© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   15/98 03. April 1998

 
 
Oper: Richard Wagners "Lohengrin" am Stadttheater Würzburg
Ein Wunder macht schaudern
von Konrad Pfinke

 

Da kommt der Schwan: ein rotgekleideter, weißhaariger Knabe auf Stelzen, schrecklich anzuschauen mit seinen puppenhaft baumelnden Ärmchen, der mit langen Stäben bewegt wird wie eine asiatische Marionette. Wann hat man auf einer Bühne je so einen schockierend fremdartigen Schwan erlebt?

"Wunder haben es an sich, daß sie unerwartet und schauderhaft daherkommen. Bekanntlich ist Lohengrins Schwan, das merkwürdigste Requisit der Operngeschichte, solch ein Wunder, aber kaum eine Inszenierung zeigt den Schock, der hinter dem Auftritt des „Retters von Brabant" steckt. Elmar Fuldas Würzburger Inszenierung von Wagners vorrevolutionärer Revolutionsoper fixiert schon mit diesem Bild das außergewöhnlich hohe Niveau, das seine Deutung auszeichnet. So gelang nur zwei Monate nach Peter Konwitschnys eindringlichem Hamburger „Lohengrin" dem Theater in der fränkischen Provinz eine Aufführung, die alles andere als provinziell ist.

Auch Fulda versetzt den Stoff in die Gegenwart, aber Wagners Parabel des Scheiterns einer Utopie gerechter, auf Vertrauen basierender Herrschaft spielt natürlich immer heute. Fulda zeigt, daß es da nicht um eine „Große Oper", um edle Gefühle und der Gewöhnlichkeit entrückte Protagonisten geht. Der Machtkampf zwischen dem Lichtgott und den finsteren Gestalten ist im Gangstermilieu angesiedelt – weil auch die pragmatischen Interessen der „Großen" nichts Edles, nichts herausragend Nobles an sich haben.

Man wendet hier sehr schnell den Mantel, wenn die politische Front sich weiterbewegt. In diesem Milieu integer zu bleiben, muß selbst dem kühlsten Gralsritter schwerfallen, der erst am Ende, wenn alles zu spät ist, sich Elsa von Herzen zuwendet. Die Macht schmeckt eben gut, auch wenn die Königskrone nur aus Pappe ist – aber es ist eben eine Krone. Da ist die große Treppe des Brautzugs nur die Rückseite der Waffenkammer – eine fast riefenstahlsche Monumentalität, deren sektenhaft gewandete Choristen souverän geführt werden. Und das Brautgemach? Eine Dekoration mit Einsteckblümchen, schön anzuschauen (Bühne: Ruth Schaefer), aber zum Liebesvollzug denkbar ungeeignet.

Wirklich überraschend aber ist vor allem die spitzzüngige Ortrud, eine Art Tiger-Lilly der Unterwelt, die blind durch die finsteren Gemäuer tappt – blind vor Haß auf das Weibchen Elsa, zerfressen von Ehrgeiz, ihrer erotischen Mittel bewußt. Hildegard Ritter ragt schauspielerisch aus dem guten Ensemble heraus, dessen stimmliche Potenzen auch sonst nicht ohne sind: Der Lohengrin des Thorsten Scharnke besitzt große vokale Wärme, und Veronika Diefenbacher stattet ihre Elsa, die hin und hergeschobene Frau, mit dem Engagement der notleidenden Träumerin aus, die unter den sinistren Gestalten nichts verloren hat (die Frage bleibt allerdings: Wie ist sie da nur hineingeraten?). Jonathan Seers führt das Orchester mit dramatischem Schwung und dem rechten Sinn für Wagners ausgefuchste Klangmischungen durch den Abend.

Am Ende nun reißt Lohengrin den großen Vorhang herunter, der die Hinterbühne ausfällt. Die Welt ist kalt, und dahinter verbirgt sich – das blanke, schwarze Nichts. Der fürchterliche Knabe erscheint wieder und spielt schon mit einer kleinen Kriegerpuppe – auch das ist schauderhaft, aber eines der kleinen Wunder einer intelligenten, durchweg spannenden Inszenierung.


 
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