehandhabt werde. Ziemlich schlüssig führte die Friseurin diese Nachsichtigkeit darauf zurück, daß in den genannten beiden Städten beinahe die Hälfte der zu registrierenden geburtlichen Neuzugänge nichtdeutscher Herkunft seien: Zwar pflegt man bei der Namensgebung allerorten konservativer zu sein als hierzulande, doch heißt schließlich nicht jeder Türke Achmed – im Zuge der multikulturellen Gesellschaft also ist eine strengere Kontrolle über die Legitimität von Rufnamen weitegehend obsolet geworden, selbst wenn hin und wieder Gerichtsurteile die Nation erschüttern, die Eltern untersagen, ihren Nachwuchs als "Pumuckl" oder "Borussia" ins Stammbuch eintragen zu lassen. "Thalisa" also geht.

Der Name, nichts als Schall und Rauch? In regelmäßigen Abständen findet man die aktuelle Hitliste populärer Vornamen veröffentlicht; Maria führt dabei derzeit die Rangliste der Mädchen, gefolgt von den ebenfalls eher durch Schlichtheit dominierten Lauras, Annas und Lisas sowie den leicht kosmopolitisch-mondänen Vanessas und Michelles. Bei den Jungen herrscht die Tendenz zu Kaiserlichem wie Biblischem vor, Alexander ist hier vor Maximlian, Lukas, Daniel und Philipp der ultimative Spitzenreiter. Tatsächlich gibt es wohl kaum etwas Unterhaltsameres als die Lektüre der aktuellen Geburtsanzeigen in der Wochendenausgabe der Heimatzeitung: Hurra, hurra, unser kleiner Sonnenschein ((B)engel/Racker/Würmchen…) ist da oder, bei Großfamilien: Unser Quartett – inklusive Eltern, versteht sich – ist jetzt komplett, artikulieren die frischgebackenen Erziehungsberechtigten ihr soundsoviel Gramm schweres Glück, um dann stolz den Namen kundzutun, der allermeistens subjektiv als Ausbund an Originalität und Individualität eingeschätzt wird. Ein bißchen enttäuscht, gleichwohl ungläubig hört man einige Zeit später die Muttis dann berichten, der Kinderarzt habe gesagt, das sei jetzt schon der dritte Nils/Leon/Marvin oder gar – brandaktuell – Keanu in dieser Woche, der sich zur Erstuntersuchung vorstelle.

Und was mag es bedeuten, wenn der Heidelberger Namensforscher Wilfried Seibicke bekannt gibt, daß ausgerechnet "Kofi" ein derzeit dezent boomender Name sei? Zum einen läßt so der Vorname natürlich Aufschlüsse auf die Eltern des Benannten zu, gemäß psycholgischen Untersuchungen beschränkt sich das assoziative Verhalten der Eltern dabei nicht nur auf Vorbilder aus Sport, Politik und Showbiz, sondern werden darüber hinaus mit "Felix" oder "Sophie" intelligentere und attraktivere Menschen als Namensträger verbunden als etwa mit "Erich" oder "Sabine". Eine andere Seite stellt die selbstständige, "schicksalhafte" Prägekraft eines Namens dar – eine Betrachtung, die heute jedoch wenig Beachtung findet – ja, ein Gedanke, der mit einem "Kevin" oder einer "Jana" vor dem geistigen Auge gar ziemlich komisch wirkt. Der Dichter Gustav Freytag etwa schildert in seiner Stammes-Saga Ingo und Ing-raban die Christianisierung des freien Geschlechts Ingrabans. Der jüngste Sohn Gottfried wird von seinem Vater zu einer Laufbahn als Mönch bestimmt – was dem treuen Knecht des Edlen widerstrebt: "Sehr mächtig ist der Zauber, welcher in den neuen Christennamen wirkt", muß er jedoch erkennen: "Vergebens habe ich dem Knaben Wolfshaare in die Jacke genäht, vergebens lehrte ich ihn auch mit dem Bogen schießen und die Keule werfen, der unkriegerische Name Gottfried zwingt ihn übermächtig." In seinem Kult-Schmöker Im Tanz der Elemente widmet sich Björn Ulbrich ausgiebig der europäischen Tradition der Namensgebung. Danach wurde einst in das Kind durch die Namensgebung all das hineingelegt, was ihm die Sippe zu geben bereit war und was diese ihrerseits von dem Kind erwartete.

In diesem Sinne hatte der Name nicht den bloßen Charakter eines wohlklingenden Schmucks, sondern galt als substantieller Bestandteil des Menschen. Ulbrich stellt einen mehrstufigen "Verflachungsprozeß" fest, an dessen vorläufigem Ende in der Jetztzeit die erwähnten Modenamen ohne einen Gedanken an Sinn und Herkunft und damit die Chantal und Marvin-Massenmenschen stehen. Immerhin über das Kriterium der an ein Vorbild angelehnten Herkunft wäre Thalisa ja damit erhaben...


 
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