© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/98 27. März 1998

 
 
Deutsch-Deutsches: Das Schicksal des West-Berliner "Falken" Wolfgang Kockrow
Entführung in der Friedrichstraße
von Werner H. Krause

Es fällt Wolfgang Kockrow noch immer schwer, ohne starke Gefühlsbewegung in den Ostteil Berlins zu kommen. Jedesmal, wenn ihn der Weg hierher führt, überwältigt ihn die Erinnerung an das, was man ihm hier vor nunmehr über drei Jahrzehnten angetan hat.

Damals herrschte in einer von ihm geleiteten Gruppe der sozialdemokratischen "Falken" im West-Berliner Bezirk Reinickendorf die Vorstellung, etwas gegen die Verhärtung in der Ost-West-Konfrontation tun zu müssen. "Aus einer idealistischen Sicht heraus meinten wir, wenigstens die Jugend sollte nicht zum Befürworter des Kalten Krieges werden", erzählt er. So kam es gegen Ende der 50er Jahre zur Kontaktaufnahme mit dem Zentralrat der FDJ.

Kockrow und seine Freunde ahnten nicht, daß sie in eine Falle getappt waren. Die freundlichen jungen Leute, die sich ihnen da im bekannten Restaurant "Ganymed" nahe dem Bahnhof Friedrichstraße als Vertreter der FDJ vorgestellt hatten, standen alle in Diensten der Staatssicherheit. Ihr Auftrag lautete, die für politisch naiv gehaltenen "Falken" aus dem Westteil Berlins auszuhorchen und sie nach und nach auf die "andere Seite" herüberzuziehen. Schließlich sollten sie als Agenten angeworben werden.

"Mit der Zeit wurde ich mißtrauisch", berichtet Kockrow. "Eines Tages schlugen uns nämlich die FDJ-Funktionäre vor, daß wir uns doch in der gemütlichen Atmosphäre einer Privatwohnung treffen wollten. Dort öffnete uns ein älteres Ehepaar die Tür und wurde sofort von unseren Begleitern mit harschen Worten weggeschickt. ‘So kann man doch nicht mit seinen Eltern umspringen’, empörte ich mich. Doch die FDJler grienten nur. Erst allmählich kam ich dahinter, daß unsere Treffen mit der FDJ offenbar konspirativen Charakter angenommen hatten."

Alles, was ihm nunmehr bei den Zusammenkünften mit den FDJ-Funktionären merkwürdig erschien, schrieb Wolfgang Kockrow nieder. Er übergab den Bericht dem Vorstand der "Falken" und dem SPD-Landesvorstand. Als er sich am 2. Januar 1958 erneut zu einem sogenannten deutsch-deutschen Gespräch nach Ost-Berlin begab, wurde er am hellichten Tag in der Friedrichstraße in ein Auto gezerrt, bekam die Hände gefesselt und einen Sack über den Kopf gestülpt. Er war Gefangener der Stasi. In der U-Haftanstalt hagelte es zum Empfang Schläge. Blutüberströmt warf man ihn in eine Zelle. "Ich hielt noch immer alles für einen Irrtum", sagt er. "In meiner bürgerlichen Vorstellung befangen, nahm ich an, daß innerhalb der nächsten 24 Stunden ein Haftrichter diesem Horror ein Ende setzen würde."

Doch er blieb grausige Wirklichkeit. Der Stasivernehmer – nach den Gauck-Akten ein Leutnant Scholz – spielte mit ihm Katz und Maus. 14 Tage hintereinander blieb das Licht in der Zelle ausgeschaltet. Kockrow verlor jede Beziehung zur Realität. Als er sich beim Vernehmer darüber beschwerte, heuchelte der Offizier Mitgefühl: "Das wird nie wieder vorkommen." Danach wurde das Licht für lange Zeit weder Tag noch Nacht ausgeschaltet.

Dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war der gesamte Bericht, den er vertrauensvoll an den Vorstand der "Falken" gerichtet hatte, Wort für Wort bekannt. Man hielt es für angeraten, ihn auszuschalten, weil er den operativen Plänen des MfS im Wege stand.

Wegen "Nachrichtenübermittlung" wurde er vom Stadtgericht Berlin zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Er kam in die berüchtigte Haftanstalt Waldheim. Während der ganzen Zeit seiner Inhaftierung erreichte ihn nicht ein einziger Brief von daheim. Auf Nachfragen bei der Generalstaatsanwaltschaft erhielt seine Mutter die Antwort: "Bei uns ist er nicht, fragen Sie doch mal bei der Fremdenlegion nach." Im Januar 1961 bekam er ein Telegramm in die Zelle gereicht. Es enthielt die Nachricht vom Tod seiner Mutter.

In Waldheim wurde er von den Wachmannschaften im Auftrag des MfS ständig provoziert und zu Äußerungen veranlaßt, die nach DDR-Gesetzen als "Hetze" galten. Als der Tag seiner Entlassung gekommen war, spielte sich eine unglaubliche Szene ab: Der Gefangene durfte seine Privatkleidung anlegen. Dann öffnete sich die Zellentür. Davor erwarteten ihn zwei Stasi-Offiziere, die ihm erneut Handschellen anlegten. Wieder war er ihr Gefangener. "Ich glaubte, nie wieder dieser Hölle entrinnen zu können", schildert er diesen furchtbarsten Moment in seines Lebens.

Diesmal verurteilte ihn das Leipziger Bezirksgericht wegen "Hetze" zu zwei Jahren Zuchthaus. Dem war ein Brief des Leiters der Berliner Bezirksverwaltung des MfS, Oberst Wichert, an die Stasi-Bezirksverwaltung Leipzig vorausgegangen. Er hatte folgenden Wortlaut: "K. vermutet von einigen unseren Verbindungen eine Zusammenarbeit mit dem MfS. Er kann nach der Haftentlassung großen operativen Schaden anrichten. Um entsprechende Vorkehrungen für die Sicherheit unserer Verbindungen in Westberlin zu treffen, wird gebeten, die günstigen Voraussetzungen für eine erneute Verurteilung des K. zu nutzen."

So blieb Wolfgang Kockrow fünfeinhalb Jahre eingekerkert, 38 Monate davon in Isolationshaft. "Seit Jahren quält mich immer wieder ein gleicher Traum", sagt er. "ich sehe mich in meinem Schlafzimmer im Bett und denke, du bist ja gar nicht zu Hause. Das ist nur eine Kulisse. In Wirklichkeit befindest du dich noch immer in der Stasizelle. Angst schnürt mir die Kehle zu. Ich wache schweißgebadet auf."


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen